1. Adolf Ogi, was treibt Sie an?
Das ist eine schwierige Frage – in meinem Alter (lacht). Es ist die Natur. Die Freude an der Natur. Und die Begegnungen mit den Menschen, die gemeinsamen Momente mit meiner Familie.
2. Wer hat Sie geprägt?
Viele! Vor allem und angefangen bei meinen Eltern, dann Oberlehrer Ruedi Rösti und Pfarrer Ueli Junger in Kandersteg, die drei Jahre Handelsschule in La Neuveville – eine andere Sprache, eine andere Kultur! Im Skiverband der damalige Präsident Karl Glatthard und die legendäre Generalsekretärin Elsa Roth. Beide haben mich gefordert und gefördert. Danach Intersport-Präsident Denis Vaucher. Und auch in der Politik waren es viele Leute, die Weichen gestellt haben und prägend waren.
3. Wann haben Sie erstmals gespürt, dass Sie führen wollen?
Am Ende der Grenadier-Unteroffiziersschule in Losone 1964. Ich fragte mich: Wer bin ich? Was kann ich? Und was kann ich nicht? Und sagte mir, dass ich dort, wo ich die Chance erhalte, Verantwortung übernehmen und Chef sein will.
4. Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht, dass Sie Bundesrat werden könnten?
Das ist lange gegangen. Ich wurde 1979 überraschend Nationalrat, vier Jahre später Präsident der SVP Schweiz, und nochmals vier Jahre später war ich Bundesratskandidat. Die Konstellation für mich war günstig, für Ogi ging ein Zeitfenster auf. Da war viel Glück dabei.
5. Wen fragen Sie um Rat?
Die Leute, von denen ich glaube, dass sie mir ehrliche Antworten geben können.
6. Wer ist Ihr bester Freund?
Mein Vater – gewesen, leider.
7. Glauben Sie an Gott?
Ja.
8. Sind Sie ein guter Vater?
Ja, ich denke schon. Gerade als Bundesrat war meine Zeit zwar beschränkt. Aber meine Kinder wussten, dass sie, falls nötig, jederzeit zu mir ins Büro kommen durften, egal, mit wem ich gerade eine Sitzung hatte.
9. Was haben Sie Ihren Kindern mit auf den Weg gegeben?
Hoffentlich Anstand, Ehrlichkeit, Weisheit, Erfahrungswerte und die nötige Sensibilität für das, was sich in der Welt abspielt. Hoffentlich all das, was es braucht, um im Leben bestehen zu können.
10. Sind Sie ein guter Ehemann?
Katrin hat mich stets unglaublich mit Kraft und Wohlwollen unterstützt, was nicht immer einfach war. Sie ist meine Wegbegleiterin. Und ich bin es hoffentlich für sie auch.
11. Würden Sie im Rückblick Ihrem Privat- und Familienleben mehr Zeit widmen?
Wenn Sie die Frage so stellen, muss man sie mit Ja beantworten, sonst wäre man ja kein guter Familienvater …
12. Was ist bisher Ihr grösstes Glück gewesen?
Meine Frau Katrin und unsere beiden Kinder Caroline und Mathias. Mathias haben wir 2009 mit 35 Jahren verloren. Ein grosser Schicksalsschlag!
13. Das ist Ihr grösstes Unglück?
Ja, es ist die fundamentalste Erschütterung, die man als Vater, Mutter, Schwester ertragen muss. Ich bin im Zwiegespräch mit dem Herrgott und frage ihn jeden Tag: Warum? Aber er gibt mir keine Antwort. Wenn das Kind vor den Eltern stirbt, ist der natürliche Rhythmus gestört. Wir können das nicht verstehen. Aber wir sind nicht die Einzigen, die ein solches Schicksal erlebt haben. Viele Familien haben noch schwerere Schicksalsschläge erlitten.
14. Was bedeutet Ihnen Ihre Herkunft, die Berge, Kandersteg?
Das sind meine Wurzeln. Die Berge waren da, bevor wir Menschen da waren. Und die Berge werden noch da sein, wenn wir nicht mehr da sind. Das relativiert fast alles. Und Kandersteg ist meine Heimat. Hier fühle ich mich ausserordentlich wohl, hier werde ich auch mal begraben werden.
