Noémie Schmidt ist 24 Jahre jung, bildhübsch und wahnsinnig unordentlich. Betritt man die Wohnung der Welschschweizerin, die seit rund einem Jahr in der französischen Hauptstadt lebt, kämpft man sich erst mal an Kleiderhaufen, Fahrrädern und Bildern vorbei, die darauf warten, aufgehängt zu werden. Und natürlich durch Rauchschwaden – was wäre eine Pariser WG ohne den Duft von Zigaretten? Im Gegensatz zu ihrem Rückzugsort im neunten Arrondissement geht es karrieretechnisch so gar nicht chaotisch zu und her: Die Schweizer Jungschauspielerin aus Sion ergattert national wie international Rolle um Rolle und wird demnächst im Serienspektakel «Versailles» im TV sowie in einer Hollywood-Produktion mit Jason Statham und Jude Law im Kino zu sehen sein. Bis jetzt zeigt sie sich unbeeindruckt; ganz die Schweizer Bescheidenheit.
SI Style: Friedrich Nietzsche sagte einmal: «Ein Künstler hat in Europa kein Zuhause ausser in Paris.»Wie sind Sie hier gelandet?
Noémie Schmidt: Bevor ich hierher kam, studierte ich in Brüssel Theater. Ich drehte Kurzfilme, arbeitete für das Opernhaus und hatte kleinere Jobs. Irgendwann riet mir ein französischer Regisseur, eine Pariser Agentur zu finden, um mehr Castings zu bekommen. Während eineinhalb Jahren pendelte ich zwischen Brüssel und Paris. Nachdem ich in Südfrankreich meinen Freund kennengelernt hatte, beschlossen wir, gemeinsam hierherzuziehen.
Was fasziniert Sie an der Stadt?
Alles Grosse geschieht hier. Paris war immer ein Traum von mir.
An welche kulturellen Differenzen mussten Sie sich anpassen?
Der Humor der Franzosen ist anders! Sie haben eine spezielle Art, Witze zu machen. In der Schweiz sind die Leute sehr respektvoll und anständig. In Paris hingegen wird mit dem Finger auf die Schwächen der anderen gezeigt. Diese Art kann sehr lustig sein, aber auch verletzend. Die Schweizer sind ruhig, die Franzosen stürmisch. Ich werde schnell als Schweizerin erkannt, weil ich ständig Fragen stelle und sehr neugierig gegenüber ihrer Kultur bin. Und ich bin feinfühlig. Hier ist man direkter.
Sie haben soeben die erste Staffel der TV-Serie «Versailles» abgedreht, der teuersten Fernsehproduktion, die es in Europa je gab. Gratulation!
Danke! Das war eine schöne Überraschung. Der Casting-Call kam so spontan, dass ich meine Campingferien abbrechen und so schnell wie möglich den Text lernen musste. Ich war ein neues Gesicht und ging so unerfahren wie bemüht an das Projekt ran. Professionalität ist alles; hart arbeitende und engagierte Leute inspirieren mich.
Sie wirken sehr zielorientiert und wissen genau, was Sie wollen. Ist Ihr Umfeld auch so ambitioniert?
Absolut. Meine Generation will arbeiten. Diejenigen, die es in der Industrie geschafft haben, mussten sich den Erfolg verdienen. Und das ist auch gut so. Ich umgebe mich lieber mit engagierten Leuten, die sich für kulturelle Dinge begeistern, als mit solchen, die nur an extravaganten Partys rumhängen.
Wie fühlten Sie sich am Set? Nur schon sprachlich muss es Barrieren gegeben haben, schliesslich ist die Seriensprache Englisch.
Stimmt. Ich wurde ins kalte Wasser geworfen und musste schnell lernen, zu schwimmen. Zum Glück hatte ich Englischstunden mit einem Coach. Am meisten lernte ich aber von den anderen Schauspielern.
Darunter war der Schweizer Anatole Taubman. Gabs so was wie eine «Swiss connection» am Set?
Wir wurden definitiv schneller Freunde. Er ist eine unheimlich liebe und interessante Person, sehr speziell. Er half mir, mich wohlzufühlen. Und es war inspirierend, ihm zuzusehen, wie er arbeitet.
Was fühlen Sie, wenn Sie sich auf der grossen Leinwand sehen?
Es ist seltsam. Aber ich versuche immer, mich in der Rolle anzuschauen und mir selbst nicht zu nahe zu sein. Meine Karriere ist für mich ein Prozess. Ich muss nicht die Beste sein; ich stecke noch mittendrin. Und ein Job allein macht mich nicht zur besten Schauspielerin. Jeden Fehler sehe ich als Möglichkeit, zu lernen, um es beim nächsten Mal anders zu machen. Ich bin jetzt vierundzwanzig und habe damit noch fünfzig weitere Jahre, um mich zu entwickeln.
