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  4. Mode Trend 2020: Alle tragen Leder-Bondage-Geschirr
Harte Gangart auf dem Roten Teppich

Alle tragen Harness – und heimlich eine Peitsche?

Geschirr steht nicht nur in der Küche, aus Leder gehört es an den demütigen Leib. Das adäquate Umfeld, um an die Leine gelegt werden, ist nicht mehr nur die Streckbank, sondern gern die exklusive Awardverleihung. Die Creme de la Creme Hollywoods kommt im «Harness» – was soll dieser Fetisch?

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BEVERLY HILLS, CALIFORNIA - JANUARY 05: Kerry Washington attends the 77th Annual Golden Globe Awards at The Beverly Hilton Hotel on January 05, 2020 in Beverly Hills, California. (Photo by Daniele Venturelli/WireImage)

Kerry Washington kam diese Woche im glitzernden Harness von Altuzarra zu den 77. Golden Globes.

WireImage

Kerry Washington trägt einen seidenen Rock, dazu einen Blazer, der offen steht. Darunter spannen sich strassbesetzte Riemen über den athletischen Körper. Ihr Golden-Globe-Look ist sexy, er ist gewagt, weil nackt. Wäre der Blazer weg, was wäre dann? Da wären vermutlich sehr schöne Brüste. Aber auch ein luxuriöses Geschirr. Hat es hinten einen Haken? Kann man die Schauspielerin anleinen? Bei so manchem Betrachter mag es rotieren im Köpfchen. Auch, weil der Look ohne das schimmernde Beiwerk nur halb so spannend wäre. Einfach nur Nacktsein kommt nicht an eine kleine, aber feine Bondage-Fantasie ran. Kerry Washington trägt ein «Harness» auf dem Red Carpet und ist damit in guter Gesellschaft.

Wir erinnern uns alle herzklopfend an den zierlichen Wunderknaben Timothée Chalamet, der Kerry 2019 zuvor kam. Auch er trug Harness auf dem roten Teppich. Zwar nicht direkt auf der zarten Brust, aber auch glitzernd. Nur ein paar Tage später sprang der muskelbepackte «Black Panther»-Gegenspieler Michael B. Jordan an den SAG Awards auf die Bühne, um einen Preis als Beute zu reissen – in rosa-blasslila Harness. Aufgezäumt von niemand geringerem als Virgil Abloh, der die Geschirre für Louis Vuitton entworfen hatte.

Stoffgewordene, ganz zügellose Fantasien

Nun hat man ja ursprünglich mal Pferden die Zügel angelegt. Was dann kam, war freilich und wie immer der Mensch. Zum Lustgewinn und zur Flucht aus der spiessigen Realität schmeisst er sich ins Leder, wenn er denn gerne unterworfen werden will. Wer so ein Halfter trägt, kann gelenkt, dominiert, geritten werden, sieht aber auch ziemlich heiss aus. Das Ledergeschirr unterteilt den Oberkörper und lässt dabei die aufregenden Partien frei, wie auf dem Präsentierteller. Wer nicht gerade über eine queere Bondage-Party tanzt, füllt diese Lücken mit Stoff. Aber schockt das noch irgendwen?

Im Fall von Kerry Washington wird der Blazer übergeworfen. Ist sie demnach eine Domina? Ein ungezähmtes Sex-Tier? Männer, ob nun intellektueller Welpe oder riskanter Actionheld, wagen sich an homoerotische Klischees, indem ihnen scheinbar nur noch der Knebel im Mund fehlt. Die Zürcherin Yvonne Reichmuth, die für ihr Label YVY tragbaren Luxus aus Leder entwirft und schon dem strahlendsten Celebrity ein Harness umgeschnürt hat, vermutet:

«Ein neues, vielseitiges Männerbild überholt den traditionellen Stereotyp. Auch Mann traut sich, ein Harness als Fashion Statement zu tragen. Seine Wurzeln in der Bondage-Szene und die Assoziationen dazu sind dabei nicht komplett ausgelöscht, aber man fürchtet sie nicht und geht unbeschwerter damit um.»

Einer für alle, alle für einen 

Und Frauen? Yvonne Reichmuth verweist dabei auf die neue feministische Bewegung, die womöglich dazu beiträgt, dass sie sich mit Kleidern stark fühlen möchten – und so aufrüsten. Folglich wird das Harness (gerne auch aus Stoff oder Strass) über Oversize-Hemden und Shirts gelayert und wird, mit Taschen angereichert, zur Bauchtasche 2.0, um die Hände frei zu haben für alles, was Frau eben heute so macht. Und das ist bekanntlich verdammt viel.

So kommt zusammen, was zusammengehört. Was früher scharf getrennt war, wird heute integriert – wie der Fetisch in die bürgerliche Welt: Das harte Halfter zur zarten Elfe (siehe Kerry Washington und Timothée Chalamet) und das Sklaven-Toy zum übermenschlichen Bösewicht. Alles geht, nichts muss. In der Mode und sowieso.

Von Linda Leitner am 7. Januar 2020 - 19:24 Uhr