Es herrscht reges Treiben im «I love Fashion»-Laden in Zürich. Zwischen Bergen von Kleidern tummeln sich Männer mit coolen Käppis - mittendrin: Chris Kühn, 35, Ladenbesitzer und TV-Auswanderer. Seit er und seine Freundin Anastasia Hirsch, 30, vor zwei Jahren bei der Reise von ihrer Heimat in die Schweiz von den «Goodbye Deutschland»-Kameras begleitet wurden, haben sie alles, was sie haben in ihren Traum vom eigenen Geschäft gesteckt. In den aktuellen Folgen der TV-Show ist deshalb zwar zu sehen, wie das Paar bereits expandieren konnte, das Geld aber noch immer knapp ist. So knapp, dass sie auch nach zwei Jahren ein Darlehen noch nicht ganz abbezahlen konnten. Zudem ist noch immer hängig, ob Kühn überhaupt in der Schweiz bleiben darf - gegen eine angedrohte Ausweisung läuft gerade ein Einspruchverfahren.
MÄRZ 2013
Ablenkung findet der vorbestrafte Deutsche offenbar in seinem Laden, Freundin Anastasia kümmert sich um den Bürokram, Chris bestellt Ware. So viel, dass das kleine Geschäft im Zürcher Kreis 5 bald zu bersten droht. Er lebe halt für seine Kleider, sagt Kühn zu SI online. Er redet viel und laut, fast so, als ob er sich selber vom Sinn seiner Geschäftsidee überzeugen müsste. Denn: Er will Marken anbieten, die andere Läden nicht anbieten, will das breiteste Sortiment haben, das sich Freunde von Hip-Hop-Klamotten vorstellen können und er will die Schweizer Wirtschaft ankurbeln. Dass er damit seinen eigenen Haushalt in die Bredouille bringt, nimmt er in Kauf. «Ja, ich kaufe über meine Verhältnisse Waren ein, aber ich bin überzeugt, dass mein Plan aufgeht.» Mittlerweile nehme er monatlich mehr Geld ein als er ausgebe. Die Schulden, die hohen Anwaltskosten, Miete, Lieferantenrechnungen - alles unter Kontrolle. Das bestätigt «Buchhalterin» Anastasia: «Die Rechnungen kommen ja gestaffelt und genau so kann man sie auch abbezahlen.» Auch sie scheint mittlerweile angekommen in Universum des Unternehmers.
«RECHTSEXTREM? EINE FRECHHEIT!»
Selbst dass die zwei konstant zusammen irgendwelche Probleme ausbaden müssen, bringt sie nicht aus der Ruhe: «Dann gehe ich halt am Abend ins Bett und denke: ‹Morgen ist ein neuer Tag›»,sagt Anastasia. Und für Chris scheint Zweifel sowieso ein Fremdwort zu sein. Nur die der Schweizer Behörden zehren langsam an Kühns Coolness. Er habe einmal einen Fehler gemacht in seinem Leben, jetzt sei er ein rechtschaffener Bürger. Trotzdem bleibt der Verdacht, dass der Deutsche in seinem Laden eben nicht nur mit dem Verkauf von Kleidern Geld mache - kein Wunder, befindet sich das Geschäft doch an der sogenannten «Haschgasse», einer Strasse, in der die Dealer sich mit Namen kennen. Doch Kühn beteuert: «Ich verkaufe keine Drogen!» Dafür aber eine Marke, die bei den «Goodbye Deutschland»-Zuschauern für Aufruhr sorgt, «Lonsdale». Sie wird gerne in der rechtsextremen Szene getragen. Ist der Ex-Knacki jetzt etwa noch ein Neo-Nazi? «Allein dieser Gedanke ist eine Beleidigung», sagt Kühn, «eine Frechheit!» Er verkaufe diese Marke an Türsteher oder Boxer, sie stehe für Fitness und zudem werde sie von einem Schweizer Vertreter angeboten.
Es scheint also, als gehe bei dem chaotischen Auswanderer-Paar tatsächlich alles mit rechten Dingen zu und her. Einer Aufenthaltsbewilligung dürfte nichts mehr im Weg stehen. Doch was, wenn Anastasia trotz aller Bemühungen plötzlich ohne ihren Freund auskommen muss? Daran denken die beiden nicht. Sie sind müde von all den Interview-Anfragen, dem Rummel, den Erklärungen. Und auch wenn die Sorgen sie manchmal zu erdrücken drohen, die zwei halten zusammen: «In guten wie in schlechten Zeiten», sagen sie unisono. Wie gut oder schlecht diese noch werden, dürfen die TV-Zuschauer demnächst sehen - die nächste Folge «Goodbye Deutschland» kommt voraussichtlich Anfang April im Fernsehen.