Minus 12 Grad, 9.56 Uhr, klarer blauer Himmel: Viola Amherd, 56, trifft in einem Wäldchen in Davos Laret bei Masten 10 ein. Mit «Güete Morge» und einem Lächeln im Gesicht begrüsst die neue Vorsteherin des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) Soldaten, die einen wichtigen Strommasten von Davos beschützen. Es ist nur ein kleiner Teil der 5000 Soldaten, die am World Economic Forum in Davos im Einsatz stehen. Doch die Freude ist auf beiden Seiten gross.
Die Walliserin hat in ihrem Leben noch nicht viele Berührungspunkte mit der Armee gehabt. «Militär ist für mich absolutes Neuland», sagt sie und schaut sich im kleinen Hüttchen um, in dem die Soldaten ihre Stellung halten. «Das sind jetzt Milizsoldaten, oder?», fragt sie den anwesenden Kompaniekommandanten Kaufmann und deutet auf einen Soldaten.
Die CVP-Bundesrätin zeigt sich interessiert, fragt, ob der Einsatz am WEF Spass mache. Die Soldaten geben ehrfürchtig Antwort. Natürlich nur positiv. «Es macht mir Freude zu sehen, wie engagiert alle sind», schwärmt sie. Spontan schiessen Soldaten ein Selfie mit der Besucherin. Sie steht gerne hin und lächelt ins Smartphone.
«Für uns ist das ein Riesen-Highlight», sagt Kompaniekommandant Kaufmann. Dass Viola Amherd die erste Verteidigungsministerin der Schweiz ist, spiele dabei keine Rolle. «Wir sind loyale Soldaten. Egal, ob der Chef nun ein Mann oder eine Frau ist.» Doch zum Thema Geschlecht später.
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Amherds schwierigste Aufgabe
10.41 Uhr: Verschiebung zum Wolfgangpass. Viola Amherd schaut sich eine bodengestützte Luftverteidigungsanlage an. Diese kennt sie erst aus der Theorie. In einer Schulung lernte Amherd, was es heisst, die «Abschusskompetenz» zu haben. Als VBS-Chefin entscheidet die Walliserin im Ernstfall über den Abschuss von gefährlichen Flugobjekten. Das sei ein ganz schwieriger Akt, sagt sie. «Aber ich habe gelernt, dass es ganz klare Prozesse gibt, mithilfe derer ich die Entscheidung treffen kann. Zudem stehen mir Berater zur Seite.» Sie behalte im Hinterkopf, dass es ja nicht darum gehe, jemanden abzuschiessen, sondern mehr, Opfer zu verhindern.
Zur Luftsicherung gehören auch Kampfjets. Neue zu besorgen, ist eine der grossen Aufgaben, die Vorgänger Guy Parmelin ihr hinterlassen hat. Obwohl der SVP-Bundesrat, der jetzt Wirtschaftsminister ist, Amherd ein fixfertiges Dossier übergeben hat, das sie dem Gesamtbundesrat hätte unterbreiten können, entschied sich die Walliserin für gut überlegtes Handeln. «Ich will mich fundiert einarbeiten und dann Entscheidungen treffen.» Ein fixes Datum habe sie sich für die Beschaffung nicht gesetzt. «Ich werde mir jetzt erst einmal ein Bild über das Dossier machen und dann einen Richtungsentscheid fällen.»
Eine Frau unter Männern
12.41 Uhr: Ankunft in der Thurgauer Höhenklinik. Hier logieren 400 Soldaten. Zum Lunch servieren Rekruten Rösti mit Kalbsbratwurst an einer Zwiebelsauce und Broccoli. Dazu gibts Rotwein aus Mendrisio TI. Amherd bestellt das Menü ohne Fleisch. Sie ist seit Kind Vegetarierin. Obwohl sie Rot- und Weisswein mag, bleibt sie heute beim Tee. Nanu? Die Bundesrätin rührt ihr Menü gar nicht an! Ihr sei übel von der kurvigen Bergstrasse, erklärt sie. «Ich bin keine gute Mitfahrerin. Aber im Heli gings mir super!» Vielleicht lags auch an der Besatzung. Pilotin, Co-Pilotin und Flugbegleiterin – allesamt Frauen. «Es hat mich gefreut, mit einer reinen Frauencrew anzureisen», sagt Amherd.
Ob man will oder nicht, ihr Geschlecht ist ein Thema. Am Tisch tritt dies deutlich zutage, als Amherd als einzige Frau inmitten von Männern in Kampfanzügen speist. Lediglich die grüne Farbe ihres Outfits passt zur Camouflage. Zufall, sagt sie: «Ich habe einfach das Wärmste angezogen, das ich hatte.»
Sie habe gar nicht bemerkt, dass sie die einzige Frau am Tisch sei, sagt die Bundesrätin. «Als ich im Oberwallis in die Politik einstieg, war ich an vielen Sitzungen und Anlässen die einzige Frau. Da gewöhnt man sich daran.» Wenn man ihr anders begegne als einem Mann, dann vielleicht weil sie keine Vorkenntnisse im Militärbereich habe. «Aber ich werde nicht besser oder schlechter behandelt, weil ich eine Frau bin.»
Im Wallis hat sie sich längst gegen dominierende Männer durchgesetzt. Und: «Zur professionellen Arbeit gehört auch, Hierarchien zu beachten.» Sie weiss: Chef ist Chef – erst recht im VBS.
«Ich bin froh, im VBS zu sein»
Dass sie immer wieder bemitleidet wird, ins VBS «verbannt» worden zu sein, versteht Amherd nicht. «Es ist ein extrem vielfältiges und interessantes Departement.» Es bringe sogar Vorteile, scherzt sie. «Ich bin froh, im VBS zu sein. Denn so wohne ich näher an meinem Arbeitsort, als wenn ich zum Beispiel das Finanzdepartement bekommen hätte.» Zur Erklärung: Das VBS im Bundeshaus Ost ist näher an ihrer Berner Wohnung als das Finanzdepartement im Bernerhof.
14.18 Uhr: Abflug in Davos Frauenkirch. Nach einem halben Monat gibt es noch viel zu lernen. Einen Vorsatz nimmt sich Viola Amherd aber zu Herzen: «Ich habe mir vorgenommen, meine Wochenenden frei von Terminen zu halten.» Natürlich müsse sie auch dann Akten studieren. «Aber ich will weiterhin mal ein Wochenende Ski fahren oder wandern können. Ohne Erholungsphase fehlt einem die nötige Kraft zum Arbeiten.»
Mit diesen Worten besteigt die erste VBS-Chefin der Geschichte den von Frauen gesteuerten Super Puma und fliegt zu ihrem nächsten Termin.