«Nur ich muss glücklich sein.» Manchmal ist das Leben so simpel. Alisha Lehmann, 19, denkt im vergangenen Frühling, dass sie doch jung ist und ihr Herz federleicht. Dass sie liebt. Und es sich richtig anfühlt.
«Es gibt keinen Grund zu überlegen, was die anderen denken. Nur du musst glücklich sein.» Das hatte ihre Mutter doch immer gesagt. Darum sagt sie allen, die es wissen wollen, was sie herausgefunden hat. Dass sie erstmals in ihrem Leben in eine Frau verliebt ist. Alisha ist verliebt in Ramona. Das ist alles, was zählt.
«Mir imponiert, wie schnell sie einen klaren Kopf hatte», sagt Ramona Bachmann, 28, bevor sie durchgeschüttelt wird. Der Busfahrer räubert auf dem Weg in die City gerade über die Schwellen einer Quartierstrasse in Surbiton. Hier, im verschlafenen Südwesten Londons, wo die Strassenzüge wie unheimliche Klone wirken, leben die zwei in einer kleinen Wohnung.
«Plötzlich schauten wir uns etwas länger an»
Zweieinhalb moderne Zimmer, in der Stube ein Tisch, eine Couch, ein Christbaum, Pokale. Von hier aus sind beide in einer halben Stunde auf dem Trainingsgelände ihrer Clubs. Bachmann, die 28-jährige Luzernerin, bei Chelsea London, Lehmann, die 19-jährige Bernerin, bei West Ham.
«Wissen Sie», sagt Bachmann, «wir machen die Beziehung nicht nur für uns öffentlich, sondern auch für andere. Jeder soll so sein, wie er ist.»
Dass sie sich am Arbeitsplatz verlieben, im Schweizer Nationalteam, kommt unerwartet. «Zu Beginn verstanden wir uns einfach gut, verbrachten viel Freizeit miteinander», sagt Lehmann. «Plötzlich schauten wir uns aber etwas länger an. Und etwas anders. Da wars bereits um uns geschehen.»
Für Bachmann ist es nicht die erste Beziehung mit einer Frau. Für Lehmann schon: «Ich habe mich in die Person Ramona verliebt. In eine Fussballerin, zu der ich früher aufgeschaut habe und es immer noch tue. Und die ich jetzt als Menschen kenne. Aber ich würde nicht sagen, dass ich generell auf Frauen stehe.»
Ihre Offenheit kommt gut an. Bei Freunden, dem Vater, dem älteren Bruder, den zwei jüngeren Schwestern. «Nur die Mutter war zu Beginn verunsichert. Aber das legte sich. Sie hat Ramona schnell ins Herz geschlossen.»
Seltenes Outing im Spitzensport
Ein öffentliches Outing mag nichts Aussergewöhnliches mehr sein. Im Spitzensport aber bleibt es die Ausnahme. Lara Dickenmann, Rekordtorschützin der Nati, macht ihre Beziehung zur FCZ-Spielerin Barla Deplazes erst diesen Herbst bekannt. Im Alter von 32 Jahren. Im Männerfussball gibt es keinen aktiven Top-Spieler, der sich geoutet hat.
Der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger etwa ist erst nach seinem Rücktritt bereit, über seine Homosexualität zu reden. Und sagt: «Ich kann mir nicht vorstellen, Fussball zu spielen und das zu machen. Wir haben einen langen Weg vor uns, weil wir eine Reaktion fürchten. Schwule Fussballer sind unsichtbar.» Im Jahr 2018 können Computer zwar Gespräche führen und husten, Männer auf dem Fussballplatz aber nicht auf Männer stehen. Im Team ein Paar? Undenkbar!
Gemeinsame Profi-Karriere in London
Die Frauen sind mehr als einen Schritt voraus. «Unter Fussballerinnen ist es das Normalste der Welt», sagt Bachmann. Sie und ihre Freundin haben das Glück, in derselben Stadt leben und als Profis spielen zu können. Als die junge Berner Stürmerin vergangenen Sommer ein Angebot von West Ham bekommt, muss sie nicht lange überlegen, wo sie ihr Sportler-KV beendet. Statt 50 Franken Prämie, die es bei den YB-Frauen als Amateurin für einen Sieg gibt, verdient die pfeilschnelle Spielerin mit ihrem ersten Profivertrag um die 50'000 Franken pro Jahr.
Ihre Freundin Ramona, welche im internationalen Frauenfussball zu den grössten Stars gehört und 2015 als Weltfussballerin nominiert war, kassiert mehr als das Doppelte. Bachmann, die bereits mit 16 ihre Lehre als Logistik-Assistentin schmeisst, um zuerst in Schweden, dann in den USA, wieder in Schweden und in Deutschland zu spielen, schwärmt von der Professionalität ihres Clubs Chelsea, des 2-Milliarden-Unternehmens.
20 Festangestellte gibt es bei den Frauen, welche die gesamte Infrastruktur der Männerabteilung nutzen können. Bei Chelsea sind grosse Rasen-Entertainer, wie der Belgier Eden Hazard, engagiert, der in vier Tagen so viel verdient wie Bachmann in einem Jahr.
Frauenfussball ist noch nicht Big Business. Zwar kommen zum Cupfinal 45'000 Zuschauer. Aber in der Meisterschaft nur 1500. Ihre Emotionen sind deshalb nicht weniger stark. Manchmal, nach Niederlagen oder schlechten Spielen, liegt Bachmann wach im Bett. «Dann geht das Gedankenkarussell los, während Alisha neben mir schläft wie ein Stein.» Der Teenager, der den ganzen Tag lacht und leuchtet und rast wie eine Sternschnuppe, ruht nachts selig.
Strukturierte Trainings statt wilde Partynächte
Die Wochen sind dominiert von den Spieltagen, die Tage von den Trainings. Das Nachtleben der schillernden Weltstadt zu geniessen, ist für die jungen Frauen bis auf wenige Ausnahmen tabu. Dafür gehen sie gerne gut essen oder ins Kino.
Schwierig wird es, wenn sie gegeneinander spielen, sagt Alisha. Als Chelsea gegen West Ham 2:0 gewinnt, schiesst Bachmann beide Tore. «Das war das Schlimmste für mich. Nach dem Spiel nahm ich mir vor, nicht mehr mit ihr zu sprechen. Ich ging Ramona auch nicht abklatschen, weil ich so einen dicken Hals hatte. Sie tat auch noch so wichtig. Ich wollte schon ausziehen», sagt sie und lacht schallend.
Alisha ist froh, mit 19 eine so erfahrene Partnerin an der Seite zu haben, die schon weit gereist ist. Sie kann lernen. Sie hat noch alles vor sich. «Nur ich muss glücklich sein.» Manchmal ist das Leben so simpel.