Es sind nicht die SBB, sondern die CFF, die hier Halt machen. Angekommen am Bahnhof Fribourg, merkt man schnell: Das mit der Zweisprachigkeit ist so eine Sache. In der Praxis muss man so gut wie immer sein Französisch zusammenkramen, wenn man sich unterhalten will. Dafür sind die Unterredungen mit Fremden nicht deutschschweizerisch kurz und knapp, sondern auch mal herzlich lang. Auf die Frage, was es in Fribourg auf keinen Fall zu verpassen gilt, kommt eine ziemliche Liste zusammen. Ein Name – respektive zwei – fällt allerdings immer: «Ben & Léo», das Label zweier Neo-Gastronomen.
Wir besuchen Ben und Léo in ihrem Café de la Fonderie. Hier, rund um die Villars-Schokoladenfabrik und das Konzertlokal Fri-Son, entsteht ein neues, hippes Quartier. Aushängeschilder: die «Fonderie». Und das Cyclo Café – ein mit Rennvelos und Retro-Bildern dekoriertes Lokal, das von den gleichen Leuten aufgezogen wurde wie das Populaire – ein beliebtes Burger-Restaurant im Zentrum. Während im «Cyclo» vor allem Studenten glücklich werden, zieht das Café de la Fonderie ein gemischtes Publikum an. Mittags Mitarbeitende der nahen Start-ups, Kulturschaffende und Feinschmecker mit kleinem Budget (Gerichte ab 19 Franken!). Abends Gourmets aus aller Welt, welche die Kreationen der GaultMillau-Shootingstars (13 Punkte) kosten wollen.
Ben und Léo, das sind Benoît Waber und Léonard Gamba, zwei Mittzwanziger und Sandkastenfreunde. Schon während ihres Wirtschaftsstudiums veranstalteten sie lieber Kochevents, statt Bücher zu wälzen. «Nach dem Abschluss setzten wir alles auf eine Karte», erzählt Léo: Er selbst lernte bei Sterne-Koch Alain Ducasse in Paris, Ben holte sich sein Rüstzeug am Institut Paul Bocuse in Lyon. 2016 eröffneten sie mit dem Café de la Fonderie ihr erstes Restaurant. Weil der Laden so brummte, kam bald ein zweites – die Gastrobar Le Cintra – dazu. Und kurz darauf öffnete ein drittes: das japanisch inspirierte Le Kumo.
Von Experimenten und kleinen Schätzen
«Wir experimentieren gerne – bei den Zutaten setzen wir aber auf etablierte lokale Produzenten. Und sammeln schon mal selbst die Pilze für unsere Gerichte», erzählen die Jungs in der lichtdurchfluteten «Fonderie». Die Fabrik – früher ein Klub – wird heute genossenschaftlich genutzt. In den Ateliers im hinteren Teil rattern zum Beispiel die Nähmaschinen von Rondechute, einem Fribourger Label, das alte Segel recycelt und daraus Taschen, Rucksäcke und Accessoires fertigt, alles in sorgfältiger Handarbeit. Ein Designshop verkauft zudem Produkte lokaler und nachhaltiger Hersteller – darunter jene von Carole Frossard. Die Designerin und Modedesign-Dozentin hat sich in Fribourg mit ihrem Atelier-Shop Et Pis C’est Tout einen Namen gemacht, verkauft dort Eigenkreationen und spannende Entdeckungen – so etwa die Kollektion der Lausanner Jungdesignerin Mélisande Grivet.
Kundinnen, die bei ihr nicht fündig werden, schickt sie schon mal weiter in die Bottega Ethica, den früheren WWF-Laden, der überraschend modern daherkommt. Der Grund dafür: Donata Paganini. Die gebürtige Puschlaverin kam als alleinerziehende Mutter zweier Teenager nach Fribourg, um Geschichte zu studieren. Anschluss fand sie bei der damaligen Chefin des WWF-Ladens – auch einer Bündnerin. Als diese 2011 vergeblich nach einer Nachfolgerin suchte, stürzte sich Donata ins Abenteuer. «Ich wollte der nachhaltigen Mode ein frisches Gesicht geben, meine Sachen sollten ethisch produziert, vor allem aber schön sein», erzählt sie. Neben Schweizer Labels wie Erfolg, Royal Blush oder Caroline Flueler nahm sie Designartikel (u. a. Fidea, Stilgraf) ins Sortiment auf.
