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Roger Federer

«Wenn die Kinder glücklich sind, bin ich es auch»

Mit 31 Jahren gehen ihm langsam die Ziele aus. Im exklusiven Interview erklärt Roger Federer, warum er das schön findet und warum seine ganz grossen Abenteuerferien in ein paar Jahren geplant sind.

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Grosse Freiheit: Auf einer Harley die Route 66 befahren - auch für Roger Federer ein Traum.
ZVG

Gibt es überhaupt Grenzen für diesen Menschen? Vielleicht. Aber er ist ein Meister darin, sie hinauszuschieben. Im Sommer schafft Roger Federer, was ihm viele nicht mehr zugetraut hatten: Den siebten Sieg in Wimbledon, die Rückeroberung der Nummer 1. Er holt sich die letzten Rekorde, die ihm noch etwas bedeuten. Im Interview, das er vor den US Open in Cincinnati gewährt, ist er relaxt wie selten. Ein Mann, der mit seinen Ambitionen im Reinen ist.

Schweizer Illustrierte: Roger Federer, nach der Olympia-Einzelmedaille gibt es nicht mehr viel abzuhaken auf der Checkliste Ihrer Traumkarriere. Wie ist es, wenn einem die Ziele ausgehen?
Roger Federer: Ich finde das schön. Ganz ehrlich. Damit gehst du als Athlet durchs Leben. Du hast Ziele, die du gern erreichen würdest. Dann fragst du dich, ob dir das reicht, ob du noch mehr willst. Ist ein erster Erfolg nur ein Wegweiser? Bei mir fing das als Juniorensieger in Wimbledon an. Ich wusste, dass ich auf der richtigen Fährte war. Aber es war nicht die grosse Welt der Männer. Also musste ich ruhig bleiben. Ich träumte von mehr. Dann kam der erste Titel auf der Tour. Das Abhaken begann bereits damals. Eines Tages gewinnst du dein erstes Grand Slam, bist die Nummer 1, und du sagst: Okay, jetzt könnte meine Karriere eigentlich zu Ende sein.

Das ist jetzt immerhin acht Jahre her.
Dass man das Gefühl hat, sein Ziel erreicht zu haben, ist für mich nicht neu. Wegen diesem Sommer bin ich jetzt nicht weniger oder mehr motiviert oder will nicht mehr weiterspielen. Ich habe es erreicht, bin zufrieden. Aber es geht weiter.

Sie müssen sich also nicht mit Ihrer Frau und ihren Trainern an einen Tisch setzen und ernsthaft diskutieren, was Sie noch tun sollen mit diesem Racket?
Nein, nein. Die Zielsetzung kommt automatisch. Die Frage ist in meiner Situation immer, ob ich die Nummer 1 zurückholen will oder nicht. Dieses Ziel hatte ich im vergangenen Jahr. In Wimbledon und New York vermasselte ich mir das selbst. So musste ich trotz einem fantastischen Herbst lange warten. Das Problem ist: Wenn einer alles schluckt, wie Djokovic 2011, dann muss man umso länger warten, bis das Fenster wieder aufgeht. Wie dieses Jahr, wo jeder der Topspieler Grand Slams gewann. Aber das Ranking kann nicht immer das Ziel sein. Vor allem in meinem Alter. Ausser du kannst die Nummer 1 nochmals holen. Dass ich den Sampras-Rekord verbessern konnte, ist umso wunderbarer. Aber es hat einiges gebraucht. Acht Titel, ein Grand Slam, eine Weltmeisterschaft, drei Masters. Ganz so locker kommt man nicht zur Nummer 1. Derjenige, der an der Spitze steht, hat es sich hart verdient. Was mich immer bewegt, sind die Grand Slams, die mir wichtig sind. Das ist Ansporn genug.