15. Was unterscheidet den Bergler vom Städter?
Der Bergler besitzt die Höhen, was eine ausserordentliche Kraft gibt. Er ist naturverbunden, kennt aber auch die Gefahren, welche die Natur birgt. Und der Bergler hat es in der Regel etwas schwerer vorwärtszukommen als der Städter.
16. Warum sind Sie 1978 der SVP beigetreten?
Weil mir die FDP ein bisschen zu elitär war und weil meine Schwiegereltern Bauersleute waren, die auch einen Landgasthof führten. Sie waren mit Leib und Seele BGB/SVP-Mitglieder.
17. Warum sind Sie 2008 nicht zur BDP gewechselt?
Weil ich Parteipräsident und offizieller Bundesratskandidat der SVP gewesen bin. Weil ich für die SVP dreizehn Jahre im Bundesrat war. Es ist eine Stärke von mir zu bleiben. Auch wenn ich durchaus Differenzen mit der Partei gehabt habe.
18. Würden Sie heute wieder der SVP beitreten?
(Zögert.) Ja. Warum nicht?
19. Was halten Sie von der Umsetzung der Zuwanderungsinitiative?
Der Volksentscheid ist klar. Den muss man umsetzen.
20. Was halten Sie von der Reform der Altersvorsorge?
Ich äussere mich nicht mehr zur politischen Tagesaktualität.
21. Was hat Sie mehr gefreut: Ihre Wahl in den Bundesrat oder der Olympiasieg von Bernhard Russi?
Beides zu seiner Zeit.
22. Wann, wo und warum haben Sie entschieden, als Bundesrat zurückzutreten?
Im Jahr 2000, in meinem zweiten Präsidialjahr, sagte mir Mathias: «Papi, es ist jetzt langsam Zeit aufzuhören, gesundheitlich bedingt.» Katrin hat sich dem sofort angeschlossen, Caroline war auf einer Weltreise. Entschieden habe ich mich während der Olympischen Spiele von Sydney 2000. Ich habe Katrin angerufen und gesagt: «Drei Frauen und Mathias sind schuld, dass ich Ende Jahr zurücktrete: du, Brigitte McMahon und Magali Messmer! Die beiden gewannen soeben hier in Sydney Gold und Bronze im Olympia-Triathlon.» Nach so einem Höhepunkt konnte der Sportminister nur noch abtreten (lacht).
23. Vermissen Sie es, dass Sie nicht mehr Bundesrat sind?
Nein. Ich habe von 1988 bis 2000 eine gute Zeit erwischt als Bundesrat. Heute ist es viel schwieriger zu regieren.
24. Welche Entscheidung ist Ihnen am schwersten gefallen?
Der Neat-Entscheid, Gotthard und Lötschberg gleichzeitig, war nach über vierzig Jahren Planung ein schwieriger Entscheid. Er hat mir viele schlaflose Nächte und viermal Nierensteine verursacht.
25. Waren Sie Duzis mit Ihren Mitarbeitenden?
Ich machte immer um 8.10 Uhr einen Morgenrapport mit den Fragen: Was war? Was ist? Was wird? Besonderes! Die Leitung hatte der Generalsekretär, ich hörte zu und entschied. Mit diesen Leuten war ich per Du, mit meinen persönlichen Mitarbeitern, mit meinem Chauffeur und dem Weibel. Aber sonst war ich zurückhaltend mit dem Duzis.
26. Waren Sie ein guter Chef?
Ich war ein harter, strenger, fordernder Chef, aber fair und korrekt. Ich habe nach dem Prinzip «man muss Menschen mögen» geführt. Wenn ich mal zu forsch war, habe ich mich entschuldigt.
27. Können Sie den Chefs der Schweizer Wirtschaft ein gutes Führungszeugnis ausstellen?
Generell ja.
28. Und dem Bundesrat?
Ja, der Bundesrat verdient ein gutes Zeugnis!