An der Rue de Lausanne, einer zur Cathédrale St-Nicolas führenden Pflastersteingasse, liegt sie damit goldrichtig: Neben gammligen KrimskramsShops sammeln sich hier immer mehr sympathische individuelle Läden an, etwa der Deko- und Geschenkladen Dédé et Charlotte mit seinen witzigen Workshops (z.B. «Wie schneide ich mir selbst die Haare?») oder Le Majordome, ein Paradies für Liebhaber nobler Treter. Der ehemalige Profi-Snowboarder Gian-Luca Cavigelli und sein Bruder Florian, ursprünglich Banker, verkaufen in ihrer Heimat Fribourg sowie in Zürich rahmengenähte Schuhe nach Mass – individuell vom Kunden gestaltet und handgemacht in Spanien, nachdem ein Scanner den Fuss ausgemessen hat. Die Möglichkeit zur Neu-Besohlung garantiert Langlebigkeit. Und: Le Majordome gibts dank einem Event-Bus nun auch mobil – «wie eine Tupperware-Party, nur edler», witzelt Florian Cavigelli.
Taditionsreiche Nächte
Für gemütliche Abende gibts mehrere Varianten: Das typische Fribourger Fondue isst man am besten im Gothard, für lokales Craft Beer mit dazu passenden Speisen geht man zu Les Trentenaires – eine umgebaute alte Apotheke. Und dann ist da noch das Café du Belvédère, ein geschichtsträchtiges Gastro-Universum am östlichen Ende des Zentrums, dort, wo die Stadt steil abfällt zur mäandernden Saane. Das verwinkelte, 1181 erbaute Stadthaus vereint in sich ein Café, ein Restaurant, einen Klub (Le Mouton Noir) und eine spektakuläre Terrasse. Generationen von Studenten schwänzten ihre Vorlesungen, um hier ihre Tage und Nächte zu verbringen. Das ging auch Eddy Kunz nicht anders: Der Aargauer kam zum Studieren nach Fribourg und lernte das «Belvédère» lieben. Er übernahm den Betrieb vor bald zehn Jahren, gehört mittlerweile ebenso zum Inventar wie Hauskatze Shogun, benannt nach einem japanischen General. Seit Februar dieses Jahres ist Kunz mit dem Koch Baptiste Savio auch für das zuvor asiatische Restaurant im ersten Stock verantwortlich. Man verwendet regionale Zutaten, so, wie man beim Sonntagsbrunch seit je auf Produkte lokaler Bauern setzt.
Zeit, die Füsse hochzulagern: Mit dem Bus gehts nach Fribourg Poya, zur Auberge aux 4 Vents. Die etwas andere Herberge, umgeben von einem idyllischen Park, sorgte Ende der Neunziger für Furore. Filmproduzent und -regisseur Res Balzli und seine damalige Partnerin Catherine Portmann machten aus dem Patrizierhaus mit viel Witz und Kreativität ein freches Hotel. Der Clou: eine Suite mit einer Badewanne auf Schienen, die sich per Knopfdruck aus dem Fenster nach draussen fahren lässt. Nachdem Balzli und Portmann sich neuen Projekten zugewandt hatten, wurde es leiser um die Auberge aux 4 Vents, die Zimmer seien heruntergekommen, hiess es zuletzt. 2017 übernahmen dann Serkan und Sylvie Varli den Betrieb. Die Zimmer wurden renoviert und individuell eingerichtet, im «Coloniale» zum Beispiel fühlt man sich dank Safari-Tapete, alten Reisekoffern und Schmetterlingsammlung wie ein Tropenforscher. Res Balzli schaut ab und zu noch vorbei. So auch an diesem Abend: Die Beleuchtung im Park soll erneuert werden – da will er mitreden. Bei einem Glas Wein empfiehlt er uns Les Menteurs, das im Februar eröffnete Restaurant auf dem Gelände der ehemaligen Cardinal-Brauerei. Vor Ort produzierte Pasta, selbst gerösteter Kaffee, eine kreative Karte – «ein bisschen so wie früher in der Auberge», schwelgt Balzli. Kein Wunder: Verantwortlich fürs «Menteurs»-Konzept ist mitunter Catherine Portmann, Balzlis «Partnerin in Crime» bei der Gründung der Auberge aux 4 Vents. Das ist das Schöne an Fribourg: Es ist eine kleine, überschaubare Welt, in der sich ein paar kreative Köpfe öfter mal was Neues einfallen lassen.