Djokovic dominiert das Jahr 2011, gewinnt die Australian Open 2012, Nadal holt sich die French Open, den Sommer aber dominieren Federer und Murray. Überraschen Sie die schnellen Wendungen im Tennis nicht manchmal selbst?
Alles ist bei uns sehr kurzlebig, ja. In Paris wusste ich beispielsweise gar nicht, welcher Sieger mir nützt. Aber hätte Nadal nicht gewonnen, wäre ich in Wimbledon nicht die Nummer 1 geworden. Es passieren so schnell so viele Dinge. Weil du als Titelverteidiger so viele Punkte zu verteidigen hast, kann das Pendel plötzlich umschwenken. Darum ist es schwierig, über lange Zeit die Nummer 1 zu bleiben. Ich wusste, ich musste einfach bei den Leuten bleiben. Und prompt ging es auf. Mit 75 Punkten Vorsprung. Unglaublich.

Olympia war diesen Sommer ein grosses Ziel. Sie wollten Gold, es wurde Silber. Mussten Sie sich überwinden, Silber zu küssen?
Jeder geht anders damit um. Ich sagte mir, entweder gehst du jetzt da raus, machst auf saure Miene und zeigst deine Enttäuschung, oder ich schaue irgendwann zurück auf diese Bilder und sehe auch, dass ich doch irgendwie froh war über diese Silbermedaille. Dass es überhaupt eine Medaille wurde. So war es auch in der Realität. Ich ging nicht hin mit der Einstellung, dass nur Gold zählt und alles andere nicht. Natürlich hätte ich gern Gold mitgenommen. Aber der andere war stärker. So etwas muss man akzeptieren. Das sagte ich auch kurz darauf. Entweder akzeptierst du das in fünf Minuten, oder es kann dich bis zum Lebensende verfolgen. So konnte ich die Zeremonie einfacher durchstehen. Natürlich kann man für einen Moment enttäuscht sein, wenn es nicht genau das ist, was man sich erhofft hat. Aber am Ende soll man auf die Leistung trotzdem stolz sein.

Würden Sie die siebte Wimbledon-Trophäe für Olympia-Gold tauschen?
Wer im Tenniszirkus lebt, würde das wohl nicht machen. Wimbledon ist der heilige Gral. Klar vergleichen die Leute Olympia mit einem Grand Slam. Olympia ist einzigartig, keine Frage. Es ist wichtig. Darum bin ich enttäuscht, dass es nicht Gold wurde. Aber wenn man irgendwo Zweiter werden muss, dann am liebsten dort. So läuft man nicht mit leeren Händen heim. An Grand Slams erhältst du einen kleinen, billigen Teller, der nicht viel bedeutet. In Wimbledon stand für mich so viel auf dem Spiel. Der siebte Titel, die Nummer 1 mit dem Rekord - das war ein ganz aussergewöhnlicher Moment.

Nach der Olympia-Siegerehrung hatte man als Aussenstehender den Eindruck, dass Wimbledon doch viel mehr Gewicht hat als Olympia.
Ja, es ist seltsam. Den Eindruck hatte ich danach auch. Vielleicht war es auch deshalb, weil wir nicht geredet haben, wie wir das sonst bei Grand Slams tun. Murray konnte gar nicht ausdrücken, was er fühlte. Mich beschlich exakt dasselbe Gefühl. Ich dachte: Jetzt hat er Gold geholt - und das wars jetzt wirklich? Du gehst raus, kommst fünf Minuten später zurück, hast diese Medaillen-Zeremonie … und … (er zuckt mit den Schultern) … nichts mehr.

Murray kommt auch nach Basel. Er könnte Ihnen eine harte Zeit bereiten.
Je stärker das Feld, desto schwieriger für mich. Aber das ist der Reiz. Ich will gegen die Besten bestehen.

Das Schweizer Publikum kann im besten Fall noch ein paar Jahre Federer und Wawrinka im Kampf mit den Weltstars bestaunen. Danach aber ist nichts in Sicht.
Ja, es bahnt sich noch nichts an. Ich habe aber das Gefühl, dass die Basler einfach gern Tennis sehen, unabhängig von den Schweizern.

