Es ist die schlimmste Nacht in seinem Leben. Er kann nicht schlafen. Seine Kleider sind zerrissen, seine Gedanken bei seinen drei Töchtern. Eine Frau schreit ohne Ende. Es ist Juni 2017, und Adam Quadroni liegt in der Gummizelle der Psychiatrischen Klinik in Chur. Wie konnte er hier landen?
Adam Quadroni, 48, hat den grössten Bauskandal in Graubünden auffliegen lassen. Heute sitzt er allein in seinem grossen Haus im 500-Seelen-Dorf Ramosch GR. Es ist still und leer. Auf den drei Kinderbetten liegen Dutzende Plüschtiere. Er geht selten aus dem Haus. Die Leute gehen ihm aus dem Weg, tuscheln. Wenn er nebenan einkaufen geht, dann kurz vor Ladenschluss. Aber wegziehen kommt für ihn nicht infrage, zu viele Erinnerungen sind in Ramosch. «Diese Genugtuung will ich niemandem geben!»
Sieben Bauunternehmen gebüsst
Nachdem das Online-Magazin «Republik» Ende April 2018 seine Geschichte erzählt hat, sind in der Bündner Politlandschaft Köpfe gerollt (siehe Box am Ende des Artikels). Die Wettbewerbskommission (Weko) büsst sieben Bauunternehmen aus der Region mit über 7,5 Millionen Franken – wegen Preisabsprachen, die Quadronis Dokumente belegen. «Was in der Politik passiert, interessiert mich nicht», sagt er. Aber seine Geschichte ist noch nicht fertig erzählt. «Das Dreckigste kommt erst noch.»
Adam Quadroni ist in dem kleinen Dorf im Unterengadin geboren und aufgewachsen. Er gilt als Einzelgänger, kann seine Freunde an einer Hand abzählen. «Ich bin in keinem Verein, aber das hat mir auch nie gefehlt.» Er wirkt schüchtern, redet leise. 2002 heiratet er eine Ungarin. Sie bekommen drei Töchter. Die drei Mädchen sind seine ganze Welt. Mit ihnen geht er wandern, gemeinsam essen sie Hirschpfeffer in ihrer Jagdhütte oder spielen im grossen Garten vor dem Haus.
Ich habe sie weggeschubst, ohne sie zu verletzen
Adam Quadroni war Chef einer kleinen Baufirma und selbst Teil des Kartells. Über Jahre hat dieses mit Preisabsprachen Gewinne von hundert Millionen Franken gemacht – auf Kosten des Kantons, der Gemeinden und allen, die etwas bauten. Von den Machenschaften profitieren vor allem die grossen Baufirmen. Quadroni geht oft leer aus. Er steigt aus.
Zunächst läuft es gut für ihn und seine Firma, er unterbietet die vom Kartell abgesprochenen Tiefpreise und sichert sich so Aufträge. Doch damit macht er sich unbeliebt im Unterengadin. Nach und nach fängt er an, die Behörden über das Kartell zu informieren. 2009 übergibt er der Kantonalen Baudirektion und dem damaligen Gemeindepräsidenten von Scuol und heutigen BDP-Regierungsrat Jon Domenic Parolini 80 Papiere, auf denen er die Preisabsprachen dokumentiert hat. Doch nichts passiert.
Die Aufträge bleiben aus, das Geld wird knapp
2012 schickt Quadronis Berater einen Teil der brisanten Dokumente der Weko. Diese leitet Hausdurchsuchungen und Razzien ein. Der einflussreiche Bauunternehmer Roland Conrad zeigt sich selber an und kooperiert.
Für Quadronis Firma wird es immer härter zu überleben. Die anderen Baumeister schwärzen ihn bei Bauherren an. Er sei ein mieser Baumeister, unpünktlich und unsauber. Sogar auf dem Pausenplatz reden die Kinder schlecht. Die Aufträge bleiben aus, das Geld wird knapp. Quadroni und seine Frau schlafen getrennt. Im Juni 2017 kommt es zum Streit. Laut Quadroni hätten er und seine Frau wegen Schmuck gestritten, er habe das Büro verlassen und sie habe ihm zwischen die Beine getreten. «Ich habe sie weggeschubst, ohne sie zu verletzen.»
Die Polizisten packten mich, als wäre ich Rambo!
Die Anwältin seiner Ehefrau will sich auf Anfrage der «Schweizer Illustrierten» nicht äussern. Doch in den Akten widerspricht sich Frau Quadroni. In der Aussage gegenüber dem Regionalgericht – das der SI vorliegt – gibt sie an, Adam Quadroni habe sie aus dem Büro geworfen, davon hätte sie blaue Flecken bekommen. Im Gutachten der Kinderpsychiatrischen Dienste sagt sie hingegen, wie die «Republik» schreibt, sie habe ihren Mann in die Ecke gedrängt, worauf er sie an den Türrahmen geworfen und sie davon blaue Flecken habe.
