Früher wollte sie Anwältin werden, heute kleidet sie welche ein. Die Bernerin Raquel Alvarez, 33, hat in nur vier Jahren ihr Label Wymann zum erfolgreichen Modeunternehmen mit 20 Mitarbeitern aufgebaut. Und das als «Gringa»!
2009 wanderte die Schweiz-Spanierin der Liebe wegen nach Rio de Janeiro aus und erfand sich dort neu. Das Model, das mit 17 den Wettbewerb Elite Model Look gewann und bei «Germany’s Next Topmodel» 2008 dabei war, legte ihre Gagen für ein Designstudium an. Mutig und auch etwas unbedarft gründete sie Wymann mitten in der brasilianischen Wirtschaftskrise 2014. «Das war nicht ideal, aber Krisen sind auch immer Chancen.» Alvarez fand eine Marktlücke, da sie fair produzierte Designer-Mode zum mittleren Preis anbietet – ein Novum in Brasilien.
Grösste Herausforderung: Chefin sein
2015 adelte die «Vogue» Wymann als Must-have-Label. Stars wie Miley Cyrus und Gisele Bündchen tragen es. Der Stil: Minimal-Maximal. Alvarez arbeitet mit Farben und schlichten Schnitten, die aber raffinierte Details wie grosse Ärmel und geschickte Reissverschlüsse haben. «Die Durchschnittsbrasilianerin trägt enge bunte Klamotten, ist sehr gepflegt. Immer ein bisschen too much. Meine Kundinnen sind Anwältinnen, Architektinnen oder Künstlerinnen, die viel arbeiten. Sie wollen praktische Stücke mit Aussage. Ich bediene einen Nischenmarkt», sagt sie zu ihrem Erfolgsgeheimnis.
Durchboxen? «Musste ich mich immer!» In Business-Meetings hat sie es in der Machokultur Brasiliens oft nicht leicht. «Als junge Frau Chef zu sein, ist meine grösste Herausforderung», sagt Alvarez, die sich als Girlboss sieht. Schon in der Schule begegnete die Halb-Seconda Vorurteilen, dass sie neben dem Modeln noch Jus studierte, erstaunte viele. In Brasilien half ihr aber das Schweizer Image: pünktlich, strukturiert, innovativ. «Brasilianer sind neugierig und glauben, dass alles, was aus dem Ausland kommt, per se besser ist.»
Die Familie im Hinterkopf
Am Modebusiness interessiert Alvarez neben dem Kreativen vor allem das Geschäft. «Ich mag Zahlen. Excel lügt nicht.» In Zukunft will sie mehr Aufgaben delegieren, eine Filiale in São Paulo eröffnen. «Bisher bin ich in alles involviert. Wymann ist noch ein Kleinkind.» Ihr Label benannte sie nach dem Mädchennamen ihrer Schweizer Mutter. Eine Reminiszenz an ihre Heimat, in die sie etwa einmal jährlich reist. Gerade weilt sie in Bern bei ihrer grossen Schwester und übernachtet zehn Tage unkompliziert im Kinderzimmer ihrer kleinen Nichte. Die Schwesternbande sind eng. «Wenn ich irgendeine Frage habe, rufe ich Melli an.»
Beruflich läuft alles rund, doch privat ging Raquels Ehe mit dem Brasilianer Felipe Raposo, 42, unlängst in die Brüche. «Wir haben uns einfach auseinandergelebt. Ich war erst 22, als ich ihn kennenlernte.» Jetzt lebt sie mit ihrer besten Freundin in einer WG in Rio – und geniesst das Single-Leben. Doch an Avancen mangelt es der quirligen Geschäftsfrau nicht. Brasilianer flirten intensiv und manchmal schräg: «Einer bezeichnete meine Haare mal als wertvolle Wolle», erzählt die Designerin lachend. Immerhin kreativ.