Die Romantrilogie «Fifty Shades» von E.L. James beschert Millionen von Frauen einen heissen Sommer. Und den Kritikern heisse Köpfe. Während sich die meisten über die äusserst banale Schreibe der Autorin beklagen, meldet sich in England eine Berufskollegin mit einem ganz anderen Anliegen zu Wort. Sophie Morgan veröffentlichte gerade ihr Buch «The Diary of a Submissive» und bezeichnet es als «die reale Version» von «Fifty Shades». In der «DailyMail» liefert sie Gründe, warum James’ Romane nicht dem entsprechen, was Mitglieder der BDSM-Community (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism) praktizieren:
- Das Buch wirft uns zurück ins präfeministische Zeitalter, in dem devote Frauen mit Fussabtretern gleichgestellt werden.
- Für BDSM (Sado-Maso-Sex) braucht es nicht unzählige Accessoires oder spezielle Vorrichtungen. Viele Leute praktizieren diese Art von Sex in einer ganz normalen Wohnung.
- Machtspiele bedeuten nicht automatisch, dass der eine Partner psychisch krank ist und der andere somit missbraucht wird.
- Devot zu sein heisst nicht, dass Wünsche unterdrückt werden müssen oder gar nicht erst geäussert werden dürfen. Auch beim Sex darf man seine Gefühle unbesorgt ausdrücken.
- Schmerz und Bestrafung sind wichtige Teile einer Sado-Maso-Beziehung, sie regeln jedoch nicht alltägliche Auseinandersetzungen in einer Partnerschaft. Wenn Christian im Buch Anastias Brüste markiert (weil sie oben ohne am Strand war), dann ist das keine sexuelle Strafe sondern ganz einfach eine erniedrigende Handlung eines schrecklichen Mannes.
- Christian bestimmt im Buch über alles, was Anastasia tut: was sie isst, mit wem sie sich trifft, was sie anzieht. Im echten Leben wird diese totale Kontrolle nach einer gewissen Zeit einfach nur langweilig.
- Anastasia hat ihren ersten Orgasmus, als Christian ihre Nippel kneift. Zum Glück lesen nicht allzu viele Männer dieses Buch und denken, dies sei tatsächlich der Weg zur weiblichen Ekstase.
Über drei Romane hinweg lässt sich Anastasia von Christian erniedrigen, kontrollieren und bevormunden. Bevor sie in seinen «Playroom» darf, muss sie vor der Tür kauern, darf ihn nicht anschauen - um sich dann von ihm fesseln und schlagen zu lassen, gerne auch mal mit voller Blase (um den Schmerz beim Sex zu intensivieren). Was für die einen schaurig klingen mag, ist für die anderen durchaus reizvoll. «Lustschmerz», nennt es R.*, der zur Schweizer BDSM-Szene gehört. «Hörigkeit und Unterwerfung sind Formen von Macht, öffnen die Tür zur Bereitschaft, auch Schmerz zu erleben, sogar die Lust daran, Schmerz erleben zu wollen», erklärt er. «Macht und Unterwerfung sind für mich Mittel des Vertrauens und nicht des blanken Verfügens über einen anderen Menschen.»
AUFGESETZTE MORAL UND VORURTEILE
Mit den Ausführungen von Autorin James ist R. ebenfalls nicht ganz zufrieden. So gebe es in der Regel keine klare Trennung zwischen dominantem und devotem Part. Im Gegenteil: Beide Partner sollten beide Empfindungen ausleben können. Die beschriebenen sexuellen Handlungen entsprächen hingegen den «gängigen»: «Befehlen respektive Gehorchen, Formen von leichten oder auch allenfalls härteren Arten von Einwirkungen auf den Körper oder die Psyche mit oder ohne Hilfsmittel.» Dass die im Buch beschriebenen Szenen aber durchgehend mit dem Wunsch nach hartem Sex verbunden würden, stört den verheirateten R., so sei der erotische Teil beim Akt für ihn - genau wie für Kritikerin Morgan - wichtig. Am meisten jedoch stört sich R. an der Rahmenhandlung von «Fifty Shades», an der «dunklen Vergangenheit von Christian, über die er nicht sprechen will und der aufgesetzten, empörten Unschuld von Anastasia».
Weshalb das Buch zum Welthit avancierte, kann er sich deshalb kaum erklären. Es handelt sich seiner Meinung nach um ein Erscheinungsbild des «markanten Auseinanderklaffens der aufgesetzten öffentlichen Moral und den privaten Wünschen und Phantasien». Darin liegt laut R. auch der Grund, weshalb er anonym bleiben möchte. Nicht etwa, weil er zu seiner Meinung und seiner Neigung nicht stehen könne, sondern weil die Wahrnehmung der Öffentlichkeit oft durch Vorurteile geprägt sei. Vorurteile wie: «dass es sich bei den Praktiken um abstossende, menschenverachtende Handlungen zur (in dieser Art verwerflichen) Triebbefriedigung handelt».
SEHNSUCHT NACH ERFÜLLTEM SEXLEBEN
Die gleichen Befürchtungen scheinen bei Frauen, die ihre sexuellen Bedürfnisse entsprechend ausleben, zu herrschen. Auf Anfrage für ein Interview, erhält SI online von Seiten einer selbsternannten «Sex-Sklavin» die Antwort: «Das ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.» Diesen Part habe ja jetzt Autorin Sophie Morgan übernommen, erklärt sie. Eine Leserin des Buches meldet sich dann aber doch noch zu Wort: «Ich denke viele Frauen werden sich nach diesem erfüllten Leben sehnen. Aber bleibt auf dem Boden der Tatsachen und sucht jetzt nicht nach einem Christian Grey. Den gibt es glaubs nicht.»
Dass sich Frauen (und wohl auch Männer) scheinbar vermehrt nach einem erfüllten Sexleben sehnen, bemerken auch jene, die mit Liebesspielzeug handeln. So verzeichnet Alan Frei, Gründer des Startups MyLoveBox.ch einen markanten Zuwachs an Kunden. Er liefert bei einer Bestellung eines Produkts gratis die aus «Fifty Shades» bekannten Smartballs (Liebeskugeln) mit und verzeichnet seit Beginn der Aktion acht mal mehr Kundschaft, wie er SI online berichtet. «Die Leute wollen ausprobieren und ein bisschen in dieser Welt mitspielen», sagt er. Dass besagte Neugier wohl noch eine Weile anhalten wird, zeigt sich in der aktuellen Bestsellerliste von Buch.ch - da befindet sich der erste Teil der «Fifty Shades»-Trilogie auf Platz 1. Und Musikriese EMI hat gerade den entsprechenden Soundtrack zum Buch angekündigt: eine CD mit klassischen Stücken, welche ab Mitte September erhältlich sein wird.
(* Name der Redaktion bekannt)