Es gibt Leute, die sagen, nach Ihnen kann man den Laden zumachen.
Mir ist klar, dass sich die Aufmerksamkeit in Basel auf mich fokussiert, mit meiner Geschichte, meinen Erfolgen. Es könnte sein, dass sie nach mir eine Art Babyblues bekommen, einen Rogerblues. Ich hoffe aber, dass das nicht der Fall sein wird. Denn es entwickeln sich immer neue spannende Geschichten. Einmal ist es Baghdatis, dann wieder ein anderer. Natürlich absorbiere ich momentan die Aufmerksamkeit. Ich spiele zur besten Zeit, die Leute sind in der Halle. Dann gehen sie essen, die Halle ist leer. Aber das ist auch verständlich. Die Situation ist einzigartig.

Wie sehr würde Sie das schmerzen, wenn die Schweiz nach Ihnen in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würde?
Sehr, natürlich. Aber damit kämpfen viele Länder. Wie viele Top-10-Spieler hatten wir denn? Fünf? Sechs? Dass wir eines Tages wieder etwas in der Versenkung verschwinden, das ist nur normal. Da muss man realistisch bleiben und warten.

Die Schweiz hat Junioren-Weltmeister im Fussball, im Ski, Wimbledon-Juniorensieger. Aber danach schaffen es viele Talente nicht. Ist das ein Systemfehler?
Für mich ist es schwierig, über andere Sportarten zu richten. Vieles hat mit persönlichem Charakter zu tun. Dass man den Willen hat, nicht zu bequem wird. Ein Fehler ist auch der, dass viele ein falsches Timing haben. Man muss so trainieren, dass man Mitte zwanzig seinen Höhepunkt erreicht, nicht mit 15 oder 17 Jahren. Bei mir war das so. Ich habe meine Schläge immer voll durchgezogen und keine Angst gehabt, wenn ich 1:6, 0:6 verlor. Ich wusste, dass Juniorenresultate nicht so viel wert sind. Ich wusste, dass sich das später auszahlt. Als ich damals in Münchenstein noch zur Schule ging, durfte ich mit 14 Jahren nach Amerika reisen. Ich machte von dort meine Hausaufgaben, faxte das Ganze zurück nach Hause für fünf Franken pro Seite. Das war der Horror, aber das wurde mir ermöglicht. Ich kam zurück und ging nach Ecublens zu Tennis Etudes. Da war der Link zwischen Tennis und Schule sehr gut. Ich hatte viele Leute, die mir halfen. Wenn es im schulischen Bereich hapert, kann dich das natürlich aus dem Sport treiben. Die jungen Sportler müssen aber bereit sein, ihr Nest zu verlassen, zu reisen, Opfer zu bringen, nicht nur bequem daheim zu sitzen. Ich wäre auch am liebsten zu Hause geblieben. Aber ich wusste, dass man einen Preis bezahlen muss.

Zu Hause sind Sie seit fast einem Jahrzehnt nur selten. Sie fliegen dauernd um den Erdball. Warum besitzen Sie noch kein Flugzeug?
Ach, warum sollte ich? Davon wurde mir von allen abgeraten. Ich würde das gar nicht wollen. Kommt dazu, dass ich sehr gern mit grossen Flugzeugen unterwegs bin. Die sind wunderbar. Natürlich reise ich in Europa und Amerika mit Privatjets. Weil ich mit Netjets auch einen sehr guten Partner in diesem Sektor habe, kostet mich das nichts. Aber ein eigenes Flugzeug? Stellen Sie sich vor, ich würde nicht reisen. Dann steht das Flugzeug eingerostet da. Mit dem Piloten. Nein, nein, da soll man es nicht übertreiben.

Wie Simon Ammann eines Tages den Flugschein zu machen, das interessiert Sie nicht?
Nein, das muss ich nicht haben.

Fliegen Ihre Zwillinge gern?
Ja, sie haben keine Angst. Sie bekommen auch kein Ohrenweh, zum Glück.