29. Warum sind Sie immer noch so populär?
Das frage ich Sie …
30. Warum sind Sie noch so aktiv?
Weil ich immer wieder angefragt werde. Dabei sage ich oft ab. Ich mache, was mir Freude bereitet, was mich fordert. Ich trete gerne auf, ich rede gerne mit Studenten. In den letzten Wochen sprach ich mehrmals an Diplomfeiern von Universitäten. Ich, der Nicht-Akademiker! (Lacht.)
31. Und wann treten Sie kürzer?
Ich bin ja daran.
32. Haben Sie Angst vor dem Ruhestand?
Nein.
33. Welche gemeinsamen Hobbys pflegen Sie mit Ihrer Frau Katrin?
Wir gehen oft zusammen laufen und Ski fahren. Wir sind gerne in Kandersteg und reisen jeweils im November zusammen an ein warmes Plätzchen. Und wir schätzen es sehr, dass wir jetzt mehr Zeit miteinander haben.
34. Wie viele Kristalle haben Sie bisher verschenkt?
Mit den Kristallen war ich zurückhaltend. Dem Papst und Bill Clinton habe ich einen gegeben. Und meinen Kollegen im Bundesrat, als ich mich verabschiedet habe. George W. Bush hat jedoch keinen erhalten, weil er im Irak einen Krieg angefangen hat. Ich habe sowieso mehr Armeemesser sowie Mutschli und Tee aus Kandersteg verschenkt.
35. Wann hatten Sie zuletzt Mitleid mit sich selber?
Vorgestern, als ich meine Rede auf Deutsch, Französisch und Englisch an einer Universität in Genf vorbereitet habe (lacht).
36. Welches Buch lesen Sie jetzt?
Mein neuestes Buch! What else?
37. Haben Sie ein Buch mehr als zweimal gelesen?
Nein, keines, denn ich habe eine gute Auffassungsgabe (lacht).
38. Wann besuchten Sie zuletzt eine Oper?
Vor zwei Jahren in Wien.
39. Wann einen Fussballmatch?
Ich besuche Spiele von YB.
40. Wann holt YB endlich wieder einen Titel?
Nächstes Jahr noch nicht, aber übernächstes Jahr! Wenigstens den Cup.
41. Was sammeln Sie?
Steine, Kristalle, Zeitungsausschnitte über mich (lacht).
42. Wann haben Sie zuletzt zu viel getrunken?
Wahrscheinlich 1999 bei Bill Clinton im Weissen Haus – im Interesse der Eidgenossenschaft.
43. Haben Sie je geraucht?
In der siebten Klasse auf der Schulreise der Primarschule Kandersteg. Mein Vater hat es bemerkt und gesagt: «Döfi, das ist nicht dein Weg, du willst doch Sportler sein!» Seither habe ich keine Zigarette mehr angerührt.
44. Was ist Ihr grösstes Laster?
Ich bin natürlich nicht fehlerfrei, aber ein Laster, so glaube ich, habe ich nicht.
45. Was ist Ihr grösstes Talent?
Vielleicht der Umgang mit Menschen.
46. Welches Talent hätten Sie gerne gehabt?
Ich würde gerne perfekt Italienisch reden.
47. Welches ist das teuerste Bild, das Sie je gekauft haben?
Wir haben nicht viele wertvolle Bilder, aber ein Porträt meiner Mutter und ein Bild mit meinem Vater sind für mich die wertvollsten.
48. Sind Sie für Frauenquoten in Verwaltungsräten?
Freiwillig ja, gesetzlich nein.
49. Schmerzt es Sie noch, dass Sie nicht Mitglied des IOC wurden?
Lange ja, jetzt nicht mehr.
50. Verkehrsdirektor in Meiringen, Chef des Skiverbands, Intersport-Generaldirektor, Bundesrat, Uno-Sonderberater für Sport im Interesse von Friede und Entwicklung – welches war Ihr schönstes Amt?
Alle zusammen!
51. Worauf sind Sie am meisten stolz in Ihrem Leben?
Dass ich eine tolle Familie und die Schwiegerfamilie meiner Tochter habe – mit der grossen Einschränkung, dass wir Mathias verloren haben.
52. Was bereuen Sie?
Ich möchte gar nicht viel korrigieren. Aber eben: Ich habe zu wenig gut Italienisch gelernt.
