Auf die einen wirkt er farblos, reserviert, schon fast aufreizend staatsmännisch. Andere schwärmen von seinem frischen Auftreten, den perfekt sitzenden Anzügen, dem George-Clooney-Look. Didier Burkhalter selber ist es am liebsten, wenn man nur über sein politisches Schaffen urteilt: «Ich regiere und entscheide gern. Aber diese Show um meine Person mag ich nicht», sagte der 49-Jährige schon vor der Wahl.
Doch nun steht der Neuenburger definitiv im Rampenlicht. Sein Gang zum ersten Mittagessen als frisch gewählter Bundesrat – Entrecôte mit Pommes Allumettes im Berner Café Fédéral – wird begleitet von Kameras und Mikrofonen. Dafür fällt seine erste Pressekonferenz kurz aus: Der Freisinnige will keine persönlichen Fragen beantworten, bleibt sachlich und kühl.
«Bundesrat zu sein, ist in erster Linie ein Amt. Ein ehrenvolle Aufgabe. Es ist wichtig, dass man versucht, diese Aufgabe so gut wie möglich zu machen.» Was er sagt, tönt geschliffen. Seine Arme ruhen verschränkt auf der Tischplatte. Dieser Mann ist noch keine drei Stunden Bundesrat – und scheint mit Ruhepuls dazusitzen. Auf Nachfragen versichert er dann doch: «Ja, ich freue mich über die Wahl.»
Didier Burkhalter kann charmanter sein. Viel charmanter. Ein Sommertag Mitte August am Ufer des Neuenburgersees: Leger im Kurzarmhemd und ohne Kittel sitzt er in einer Beiz, trinkt ein Mineralwasser – dem Kaffee hat er im Frühsommer abgeschworen. Hier fühlt er sich wohl, hier ist er daheim – schon sein Leben lang. Und dann plaudert er los, locker und witzig. Offen, aber nicht zu vertraulich.
«Ich fühle mich im Herzen jung. Auch wenn ich schon seit 25 Jahren Politik mache.» Unterstützung und Kraft gibt ihm seine Familie: Ehefrau Friedrun Sabine, 42, und die Söhne Loïc, 21, Nathaniel, 19, und Adrien, 17. «Ich habe keine Hobbys», erzählt Didier Burkhalter. «Wenn ich nicht arbeite, verbringe ich die Zeit mit meiner Familie. Wir sind oft zusammen, obwohl die Buben bereits grösser sind.»
«Ich habe keine Hobbys. Wenn ich nicht arbeite, verbringe ich die Zeit mit meiner Familie»
Seine österreichische Frau begegnete ihm vor 26 Jahren in London – oder wie er es mit seinem welschen Charme ausdrückt: «Wir wollten beide Englisch lernen, haben aber Liebe gelernt.» Von da an gings schnell: Friedrun Sabine, gerade mal 16 Jahre alt, kehrte kurz in ihr Heimatdorf Amerlügen in Vorarlberg zurück, um die Koffer zu packen. Dann zog sie in die Schweiz, drei Jahre später heiratete das Paar. «Wir haben alles sehr jung gemacht.» Seine Frau war stets an seiner Seite, hat mit ihm die politische Ochsentour miterlebt und mitgetragen.
Glückwunschkarten, E-Mails, SMS. Die ganze Schweiz freut sich mit dem neuen Bundesrat. Und dieser will versuchen, den zahlreichen Gratulanten zu antworten. «Auch wenn es für mich schwierig sein wird, so viele SMS zu schreiben.» Durchbeissen und durchhalten – das kennt Didier Burkhalter aus der Politik. «Il faut se battre.» Man muss kämpfen: Dieser Satz fällt im Gespräch mit ihm öfter.
Gehts um Dossiers und Geschäfte, dann wird der Vollblutpolitiker leidenschaftlich und blüht auf. In Bern gilt er als guter Zuhörer, als loyal und angenehm. Und er hat konkrete Vorstellungen, was er als Magistrat erreichen will: «Die Schweiz sollte viel mehr Selbstverstrauen zeigen. Dafür braucht es das Beispiel eines stärker geeinten Bundesrates.»
Konkordanz, Kollegialität, Konsens. Didier Burkhalter scheint ein Vorzeige-Bundesrat zu sein, noch bevor er sein Amt überhaupt angetreten hat. Und ein Vorzeige-Bürger: So kauft er ab und zu eine Arbeitslosenzeitung. Und der Protestant glaubt an Gott, auch wenn er nicht oft in die Kirche geht. Ist dieser Mann tatsächlich so makellos? Steht er immer nur auf der Gewinnerseite?
Wer nach Niederlagen sucht, wird kaum fündig. «Doch, da gibt es schon ein Ereignis, das mich geprägt hat.» Didier Burkhalter lehnt sich im Stuhl zurück, überlegt genau, wo er mit seiner Erzählung beginnen soll.
Vor zwölf Jahre bewarb sich der Freisinnige für einen Sitz im Neuenburger Regierungsrat – auf Wunsch der Partei. «Doch die Kandidatur war überstürzt. Ich zog sie zurück.» Gleichzeitig forderte ihn sein Job in der Stadtregierung, er ass und schlief zu wenig. Und da passierte es: An einem Fussball-Grümpelturnier – «Ich war eigentlich nur zum Apéro geladen, spielte aber lieber mit» – brach er sich das Bein. Und zwar acht Mal! Die Rehabilitation nahm drei Jahre in Anspruch. «Aus diesem Vorfall lernte ich, mit mehr Abstand an eine Sache heranzugehen und mir auch mal Ruhe zu gönnen.»
Als Innenminister wird er jedoch anpacken müssen. Die Baustellen im Departement sind zahlreich: Kostenexplosion im Gesundheitswesen, die 6. IV-Revision, die angedrohte Rentensenkung in der Pensionskasse. Da wartet eine Herkulesaufgabe auf ihn, an der sich andere bereits die Zähne ausgebissen haben. Didier Burkhalter wird auch hier kämpfen, andere Ansätze suchen. Ganz nach seinem Credo: «Wenn alle gleich denken, sucht niemand mehr nach einer besseren Lösung.»
Noch fünf Wochen bleiben bis zum Amtsantritt. Zeit, die der Neo-Bundesrat nutzen wird, um sein Leben neu zu organisieren. Fehlen wird ihm in Bern der Neuenburgersee, an dem er aufgewachsen ist. Didier Burkhalter schwärmt von den einsamen Spaziergängen morgens um fünf Uhr dem Ufer entlang. «Das sind fantastische Stunden.»
Dieser Mann soll farblos und reserviert sein? Von wegen! Er hat Herz und Köpfchen. Ein echter Staatsmann.