Der Glitzer knirscht unter ihren Füssen, wenn die Models durch die hoch aufgeschütteten, funkelnden Berge laufen. Die Trenchcoats und Kleider wippen, das Haar weht sanft nach hinten. Legt Ohren frei, die nicht von dieser Welt scheinen. Ohren, die an Dobby, den Hauself, erinnern – den Begleiter eines Zauberers. Der Magier ist hier Riccardo Tisci, Creative Director bei Burberry. Die Wesen mit den schlaffen Löffeln: die schönsten Frauen der Welt, die hier in digitaler Form die Frühjahr-/Sommerkollektion des britischen Traditionslabels für den nächsten Sommer präsentieren.
Wir sollten ja die Ohren steif halten – das hörte man während der letzten Monate immer wieder. Inzwischen ist da ein Post-Lockdown-Instinkt, der Sex-Appeal zurückfordert. Für Tisci besteht der aus dem Aufbrechen von Gewöhnlichem. Da sind einerseits die Trenchcoats, für die Burberry so berühmt ist, die im ersten Moment so britisch adrett wirken, sich aber hintenrum auflösen, wenn die Kamera den Mädchen folgt. Und da sind andererseits diese monströsen Ohren, ganz und gar nicht steif, ganz und gar nicht niedlich unauffällig, wie es sich für ein Model gehört. Sie schaffen einen imperfekten Wackelkontakt zwischen all dem Glitzer, der Luxusmode und den gut geföhnten Haaren. Er lässt uns auflauschen.
Diversität als Propthese
Jetzt, im Modemonat September, achtet man ja wieder besonders stark drauf: Wen schicken die Designer über den Laufsteg? Wie vielfältig ist das Aufgebot? Schöpfen die Brands aus den Vollen? Schätzen Farben und Formen? Reden wir von Models jenseits der 40 – dann gelten Ikonen wie Naomi Campbell und Kate Moss nur bedingt. Diskutiert man After-Baby-Bodies, dann ist Emily Ratajkowski nicht die optimale Wahl. Die haben das mit dem Altern und dem Straff-Bleiben toll gemacht, entsprechen aber nicht der Norm. Wir spielen auf die Versace-Show, die sich mit Fendi verschwisterte, in Mailand an, die all das zeigte.
Bei Burberry bastelte Isamaya Ffrench, Make-up-Artist und Burberrys globale Beauty-Direktorin, bildschönen jungen Dingern nun fleischige Horcher ans makellose Haupt. Und ja, das sieht bezaubernd aus, wie sie da so durchs Haar spitzen. Und klar, das wäre auch reizend, handle es sich um reale, sagen wir, abstehende Ohren. Die aufgeklebte Botschaft ist ja vielleicht eine gute: Optisches Aus-der-Reihe-Tanzen ist sexy. Störfaktoren sind aufregend. Sei das nun der Höcker auf der Nase, der runde Bauch oder der dezent gefüllte Po.
Nun trug die Kollektion den Titel «Animal Instinct» und darf als Ode an Riccardo Tiscis Mutter Elmerinda, die im August verstarb, empfunden werden. «Wir stammen vom Tier ab. Wir haben einen animalischen Instinkt, der sich vor allem dann bemerkbar macht, wenn wir Glück, Depression oder Traurigkeit empfinden», so der Designer zu Vogue. Er wollte seinen Models eben diese Emotionalität schenken, die Tiere durch ihre Ohren zum Ausdruck bringen. Und weil Burberrys Creative Director schon seit jeher eine liebevolle Verbindung zu Bambi hegt, haben wir es hier mit vermenschlichten Reh-Lauschern zu tun. Damals bei Givenchy druckte er das Disney-Wesen auf T-Shirts und Hoodies, auf dem aktuellen Cover des Magazins dsection trägt er sowohl das Tierbaby selbst als auch dessen Ohren. Hört, hört – Tiere verbergen nicht, was sie fühlen. Die Sehnsucht nach Akzeptanz ist es also, die bei Burberry durch die Glitzerberge wabert und sich unter der beigen Baumwolle versteckt. Und das gilt für Befindlichkeiten ebenso wie für vermeintliche äussere Entgleisungen – die nicht bloss aufgeklebt sind.