Es ist selten, dass ein Tennis-Coach einen Sponsorenvertrag unterschreibt. Severin Lüthi, 38, aber hat es so weit gebracht. Der Berner sitzt in einem Seitentrakt von Swiss Tennis in Biel und stellt ein paar Tage nach dem Triumph im Davis Cup gerade die limitierte Edition der Uhrenmarke Louis Erard vor. Dann redet er über sich und über seine Freunde: Roger Federer, 33, und Stan Wawrinka, 29.
Schweizer Illustrierte: Severin Lüthi, wen hätten Sie zum Sportler des Jahres gewählt?
Severin Lüthi: Natürlich gibt es für mich da nur zwei zur Auswahl. Roger spielte eine unglaubliche Saison, wurde wieder die Nummer 2, gewann fünf Turniere, gewann den Davis Cup. Ganz ehrlich hätte ich in diesem Jahr aber Stan gewählt. Weil er neben dem Davis Cup sein erstes Grand-Slam-Turnier gewann. Der Grand-Slam-Sieg ist ein Riesen-Highlight. Ich weiss nicht, ob das alle richtig einordnen können. Roger hätte ich die letzten zwölf Jahre immer gewählt. Weil er in einer Weltsportart so gut war. Er hat neue Massstäbe gesetzt.
Sie haben sich einen langen Traum erfüllt. Was bleibt vom grossen Davis-Cup-Triumph im Kopf hängen?
Der erste Moment ist unglaublich. Du weisst, wir haben das endlich geschafft. Plötzlich ist es Realität, und alles geht sehr schnell. Die Zeremonie, die Kabine, ein Bundesrat ist da, du gehst in die Pressekonferenz, kommst zurück, fährst gestresst zum offiziellen Abend. Du musst immer eine Rolle spielen. Klar, wir haben gefeiert, aber ich musste ins Bett, ich war tot, so müde. Am nächsten Tag gings zum Empfang in Lausanne. Es ging Schlag auf Schlag. Erst am Montagabend wurde alles ganz ruhig. Das war komisch. Dann sitzt du plötzlich alleine mit der Freundin zu Hause. Ich war glücklich, aber fertig.
Meine Freundin muss wegen meines Jobs oft verzichten
Ihre Freundin Claudia und Ihr Vater Ernst waren in Lille dabei. Konnten Sie zusammen feiern?
Es war ein schöner Moment für alle. Es war mir wichtig, das teilen zu können. Vor allem die Freundin muss wegen meines Jobs oft verzichten. Sie war glücklich für mich, weil ich so viel Energie hineingesteckt habe. Als Sohn hoffst du auch, dass du deinem Vater so etwas zurückgeben kannst. Er war stolz, dabei zu sein. Das freut mich für ihn.
War die Kombination der Storys nicht absurd? Federer verletzt sich ausgerechnet vor einem der grössten Finals der Tour in London, ein paar Tage vor dem wichtigen Davis-Cup-Final. Dazu gabs nach Mirkas «Crybaby»-Ruf während des Spiels hinterher ein verbales Scharmützel in der Kabine. Das kann man nicht mal als Franzose erfinden.
Ich habe damit gerechnet, dass die Medien das genüsslich ausschlachten. Klar, den Schluss des Spiels hätte es so nicht unbedingt gebraucht. Wichtig war, dass die beiden sich aussprachen.
Mussten Sie die Gemüter abkühlen?
Es half zweifellos, dass ich da war. Aber ich merkte auch, dass es nichts Gravierendes war. Dass sie über der Sache stehen. Ich habe gesehen: Wir haben alle dasselbe Ziel, wir lassen nichts zwischen uns kommen. Sie lachten sogar darüber. Die Episode hat gezeigt: Vielleicht waren die Franzosen am Ende nicht so ein Team, wie wir es waren. Ich will damit nicht sagen, wir hätten alles richtig gemacht und sie alles falsch.
Marc Rosset hat halb scherzhaft gesagt, diese Deutschschweizer wissen schon, wie sie es machen müssen, um im Rampenlicht zu stehen. Er meinte damit Roger Federer. Tat Ihnen Stan Wawrinka ein wenig leid, weil ihm am Sonntag der grosse Auftritt verwehrt blieb?