53. Hat es Ihnen wehgetan, dass Sie nicht Skirennfahrer wurden?
Ja, schon. Aber der Vater hat damals, in den 50er-Jahren, gesagt, als Skirennfahrer könne man nicht für eine Familie sorgen. Direktor des Skiverbands war dann ein vollwertiger Ersatz.
54. Wann haben Sie sich zuletzt weitergebildet?
Ich bilde mich jeden Tag weiter, indem ich viel lese und lerne.
55. Welche Musik hören Sie am liebsten?
Gute Ländlermusik! In der Formation drei Schwyzerörgeli und ein Bass.
56. Welches ist Ihre Lieblings-TV-Serie?
Ich schaue keine TV-Serien, dafür stets die «Tagesschau» und «10 vor 10». Ich bin informationshungrig, ich will politisch auf dem Laufenden sein.
57. Wo kaufen Sie Ihre Anzüge?
Dort, wo mich Katrin hinschickt.
58. Berät Sie Katrin bei der Kleiderwahl?
Ja, auch das heutige Hemd hat sie ausgesucht.
59. Welche Farbe hat Ihre Lieblingskrawatte?
Eigentlich mag ich gerne Rot. Doch bei Referaten trage ich meistens einen dunklen Anzug, eine dunkle Krawatte und ein weisses Hemd. Ganz klassisch – so wie es Katrin will (lacht).
60. Wo haben Sie Katrin Ihren Heiratsantrag gemacht?
Es gibt in Kandersteg eine Holzbank auf dem Weg zum Oeschinensee mit einem wunderbaren Rundblick auf Kandersteg. Dort habe ich sie gefragt, dort konnte sie nicht Nein sagen.
61. Können Sie jassen?
Ja.
62. Sind Sie ein guter Tänzer?
Früher schon, ich habe auch einen Tanzkurs besucht in La Neuveville. Ein Freund von mir sagte immer, beim Tanzen sehe man sofort, ob jemand gut Ski fahren kann. Und beim Skifahren, ob jemand gut tanzen kann.
63. Welcher ausländische Staatschef hat Sie am meisten beeindruckt?
François Mitterrand. Der französische Präsident war für mich wie ein väterlicher Ratgeber. Und er kam extra nach Kandersteg, um meine Heimat und meine Eltern kennenzulernen.
64. Sind Sie mit Christoph Blocher befreundet?
Ich würde sagen ja. Er schreibt es auch im Vorwort zum neuen Buch: Bei allen Differenzen, die wir hatten, haben wir uns menschlich stets verstanden.
65. Wo gefällt es Ihnen am besten?
Mir gefällt es überall, am besten jedoch schon in der Schweiz.
66. Wohin fahren Sie in die Ferien?
Nach Kandersteg.
67. Möchten Sie nochmals 25 Jahre jung sein?
Ich bin in einer guten Zeit aufgewachsen. Es stimmt so, wie es ist.
68. Was für einen Beruf würden Sie heute lernen?
Das weiss ich nicht. Aber ein guter Handwerker wäre ich nicht.
69. Ist die Digitalisierung Fluch oder Segen?
Sie ist eine Tatsache. Wir müssen das Beste daraus machen.
70. Sind Sie zuversichtlich für die Zukunft der Schweiz?
Ja, ich bin zuversichtlich, weil unsere Werte und unsere direkte Demokratie stimmen.
71. Wird die Schweiz je der EU beitreten?
Who knows? Wahrscheinlich nicht, aber der Wandel ist rasend schnell. Niemand kann sagen, was in dreissig Jahren ist.
72. Wo tut es Ihnen weh?
Manchmal im Rücken. Und zurzeit in der Schulter nach einer Operation.
73. Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nein.
74. Sind Sie Mitglied von Exit?
Nein.
75. Was wünschen Sie sich noch im Leben?
Den Montblanc habe ich abgeschrieben. Es bleiben: Familie und Freunde, Gesundheit, Skifahren, Bergwandern. Ich möchte auch gerne noch die nötige Frische haben, um die Schweizer und die Weltpolitik mit Interesse und wach zu verfolgen.