Gibts noch weisse Flecken auf Ihrer Weltkarte? Wohin würden Sie gern einmal fliegen? 
Natürlich gibt es viele Länder, die ich nie gesehen habe. Ich reise eben häufig an dieselben Orte zurück. Wichtig war mir, Indien einmal zu besuchen, auch Japan. Jetzt Südamerika, in diesem Spätherbst. Auch wenn es nur ein paar Tage sind, neben den Exhibitions. Dann bekommt man ein Gefühl für die Leute. Darum freue ich mich riesig auf Südamerika. Es ist ein grosser, wichtiger Kontinent. Von Asien bin ich generell fasziniert. Wie viele Leute es dort hat, wie anders die Kultur dort ist. Die Höflichkeit, die grossgeschrieben wird. Auch in Afrika habe ich viele Länder, die ich gern einmal sehen würde. In Europa habe ich vom Osten wenig gesehen. Da kann Mirka mehr vorweisen. Ich war als Junior halt oft in Italien, in Frankreich und Deutschland.

Gibt es lange Diskussionen punkto Feriendestinationen?
Nein. Erstens bin ich da ziemlich entspannt, und zweitens haben wir dasselbe Gefühl nach dem grossen Stress. Meistens wollen wir an die Wärme, um uns zu erholen. Möglicherweise ist das in zehn Jahren anders. Dann sagen wir vielleicht: Jetzt ist es ruhig genug im Leben, jetzt wollen wir etwas erleben. Dann machen wir wohl Abenteuerferien. Aber momentan muss ich lachen, wenn ich Leute höre, die sagen, sie könnten nicht zwei Stunden auf der faulen Haut liegen, sie müssten sofort etwas unternehmen. In meinem Leben bin ich froh, einfach einmal abschalten zu können.

Da hats nicht einmal Platz für ein Buch, wahrscheinlich.
Nein, ich habe noch nie ein Buch gelesen in den Ferien.

Den Kindern ist es egal, wohin Sie in die Ferien fliegen?
Na, ja, am Sand haben sie schon Freude. Das wusste ich aber schon früher. Jedes Mal, wenn ich in den Ferien bin und Kinder am Strand sehe, sind sie glücklich. Von daher ist ein Pool oder ein Strand ein Muss. Denn wenn die Kinder glücklich sind, bin auch ich glücklich.

Im aktuellsten Fotoshooting sieht man Sie auf der Route 66 mit einer Harley. Wäre dies auch ein Fernziel?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe ja in St. Anton mal eine Harley gewonnen.

Haben Sie überhaupt eine Lizenz für die?
Nein, ich habe sie ja auch meinem Vater geschenkt. Er fährt sie unterdessen. Eigentlich wäre es schon ein Traum. Das Gefühl von Freiheit muss etwa so sein, wie wenn man im Tiefschnee Skifahren geht. Da fühlt man sich wohl nahe am Fliegen. Sagen wir es so: Zuerst würde ich skifahren, dann auf die Harley.

Wenn Sie wählen könnten, dann würden Sie auch ein Auto der Harley vorziehen.
Ja. Von Autos war ich immer schon Fan. Ich habe Automagazine angeschaut, weiss alles über Autos. Ich weiss noch, als ich damals den Führerschein gemacht habe. Nachdem ich meinen Ausweis abgeholt hatte und das erste Mal allein im Auto war, liess ich die Scheiben herunter, hörte laut Musik und fühlte mich frei. Das war ein grosser Moment in meinem Leben. Darum bleibt das Auto für mich wichtig. Ich fahre immer, wenn sich die Gelegenheit bietet. In Cincinnati, Miami, Indian Wells, Australien. Fast bei der Hälfte aller Turniere fahre ich selbst.

Immer auf der richtigen Strassenseite?
Nein, als ich einmal von Australien in die Schweiz zurückkehrte, fuhr ich auf die Strasse, aber es hatte keine anderen Autos. Und ich wusste tatsächlich für einen Moment nicht, wie man fährt. Da war ich - glaube ich - auf der falschen Seite.

Auf der falschen Seite stehen Sie sonst nicht allzu oft im Leben.
Nein, wirklich nicht!

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Von Christian Bürge am 11. September 2012 - 09:23 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 23:22 Uhr