Sie entspannt in Florida am Strand. Ein warmer Wind weht durch ihr Haar. In der Luft liegt der Duft von Salzwasser. Ihre Augen sind geschlossen. Sie ist ganz bei sich. In Wahrheit liegt Anja Zeidler knapp 8000 Kilometer von Florida entfernt in einem kühlen, sehr hellen Operationssaal in der Lucerne Clinic. Es ist Dienstag, der 19. September 2017, 11.12 Uhr.
Während das Propofol die 24-Jährige in den Dämmerschlaf versetzt, fragt die OP-Schwester nach Zeidlers Lieblingsort. Die Taktik soll nervöse Patienten beruhigen. Anja schätzt die Hand der OP-Schwester, die ihr über die Backe streichelt. Das, obwohl die Luzernerin in Sachen Schönheitsoperationen trotz ihres jungen Alters schon fast ein alter Hase ist.
2014 liess sich das Fitness-Model in Los Angeles die Brust vergrössern. Ihren natürlichen, schön geformten Busen hatte die gelernte Coiffeuse durch ihre Sportsucht komplett wegtrainiert. Doch schon bald passt der riesige Busen nicht mehr zum zierlichen Körper, für den sie so hart kämpfte, nachdem sie 2015 dem Anabolika abgeschwört und sich ihrer Sportsucht gestellt hat.
Im Sommer 2016 legt sie sich in Russland zum zweiten Mal unters Messer. Zeidler lässt sich kleinere Implantate einsetzen. Hier und heute kommt nun das ganze Silikon raus. «Der Eingriff ist der letzte Schritt auf meiner Reise zurück zu mir selber», sagt Zeidler auf dem Weg zur Klinik. Dicke Tränen kullern über ihre Backen. Es sind Tränen der Rührung, der Erleichterung. «Ich freue mich so darauf, endlich wieder ganz ich zu sein. Das Silikon fühlt sich nur noch fremd und deplatziert an.»
Um 12.24 Uhr nimmt Jürg Häcki, Facharzt FMH für Plastische Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie und Gründer und Leiter der Lucerne Clinic, das erste Silikonkissen aus ihrer linken Brust. Bis der Fachmann den 400 Gramm schweren Fremdkörper entfernen kann, muss er diesen von verwachsenem Narbengewebe lösen, das sich über die Jahre gebildet hat.
Um 12.28 Uhr ist das zweite Implantat draussen. Um 13 Uhr nippt Zeidler bereits gutgelaunt an ihrem Wasserglas. Und küsst ihren Freund Angel Egli, 25, alias Rapper Mimiks. «Ich unterstütze Anja bei allem, was sie macht. Wenn sie glücklich ist, bin ich es auch», sagt er an ihrem Krankenbett.
Die beiden lernten sich im März 2016 kennen. Anja schreibt Angel über Facebook an. Das, nachdem er sich in einer Songzeile über sie lustig machte. Später treffen die beiden zufällig im Luzerner Club Rok aufeinander. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Zu dieser Zeit weiss Anja noch nicht, ob sie in Los Angeles bleiben oder zurückkommen will.
Anja folgt dem Ruf ihres Herzens. Sie zieht nach Hause zurück. Mit der Unterstützung ihrer Eltern, ihrem Bruder Jan und Angel schafft Anja den finalen Schritt zurück in die Normalität.
In der Zwischenzeit ist auch Mami Bea in der Lucerne Clinic angekommen. Während sie ihrer Tochter die Hand hält, fliessen bei Anja noch einmal Tränen. «Mir ist bewusst, dass es schwer für euch alle war.» Mama Bea erinnert sich. Im Juni 2015 sei Anja auf der Couch gelegen. Weinend. Schluchzend. Verzweifelt. «Ich habe sie einfach im Arm gehalten, mehr konnte ich nicht tun.»
Anja zieht eine Naturheilärztin zu Hilfe. Es kostet die damals Sportsüchtige drei Anläufe, bis sie definitiv loskommt vom Anabolika. «In LA konsumieren das fast alle. Jegliche Präparate werden offen in den coolen und angesagten Gym-Centren vertickert.»
Als Anja jegliche Spritzen und Präparate definitiv kübelt, ist kein Gramm Fett an ihrem Körper. Nur Muskeln. Und eben die riesigen Silikonimplantate, die sie sich 2014 in LA reinoperieren liess. «Ich war im Wahn. Alles drehte sich um Krafttraining, Aussehen und Ernährung. Ich ass alle drei Stunden Fleisch, Eiweiss, Fisch, nur grünes Gemüse und trank Proteinshakes.»
«Ich war essgestört»
Alls Nebenwirkungen der Hormonpräparate wird Zeidlers Stimme tief, ihre Haut unrein, ihre Psyche wandelt sich. «Ich war ständig wütend, böse, schlecht gelaunt.» Nach zwei gescheiterten Versuchen, das Anabolika abzusetzen, gelingt Anja der finale Entzug im April 2015.
Sie nimmt 20 Kilo zu. «Ich war essgestört. Manchmal fuhr ich an die Tankstelle, um mir ein Glas Nutella zu kaufen, das ich noch im Auto auslöfelte.»
Mit der Umstellung zur veganen Ernährung Mitte 2016 durchbricht Anja den Teufelskreis. Sie nimmt 20 Kilo ab, trennt sich von den Haar-Extensions und den künstlichen Nägeln. «Jeden Tag kam ich meinem wahren Ich einen Schritt näher.» Heute hegt Anja einen gesunden Lifestyle. Sport ist immer noch ein zentrales Thema in ihrem Leben. Aber bewusst, gesund, nicht verbissen.
In der Zwischenzeit ist es 16 Uhr. Der Himmel über Luzern ist grau, das Wetter trüb. Anja kann die Klinik verlassen. In Begleitung von Mami Bea und Freund Angel fährt Anja nach Hause. Ihre 819 Gramm schweren Silikonkissen nimmt sie mit. Als Erinnerung an eine Zeit, die sie zwar nicht missen, aber auch nie mehr erleben will.
In der Sporttasche fühlen sich die Implantate jetzt schon viel besser an als in ihrer Brust. Das finale Resultat des Eingriffes wird Anja frühstens in sechs Monaten sehen. So lange dauert es, bis alles verheilt ist. Trotz der Nähte und der Schwellung ist Anja jetzt schon überglücklich: «Endlich kann ich wieder Kleider und Shirts mit Ausschnitt anziehen, ohne dass die ganze Aufmerksamkeit auf meinen Brüsten liegt», sagt sie.
23. Oktober 2017. Etwas mehr als vier Wochen sind seit der Operation vergangen. Dr. Jürg Häcki kontrolliert Anjas Brust und verschafft sich ein Schlussbild. Mit der Wundheilung und dem Resultat ist der Fachmann sehr zufrieden. «Das sieht alles sehr schön aus.» Auch Anja ist glücklich. Der Blick auf die nackte Brust treibt der Luzernerin noch einmal Tränen in die Augen. «Ich hätte nie gedacht, dass bei sich selber ankommen so emotional und schön ist.»