Leicht übernächtigt empfängt uns Büne Huber, Leadsänger der erfolgreichen Berner Rockgruppe Patent Ochsner, in seinem Atelier, das vieles ist: Büro, Tonstudio, Malatelier und Rückzugsgebiet für einen Künstler, der vieles macht. Direkt neben der grossen Wohnung, wo er mit seiner Frau und seinen zwei Kleinkindern lebt. Bei der Staffelei steht ein altes elektrisches Wurlitzer-Klavier, ein Gestell mit diversen Gitarren und eine «Psalmenpumpe», ein hölzernes Harmonium, auf dem Arbeitstisch ein Mac-Computer mit XXL-Bildschirm, an den Wänden Erinnerungen aller Art, Skizzen, Heiligenbilder. Eine Eule guckt vom Büchergestell, auch ein ausgestopfter Rabe. Am Boden Kisten voll Malmaterial. Die Tür ist mit einer Kindersperre versehen, nicht etwa, um den anderthalbjährigen Max im Atelier einzusperren, nein, um ihn auszusperren, wenn Papa konzentriert arbeiten muss. Max kommt nämlich oft «helfen», er hat schon kurze Pausen seines Papi genutzt, um ein Bild fertigzustellen, auf seine Art, mit einem breiten Pinsel.
Büne konnte diese Nacht nicht gut schlafen, aber es waren nicht die Kinder. Es war der Kopf. Weil gestern Probe war, sind ihm nachts dauernd Melodien gefolgt, neue Ideen eingefallen für seine Konzerte im Landesmuseum Anfang Juni. So sind kreative Köpfe. Sie arbeiten auch nachts. Und die Frisur ist nicht etwa wirr und wuschelig, weil Büne gerade aus dem Bett kommt, nein, sie gehört einfach zum Image des Cantautore, wie die Italiener einen wie ihn nennen, der seine Lieder selbst schreibt, komponiert und interpretiert. «Die Frisur muss so sein, damit die Leute nachher etwas zu reden haben», lacht er. Überhaupt macht er sich heute, wo er längst auf dem Höhepunkt seiner Musikerkarriere steht, keine grossen Gedanken um sein Aussehen, denn das kommt beim Publikum gut an. Das weiss er. Sollen die Leute von Putzlümpe oder Vogelnest reden, das ist ihm schnurz.
Aber jetzt wird erst mal gepackt. Noch müssen ein paar «Büne-Bilder» nach Zürich gebracht werden. Denn das neue Festival Unique Moments zeigt alle Facetten von Büne: Er gibt vier Konzerte, stellt Bilder aus. Büne im Quadrat sozusagen. Für die erste Ausgabe des Festivals wollte der Organisator Christoph Huber einfach Patent Ochsner haben. Da konnte Büne nicht Nein sagen, obschon Patent Ochsner dieses Jahr gar nie auftreten, sie machen eine Pause, wie jedes dritte Jahr. Büne wollte nur komponieren und malen und sich um die Familie kümmern. Vom 7. bis am 10. Juni werden nun Büne und seine Mitmusiker die Zuhörer im Landesmuseum-Innenhof mit einem Repertoire überraschen, das sich an den Themen der Kunstausstellung orientiert.
Bünes langjähriger Freund und Manager Christian Siegenthaler sah gleich die hervorragende Chance, eine längst geplante Ausstellung von Bünes Bildern mit den Konzerten zu kombinieren. Die letzte Ausstellung fand 2001 im Alten Schlachthaus Bern statt und war ausverkauft. Jetzt stellt das Landesmuseum sein Auditorium zur Verfügung und zeigt vom 2. bis 15. Juni seine Werke.
Nervosität wegen des prominenten Auftritts mitten in der Kunststadt Zürich ist beim malenden Sänger aus Bern nicht auszumachen. Büne ist ein routinierter Maler, er hat sich schon als Kind mit Pinsel und Stiften ausgedrückt und nie aufgehört.
Die Ideen fliegen ihm nur so zu, und zwar Tag und Nacht. «Bei mir geht das Songschreiben und das Zeichnen und Malen zusammen, wenn ich stark bin in Worten, ist vorher gemalt worden.» In Bünes künstlerischer Werkzeugkiste sind die verschiedensten Dinge durcheinandergemischt. «Songs schreiben heisst bei mir immer auch malen und zeichnen. Ich komme der Sache spiralförmig näher, es ist ein Floating von Bildern und Worten und Melodien, und am Ende bringe ich es auf den Punkt, als Lied oder als Bild.» Oder als beides: Bünes Bilder enthalten oft Texte, und seine Lieder erzählen Geschichten, die beim Zuhörer Bilder auslösen.
Ob er als Musiker besser sei oder als Maler, interessiert ihn nicht, denn alles gehe zusammen. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Deshalb hat Büne auch schon manche Plattenhülle von Patent Ochsner selbst gestaltet. Beim Malen pfeift oder summt er stets eine Melodie, zum Bild mit den grossflächigen Herbstblättern das französische Chanson «Les feuilles mortes» nach
einem Gedicht von Jacques Prévert. Er hört, wenn er Eitempera oder Acrylfarben auf die Leinwand pinselt, auch Musik von andern, Element of Crime ist zurzeit ein beliebter Begleiter, vor allem wegen der guten Texte.
Inspiration findet Büne überall, in Alltagsgeschichten, in den Medien, in Gesprächen und im selbst Erlebten, er denkt seit einem Jahr darüber nach, wie er einen irritierenden Kontrast in ein Lied formen kann: Mit seiner geliebten Freundin badet er im Mittelmeer, gleichzeitig ertrinken im gleichen Wasser Hunderte auf der Flucht. Vielleicht wird wieder einmal Federico Fellini helfen wie damals, als Büne träumte, er spaziere im winterlichen Rimini dem Meer entlang, werde plötzlich an einen weiss gedeckten Tisch geladen, wo Fellini sich zu ihm setzt und ihm sagt: «Der Titel deines nächsten Albums muss den Titel ‹Rimini Flashdown› tragen.» Büne hat gehorcht. Glücklich, der Mensch, dem die Ideen auch nachts zufliegen.