Alle drei Monate analysiert die Mode-Suchmaschine Lyst das Onlineshopping-Verhalten von über neun Millionen Nutzern im Internet und ermittelt, welche It-Pieces und Labels gerade ganz oben anstehen. Normalerweise liest sich das Endergebnis so oder so ähnlich: Die neuste Cap von Gucci, der In-Gürtel von Off-White, das hauchzarte Kleid von Jacquemus. Je ausgefallener, exklusiver und, ja, teurer, desto besser … Nun flatterte ganz frisch die neuste Ausgabe in unser digitales Postfach, die das zweite Quartal 2020 auswertet. Die Corona-Edition sozusagen. Und siehe da: Auf einmal ist alles anders.
Der Spitzenplatz? Bezahlbar!
Zum ersten Mal seit der Einführung des Index Anfang 2017 steht an der Spitze keine Luxusmarke. Stattdessen schaffte es auf Platz eins der beliebtesten Brands der Welt – Trommelwirbel – Nike! Richtig wundern tun wir uns darüber noch nicht. Denn die zwei Dinge, die uns und den Rest der Welt während der Quarantäne über Wasser hielten, waren zum einen kuschelige Home-Outfits zum Entspannen, und zum anderen der Ausgleich: Sport im Freien. In, naja, Sportbekleidung. Beides bekommt man beim Gewinner-Label in Hülle und Fülle. Und das nicht nur im (zwischenzeitlich geschlossenen) Store, sondern auch online. Dazu kommt die klare Haltung des Unternehmens: Schon lange vor dem Fall von George Floyd setzte sich Nike für Rassismus-Bekämpfung ein. Und siehe da: Während alle anderen wirtschaftlich unter der Krise leiden, geht das Sportlabel als Gewinner aus der schweren Zeit hervor.
Was uns bei genauerer Betrachtung aber doch stocken lässt: Der erschwingliche Brand ist kein Einzelfall. In den Top 10 der angesagtesten Artikel finden sich gerade mal vier Luxus-Pieces, die ein Loch in den Geldbeutel reissen. Der Rest liegt im mittleren bis tiefen Preissegment. Ein pinkes, schulterfreies Kleid von H&M schaffte es auf den neunten Platz. Der Tennisrock von Adidas, das gehypte Shirt von Frankie Shop, ein bequemes Bustier von Calvin Klein – alles keine utopischen Investitionen, von denen wir nur träumen können. Und ganz oben stehen – wer hätte es gedacht – tatsächlich gute alte Birkenstocks. Ein ziemlicher Kontrast zur Cassette Bag von Bottega Veneta, die sich noch vor drei Monaten den Spitzenplatz sicherte. Sie kostet etwa das 30-fache der Kultsandalen und baumelte, als es noch regelmässig Street-Style-Fotos gab, am Arm von jedem zweiten Influencer.
Neue Zeiten, neue Mode
Was also ist passiert? Wahrscheinlich: Corona. Langsam aber sicher spürt man die Wirtschaftskrise, die steigende Arbeitslosigkeit, die ausbleibenden Löhne. Die Fashion Week, die im Februar neben den ersten Krankheitsfällen in Frankreich schlicht unterging. Aber vermutlich auch die Erkenntnis, dass es wichtigere Dinge gibt als die neuesten Designerstücke. Gesundheit zum Beispiel. Jobs. Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und ein paar bequeme Schuhe, in denen man das alles blasenfrei auf die Reihe bekommt.