Im Nachhinein schon. Aber im Moment war ich einfach glücklich fürs Team. Stan war derjenige, der die Basis legte. Aber es ist wie im Eishockey: Es ist egal, wer die Tore schiesst. Stan hatte eine schwierige Phase gegen Serbien und gegen Kasachstan, diesmal war er es, der das Team mehr trug. Wir haben es zusammen gewonnen, das ist die Hauptsache.
Aber am Montag war nur einer seitengross auf der Titelseite der «Equipe»: Roger Federer.
Ja. Aber die beiden spielen ja nicht für die Titelseite. Sie wollen, dass man ihre Leistung anerkennt. Und Roger ist Roger. Jeden, den du neben ihn stellst, sieht...
...blass aus.
Ja, so kann man es auffassen. Nach dem, was er alles gewonnen hat, erscheint jeder so neben ihm. Das wird sich nicht ändern. Wenn sich einer da beklagt, begreife ich es nicht.
Die Jungs schreiben mir abends um elf noch SMS
Sie reisen mit Roger Federer das ganze Jahr um die Welt. Während er seine Familie dabeihat, sind Sie alleine. Wie funktioniert das?
Meine Freundin muss sehr viel Verständnis aufbringen. Vergangenes Jahr war ich 230 Tage mit Roger zusammen. Auch wenn davon ein paar Tage in der Schweiz waren. Aber es ist viel, keine Frage. Das fängt damit an, dass Claudia einen Teil ihrer Ferien an Turnieren verbringt, beispielsweise in New York. Und wenn wir nicht unterwegs sind, schreiben mir die Jungs abends um elf noch SMS. Da brauchst du jemanden, der Verständnis aufbringt. Ich bin ihr dankbar, keine Frage.
Haben Sie beide eine Abmachung, wann die Reiserei ein Ende hat?
Nein. Ich weiss ja nicht, wie lange Roger noch spielt, irgendwann ist ein Ende absehbar. Ich weiss nicht, ob ich mit ihm bis zum Schluss dabei bin und auch noch nicht, was danach kommt.
Wie gross ist Ihr Anteil am Erfolg von Federer und Wawrinka?
Es gibt den einen oder anderen Moment, bei dem ich weiss, ich konnte helfen. Ich will meine Rolle nicht überbewerten, ich kann sie richtig einschätzen. Es ist ein Anteil, der sich aber nicht in Prozenten festlegen lässt. Wenn es nicht gut wäre, was ich mache, wären wir jetzt nicht dort, wo wir sind.
Wie schwierig ist es für Sie, wenn Roger gegen Stan spielen muss? Wie im Final von Monte Carlo oder im Halbfinal von London? Ist es Ihnen unwohl?
Da halte ich mich sehr zurück. Die sind unangenehm. In Monte Carlo konnte ich sagen: Wenigstens gewinnt einer das Turnier. Aber ich sage vorher nicht viel und im Spiel schon gar nicht. Ich hocke in der Box und schaue zu. Das ist unglaublich unbefriedigend. Roger gibt mir sehr viel Freiheiten. Ich habe auch schon sein Training ausgelassen, um ein Spiel von Stan zu schauen. Dann denke ich schon, jetzt unterstützt du nicht mal deinen Spieler. Wenn sie gegeneinander spielen, bin ich immer froh, wenn das Spiel vorüber ist.
Wie gut spielen Sie noch Tennis? Können Sie ernsthaft ein paar Games gegen Federer oder Wawrinka spielen?
Nein. Ich bringe zwar mal einen Aufschlag oder so zurück, weil ich relativ gut retourniere. Aber wenn ich gegen die beiden Sätze gewinnen könnte, wäre ich selbst noch auf der Tour. Heute muss ich analysieren können. Es gibt viele erfolgreiche Trainer, die nie auf Profistufe Tennis gespielt haben. Aber um Roger einzuspielen, dafür reichts. Ein N4-Niveau spiele ich noch. Aber so gewinnst du gegen Roger natürlich gar nichts. Bei ihm wäre es schnell so, dass er sich langweilen würde in einem Match. Wenn er konzentriert spielt, gewinne ich kein Game. Vielleicht den einen oder anderen Punkt.
