Da steht er mit Italo-Sonnenbrille, Jeans und Turnschuhen, und man fragt sich: Was will der junge Städter hier? Da, wo die Kuh den Status eines Supermodels hat, die Luft nach Schweiss und Bratwurst riecht, da, wo die Frau mit dem Mann schimpft, weil der ihr das Bier über die Tracht geleert hat.
Guillaume kommt direkt aus den Bauernferien, er hat den Stallgeruch noch in der Nase. «Jetzt bist du ein Profi im Melken, n’est-ce pas?», fragt der Papa – Guillaume wirft ihm einen «Nerv nicht!»-Blick zu. Er schwitzt, er hat Hunger, und er versteht kein Schweizerdeutsch. Aber heute gilt: «C’est Papa qui décide – Papa entscheidet.»
Und Papa hat eine Mission: Pierre Maudet will sich die Deutschschweiz zum Freund machen. Denn im Gegensatz zu seinen Mitstreitern Ignazio Cassis und Isabelle Moret ist er kein Parlamentarier, in Bern kennt man ihn kaum. «Sie sind doch der von der SVP?», schmettert ein Mann im Edelweisshemd neben dem Bierstand. «Nischt ganz», antwortet Maudet und lacht.
Auch wenn er auf den ersten Blick nicht so recht nach Interlaken passt – er hat mit der urigen Schweiz viel gemein: Er ist ehrgeizig, diszipliniert und bodenständig. Pierre Maudet ist ein politischer Senkrechtstarter. Mit 21 Jahren zieht er ins Genfer Stadtparlament ein und schafft 2007 als 29-Jähriger den Einzug in die Stadtregierung. Seit 2012 sitzt er als Polizeidirektor und Wirtschaftsminister in der Kantonsregierung.
Sein Ehrgeiz
Und jetzt möchte er also Bundesrat werden. «Ich höre oft, ich solle noch zehn Jahre warten», sagt Maudet bei einem Glas Weisswein im Festzelt. «Aber ich glaube, meine Zeit ist jetzt» – dieser Satz kommt so selbstbewusst wie unmissverständlich.
Maudet deutet auf das Potpourri aus Festgästen: Metzger, Kassierer, Pöstler oder Buchhalter. «Durch die Digitalisierung werden sich bis 2030 die Berufe der meisten Menschen hier gewandelt haben», erklärt er – «ich kenne die Probleme und habe Lösungsvorschläge.»
Maudet schaut auf sein Smartphone, postet auf Instagram ein Foto aus dem Festzelt: Jodler mit Fleisch- und Chäsplättli. «Unspunnenfest – What else?», tippt er mit zwei Zeigefingern – für die «Generation Daumen» ist selbst er zu alt.
Seine Disziplin
Wer sich durch seine Instagram-Bilder klickt, muss annehmen: Die Tage dieses Mannes haben mehr als 24 Stunden. Heute in Interlaken, gestern in Basel, vorgestern in Bellinzona – der 39-Jährige führt eine beispiellose Wahlkampagne. In der Öffentlichkeit ist er auf allen Kanälen präsent.
Sein leidenschaftliches Weibeln ist, zugegeben, nicht sehr schweizerisch. Und doch kommt er damit an – zumindest am Unspunnen. Welch ein Hallo, wenn er sich zu wildfremden Menschen auf die Festbank setzt: «Chumm, Pierre, eine näme mer no!» Maudet macht bereitwillig Selfies, debattiert über die geplante AHV-Reform, lobt das lokale Rugenbräu.
Doch letzten Endes muss er die Parlamentarier von sich überzeugen. Am 1. September entscheidet die FDP-Fraktion, wen sie der Bundesversammlung für die Wahl am 20. September vorschlagen will. Der Tessiner Cassis gilt als gesetzt. Eine Frau auf dem Ticket ist ebenfalls wahrscheinlich. Reicht es auch für Maudet?
Der Genfer alt Nationalrat Ueli Leuenberger, der während seiner Amtszeit immer wieder mit Maudet zu tun hatte, sagt: «Gut möglich, dass er für den Geschmack mancher Parlamentarier zu forsch vorgeht.» Dennoch räumt ihm der Grüne Chancen ein: «Maudet ist ein staatstragender Mann; er zeigt Härte, ist aber offen für pragmatische Lösungen.» Tatsächlich ist Maudet kein Schubladen-Typ: Als Sicherheitsdirektor geht er hart gegen kriminelle Ausländer vor. Gleichzeitig setzt er sich für eine erleichterte Regularisierung von Tausenden Sans-Papiers ein.
«Pierre arbeitet sehr viel», sagt seine Frau Catherine bei Wurst und Käse, «mehr ist gar nicht möglich.» Sie selbst ist 60 Prozent als Archivarin tätig. «Unser Alltag funktioniert eigentlich gut – kompliziert wird es erst, wenn nicht alles nach Plan läuft, etwa wenn ein Kind krank ist.» Aber im Ernstfall könne sie immer auf ihren Mann zählen.
Seine Bodenständigkeit
Mit 28 wird Maudet erstmals Vater. «Eine Familie zu gründen, war die beste Idee meines Lebens», sagt er, «weil sie mich erdet.» Wenn er daheim Geschirr abwasche oder den Kindern eine Gutenachtgeschichte erzähle, sei er ein ganz normaler Vater. Einer, der von seinen Kindern viel über Verhandlungsgeschick lernen könne: «Es ist kniffliger, mit Kindern zu verhandeln als mit der Polizeigewerkschaft.»
Im Festzelt drehen sich die Verhandlungen an diesem Nachmittag um die Frage: Wann gehen wir endlich heim? Das Apéroplättli ist leer, Ludivine zwirbelt ihren Fidget Spinner, einen dreiblättrigen Fingerkreisel, Guillaume scharrt am Boden in den Holzschnitzeln. Und Amélie hat ein deutsches Wort aufgeschnappt: «Papa, was bedeutet Heimat?»
Falls Maudet die Bundesratswahl gewinnt, will die Familie nach Bern ziehen. Dann müssten sich auch Guillaume, Ludivine und Amélie mit einer Sprache anfreunden, die für sie jetzt noch ziemlich «bizarre» klingt.