Patricia Kopatchinskaja, herzliche Gratulation zum Grammy! Wie haben Sie davon erfahren?
In der Nacht bin ich zufällig aufgewacht und hatte lauter Gratulations-SMS auf dem Telefon.
Weswegen waren Sie nicht an der Gala in New York?
Ich schade sowieso schon der Umwelt mit meinen vielen Flügen, für keine Zeremonie der Welt möchte ich noch mehr über den ganzen Atlantik fliegen.
Statt poliertem Violinenspiel bieten Sie Kreativität und Überraschung. Wie erklären Sie sich den Grammy, haben die Leute den Perfektionismus der Klassik satt?
Schon Haydn komponierte Paukenschläge in seine Sinfonien, um das Publikum zu wecken. Auch ich habe immer versucht, die verkrustete Konzert-Situation etwas aufzurütteln. Manche hassen es, manche kommen gerade deswegen.
Welche Wirkung erhoffen Sie sich beim Publikum?
Wenn man musiziert, will man ja emotional berühren: Freude, Trauer, Witz, Erschrecken, das ist nicht anders als im Kino. Wenn man dort nichts erleben würde, würde man ja nicht gehen. Von Vivaldi oder Paganini berichteten die Zeitzeugen, dass sie das Publikum verblüfft haben, diesen Effekt sollten wir wieder erreichen.
Das ist Ihnen und dem Saint Paul Chamber Orchestra mit «Death and the Maiden» offenbar gelungen.
Es ist schön zu sehen, dass auch Qualität ausserhalb der Box Anerkennung verdient!
Wo stellen Sie Ihren Grammy auf?
Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht einmal, wie ein Grammy aussieht. Ich finde, er sollte bei den Musikern des Saint Paul Chamber Orchestra bleiben. Für ihren Mut und ihr Engagement!
Auch Sie sind sehr engagiert. Etwa als Botschafterin für das Kinderhilfswerk Terre des hommes in Ihrem Heimatland Moldawien.
Ich habe eine schöne Kindheit in Moldawien verbracht. Aber heute geht es vielen Kindern dort nicht gut. Die Organisation Terre des hommes holt zum Beispiel Kinder von der Strasse, indem sie Kindertagesstätten betreibt. Sie macht eine wirklich gute Sache in meiner Heimat.
Ihre elfjährige Tochter wächst in Bern auf. Wie vermitteln Sie ihr das Privileg, in einem der reichsten und friedlichsten Länder der Welt zu leben?
Das ist ihr ganz von selber klar.
In Ihrem nächsten Konzert mit der Camerata Bern (2. Februar, Kursaal Bern) thematisieren Sie Kriege und die westliche Lethargie gegenüber schrecklichen Nachrichten. Was, denken Sie, kann Musik konkret ausrichten gegen Missstände, Konflikte, Ungerechtigkeiten auf dieser Welt?
Musiker wie Joan Baez oder Jimi Hendrix haben mehr bewirkt als die Musiker der klassischen Musik, weil sie einfach ein sehr breites Publikum haben, und weil ihre Songs und Texte immer aktuell sind. Wir klassischen Musiker spielen ja meistens nur alte Musik, das hat keinen Bezug zu heute.
Hat der Grammy diesbezüglich einen Effekt?
Er erhöht das Interesse an meiner Arbeit. Dafür bin ich natürlich enorm dankbar.
Sie kritisieren im Programmheft, dass der Westen die Welt nur noch durch Bildschirme wahrnimmt - allerdings waren wir nie besser informiert als heute. Ist die Technologie denn nicht auch ein Segen?
Ich kritisiere niemand, ich nehme auch alles durch den Bildschirm wahr. Einmal bei einem Aarehochwasser war ich über meine innere Ruhe und Unbeteiligtheit frappiert. Dann bin ich selber ans überschwemmte Ufer gegangen und das direkte Erleben der wütenden Naturgewalt war etwas ganz anderes. Ganz klein kam man sich daneben vor.
Engagieren Sie sich auch abseits der Bühne für eine gerechtere Welt?
Sicher nicht genug, aber ich spiele nun mal sehr viel und den Rest meiner begrenzten Zeit möchte ich meiner Familie widmen. Wir planen aber ein grosses Benefizkonzert in der Tonhalle Zürich für die Krebsforschung des dortigen Kinderspitals. Ebenfalls in Diskussion ist ein erneutes Klimakonzert mit der Berliner Staatskapelle, dessen Ertrag in Umweltprojekte fliessen soll. Für mich durchaus eine soziale Komponente haben die Kinderkonzerte, die für mich ganz wichtig sind, obschon sie eigentlich mehr Arbeit als Ertrag mit sich bringen.
Wo sind Ihre Gedanken, während Sie die Violine spielen?
Schon in den Stunden vor dem Konzert bin ich ganz im Stück, konzentriere mich nur darauf, gehe ganz darin auf. Wenn ich dann auf der Bühne stehe und spiele bin ich im besten Fall das Stück und nichts mehr anderes.