Sie verbringen auch sehr viel Lebenszeit in der Players Box auf der Tribüne. Worüber reden Sie da mit Mirka und Rogers Manager die ganze Zeit?
Ich bin konzentriert. Für mich ist es der Arbeitsplatz. Die Schwierigkeit liegt darin, dass rundherum die Tennisfans und Touristen sitzen und alles kommentieren. Das hat ungefähr die Qualität, wie wenn einer hinter Mourinho sitzt und sagt, wen er einwechseln soll. Was manchmal irritieren kann. Wenn die Leute meinen, ich schreibe ständig SMS, liegen sie falsch. Ich mache mir Notizen. Und ich rede nicht viel.
Ich liebe Rogers Kinder, sie sind so herzig
Ihr Job geht fliessend ins Private über, wenn Sie Rogers Töchter auf dem Schoss haben oder mit ihnen spielen.
Die Kinder sind ja selten am Court. Ich kann nur sagen, dass die beiden unglaublich tolle Kinder haben. Ich liebe sie wirklich, sie sind so herzig. Am Ende des Tages bin ich auch ein Freund von Roger. Es ist cool, zusammen etwas zu unternehmen. Diesen Teil gibt es auch.
Sie haben also auf Tour auch Freizeit, die sich nicht ums Tennis dreht. Und so etwas wie eine Familie.
Ja. Als ich früher noch spielte, hatte ich Mühe, weil ich alleine war. In Rogers Team ist das nicht so. Es ist eine grosse Familie. Wenn ich die Kinder das nächste Mal sehe, rennen sie auf mich zu, umarmen und küssen mich. Gestern oder vorgestern habe ich Roger angerufen, dann war Myla am Telefon und hat mich gefragt, wann ich endlich komme. Das ist süss. Das gibt einem auch viel.
Der Job wäre kaum machbar, wenn Sie sich mit Rogers Familie nicht so gut verstehen würden.
Ja, es sind alles gute Leute. Mit Bodenhaftung. Roger ist ein Supertyp, Mirka kenne ich auch schon ewig. Wir verstehen uns wirklich gut. Und wie erwähnt, die Kinder - auch wenn es nicht meine eigenen sind - kenne ich, seit sie auf der Welt sind. Mir sind alle ans Herz gewachsen. Auch die Leute, die Roger angestellt hat, die Nannys und so weiter, haben das Herz auf dem rechten Fleck.
Würden Sie als Spieler auch mit einem so grossen Tross reisen?
Das muss man sich erst mal leisten können, was sicher nicht bei allen der Fall ist. Seine Karriere ist nicht per Zufall so lange und so erfolgreich. Er hat die Familie als Ausgleich immer dabei und kann abschalten. Für mich wäre es tendenziell etwas zu gross. Aber wenn es mir einmal zu viel wird, kann ich auch auf mein Zimmer gehen.
Wollen Sie Familie?
Ja, das wäre ein Wunsch. Im Moment geht es noch, ich bin 38. Aber es wird nicht noch zehn Jahre dauern.
Was kitzelt Sie nach einem Jahr, in dem Roger fast noch mal die Nummer 1 wurde, und dem Sieg im Davis Cup noch?
Roger ist immer noch zu Grosstaten bereit. Beim Davis Cup müssen wir schauen, wie es weitergeht. Besser kann es fast nicht mehr laufen. Noch ist nichts fix fürs kommende Jahr. Der Davis Cup nimmt den Spielern in der Jahresplanung einfach sehr viel Flexibilität weg. Darum würde es jeder verstehen, wenn Roger und Stan etwas kürzertreten wollen.
Match for Africa 2: Am Sonntag, dem 21. Dezember, spielen Roger Federer und Stan Wawrinka im Zürcher Hallenstadion eine Exhibition zugunsten der Roger Federer Foundation.