In Ihrem nächsten Film, «Spy», wirken Sie neben Jason Statham und Jude Law. Sind Sie sich bewusst, dass viele Frauen wohl sehr gern mit Ihnen tauschen würden?
Ich will gleich klarstellen: Ich bin weder Jason noch Jude je begegnet. Bis jetzt! In «Spy» hatte ich nur eine kleine Rolle und keine gemeinsamen Szenen mit den beiden.
Wie haben Sie reagiert, als Sie erfuhren, dass Sie mit zwei der offiziell «sexiest men alive» spielen würden?
Nun, ich versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren … Wie wir im Business sagen: «Frozen head, warm heart.»
Welcher der beiden entspricht denn mehr Ihrem Typ?
Ich liebe Jude Law. Wer nicht? In «Sherlock Holmes» war er schlicht grossartig.
Jason Statham gibt lieber den toughen Typen. Können Sie mit Bad Boys nichts anfangen?
Als potenziellen Freund, meinen Sie?
Genau. Lieber brav oder böse?
Fiese Frage. (Überlegt.) Ich glaube, ich stehe eher auf die netten Jungs. In Filmen finde ich die Rollen der Psychopathen interessanter; die Transformation eines netten Schauspielers in seine kranke Rolle fasziniert mich. Im wahren Leben mag ich simplere Typen. Diejenigen, die eine sensible Seite haben und tief drin noch ein wenig Kind sind.
In «Versailles» frönt man dem schönen Leben. Ist Ihr Freund eifersüchtig auf Männer, die Ihnen den Hof machen?
Mein Freund ist auch Schauspieler und weiss, was der Job so mit sich bringt. Es passiert oft, dass einen Typen auf dem Set anmachen, auch neben der Kamera rumspielen. Aber da spiele ich nicht mit. Dafür bin ich zu bodenständig.
Haben Sie Ihren Freund schon in Liebesszenen mit anderen gesehen?
Ja, einmal im Theater. Ich war unglaublich stolz, weil er da oben echt gut aussah. Alle Mädchen im Publikum schwärmten von ihm. Dass er zu mir gehört, war ein gutes Gefühl.
Welche Qualitäten haben die Franzosen, die Schweizer Männern fehlen?
Sie sind sehr offen und sagen, was sie denken. Und sie sind lustig und aktiv. Sie unternehmen viel, sind immer irgendwo unterwegs. Auf jeden Fall flirten sie sehr hartnäckig, was ich gar nicht mag. Hier ist es den Typen egal, ob du einen Freund hast oder sie zum Teufel schickst. Sie lassen einen nicht in Ruhe.
Viele bewundern den nonchalanten Chic. Interessieren Sie sich für Mode?
Nicht wirklich. Viele machen sich sogar lustig über meine Kleider, aber auf eine nette Weise. Ich glaube, die Leute hier haben Stil einfach in den Genen. Zum Glück bekomme ich in Sachen Shopping Unterstützung von meinen Freundinnen und meiner Mutter. Sonst hätte ich keine Ahnung, wie ich mich anziehen soll.
Wie finanzieren Sie Ihr Leben?
Momentan komme ich gut durch, ich drehe seit einem Jahr nonstop. Mit meinem Geld gehe ich sparsam um. Ich pflege keinen aufwendigen Lifestyle und fühle mich an noblen Orten ohnehin nicht wohl.
Worauf sparen Sie?
Um mir den Job erlauben zu können. Meine Arbeit als Schauspielerin ist nicht garantiert. Im Sommer werde ich einen Film in Florida drehen, aber danach wieder Castings besuchen müssen.
Wie gehen Sie damit um, fern von Ihrer Familie und Ihren Jugendfreunden zu leben?
Das ist der schwierigste Teil am Job. Sich überall wohlzufühlen, so viel zu reisen und keine richtigen Wurzeln zu haben. Darum kommt man aber nicht herum. Wenn meine Mitbewohner am Sonntagabend nach Hause zu ihren Familien gehen, bin ich die Einzige von uns, die hier bleibt. Dann versuche ich, neue Freunde einzuladen.
Was muss passieren, damit Sie zu sich selbst sagen: «Ich habe es geschafft»?
Das kann ich Ihnen in fünfzig Jahren sagen. Was ist Erfolg, was bedeutet er? Keine Ahnung. Vielleicht die Dinge zu tun, die ich mag, ohne dabei den Boden unter den Füssen zu verlieren. Schauspielerin zu sein. Mein Beruf bringt alles zusammen, was ich mag: Leute, neue Gesichter, Reisen, unterschiedliche Ansichten und spielerisch zu sein wie ein Kind. Das zu erleben, heisst für mich: Ich habe es geschafft.