Externe Untersuchung zum Polizei-Grosseinsatz angefordert
Sechs Tage später ist die Stimmung noch immer eisig. Quadroni will mit den Mädchen zur Jagdhütte. Die Frau ruft heimlich die Polizei an. Sie mache sich Sorgen, weil ihr Mann sonst nie etwas allein mit den Kindern unternehme.
Quadroni geht schliesslich ohne Kinder zur Jagdhütte. Seine Schwester ruft ihn an, etwas stimme nicht. Auf dem Rückweg wird er ohne Vorwarnung von polizeilichen Spezialeinsatzkräften überwältigt. Über zehn Mann! Quadroni sagt, sie hätten mit Gummischrot auf seine Frontscheibe geschossen, ihm ins Gesicht geschlagen und ihn aus dem Auto gezogen: «Die Polizisten packten mich, als wäre ich Rambo!»
Es gab keinen Grund, mich in Handschellen zu legen, das war erniedrigend!
Dann hätten sie ihm die Augen verbunden, ihn gefesselt und auf den Polizeiposten in Scuol gebracht. Dort hätte er sich nackt ausziehen müssen und sei vom pensionierten Bezirksarzt in die Psychiatrie eingeliefert worden – wegen angeblicher Suizidgefahr. Die Kantonspolizei will auf Anfrage keine Auskunft geben. Die Bündner Regierung hat jetzt eine externe Untersuchung zum Polizei-Grosseinsatz angefordert.
In der Psychiatrie stellen die Ärzte keine Suizidgefahr fest. Nach vier Tagen kann Quadroni die Klinik verlassen. Seine Frau und die Kinder sind weg. Wo, weiss Quadroni nicht. «Ich hatte Angst, dass meine Frau mit den Mädchen ins Ausland abhaut.»
«Wir haben uns lange nicht gesehen und wollen reden»
Drei Monate später darf Adam Quadroni seine Kinder zum ersten Mal wieder unter Aufsicht in Chur sehen. Sie umarmen sich, Tränen fliessen. Quadroni will den Töchtern so vieles erklären, so vieles nachholen. Aber eine Erzieherin sagt, er solle nicht so viel reden und stattdessen mehr spielen. «Lassen Sie uns in Ruhe, wir haben uns lange nicht gesehen und wollen reden», schreit die älteste Tochter. Nach drei Stunden müssen sie sich verabschieden. Die Mädchen leben inzwischen mit der Mutter in einer neuen Wohnung.
Was bisher nicht bekannt ist: Im November 2017 kommen sieben Kantonspolizisten und legen Quadroni in Handschellen, während sie Möbel, Kleider und Spielsachen mitnehmen. Im Protokoll dieser Vollstreckung – das der SI vorliegt – wird beschrieben, dass Adam Quadroni die Handschellen kurz abgelegt werden, um die Kaninchen seiner Töchter in die Box zu legen. «Es gab keinen Grund, mich in Handschellen zu legen, das war erniedrigend!»
Bis heute waren die Mädchen kein einziges Mal bei ihm
Für Quadroni ist es eine Qual, seine Töchter so selten zu sehen. Er stellt Gesuche, um sie über Weihnachten und in den Ferien bei sich zu haben. Doch er bekommt immer wieder kurzfristige Absagen. Im Februar entscheidet das Kantonsgericht, dass er die Kinder alle zwei Wochen für einen Tag zu sich nehmen darf. Ohne Aufsicht – ein erster Sieg! Aber bis heute waren die Mädchen kein einziges Mal bei ihm. Auf Anfrage teilt die Kesb Graubünden mit, man könne nichts dazu sagen.
Zum ersten Mal muss Quadroni ohne seine Mädchen Weihnachten feiern. Der Weihnachtsbaum steht bis heute in der Stube. «Die Kleinste hat mich gebeten, den Baum zu lassen, bis sie wieder zu Hause ist und ihn sehen kann.» Überall im Haus hat Quadroni Briefe der Töchter ausgelegt. «Eu stes bler plü ient in Ramosch», schreibt die Mittlere auf Rumantsch. «Ich würde viel lieber in Ramosch wohnen.» Der Bauskandal ist für Quadroni in den Hintergrund gerückt. Er schreibt seinen Töchtern jeden Morgen und jeden Abend per Whatsapp. «Das einzig Wichtige für mich sind sie. Ich kämpfe nur noch für meine Töchter.»