Im Leben lässt sich nicht alles planen. Kinder zum Beispiel. Da bekommt man als Teenager eingebläut, dass einmal Sex ohne Verhütung reicht, um schwanger zu werden. Und wenn man dann ein Kind machen will, schlägt es doch nicht ein. Zumindest bei etwa 16 Prozent aller Paare. Frust stellt sich ein, Versagensgefühle kommen hoch und vermischen sich mit Trauer, Wut und Verzweiflung.
Die letzte Chance auf ein eigenes Kind kann die künstliche Befruchtung sein. Bei der IVF (In-vitro-Fertilisation) werden der Frau Eizellen entnommen, die Spermien im Labor der Eizelle hinzugefügt, und bei erfolgreicher Befruchtung wird eine Eizelle wieder in die Gebärmutter übertragen. Über Unfruchtbarkeit und Behandlungsmethoden spricht Professor Christian De Geyter, Chefarzt der Reproduktionsmedizin am Universitätsspital Basel.
Style Online: Warum wollen Menschen überhaupt Kinder haben?
Christian De Geyter: Das Individuum hat eine ganze Reihe von Lebensinhalten. Manche möchten sich im Beruf verwirklichen, andere im Hobby, für manche ist das Hobby der Beruf. Und wieder andere möchten sich in der Beziehung, mit Familienplanung, verwirklichen. Sich selber weitergeben – nicht nur die Gene, sondern auch Lebensinhalt – das hat mit Zwischenmenschlichkeit zu tun.
Sprechen Sie mit den Paaren über die Gründe, warum sie ein Kind möchten?
Bis sie bei uns sind, war das Paar oft bereits bei mehreren Ärzten, die Abklärung und die Entscheidungsfindung sind ein längerer Prozess. Nur weil eine Schwangerschaft nicht so leicht klappt, stellen wir die Lebenspläne der Menschen nicht in Frage. Die meisten Paare haben ein gesundheitliches Problem. Das kann man in vielen Fällen mit medizinischer Unterstützung beheben.
Wann ergibt es Sinn, eine Schwangerschaft mittels IVF zu probieren?
Es ist die Methode der letzten Wahl, wenn die Eileiter verschlossen sind, wenn zu wenige Spermien vorhanden sind oder wenn das Alter an der Fruchtbarkeit nagt.
Die erste Kinderwunschversicherung der Schweiz
Eine Schwangerschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Doch auch wenn es nicht auf Anhieb klappt, ist das noch kein Grund zur Sorge. Denn es gibt zahlreiche medizinische Möglichkeiten, um die Erfolgschancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. Sie sind allerdings kostspielig und nur begrenzt in der Grundversicherung enthalten. Die neue Zusatzversicherung Kinderwunsch unterstützt Sie auf dem Weg zum eigenen Baby.
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Nimmt die Unfruchtbarkeit zu?
Es gibt Statistiken, die zeigen, dass sie zunimmt. Auch die Palette der Ursachen hat sich verändert. In den Achtzigerjahren gab es vermehrt Eileiterverschlüsse. Man hat herausgefunden, dass der Grund oft eine Chlamydieninfektion war, welche später früh diagnostiziert und gezielt behandelt werden konnte. In den Neunziger- und Nullerjahren hatten wir häufig ein Sterilitätsproblem bei Männern, die mit Hodenhochstand zur Welt gekommen waren. Früher operierte man das im Alter von sechs Jahren, heute wird dieser Befund kurz nach der Geburt hormonell behandelt. Und jetzt behandeln wir die Paare, bei denen die Familienplanung zu spät realisiert werden soll. Die Fruchtbarkeit nimmt bei beiden Partnern im Alter ab. Das ist heute die Hauptgruppe, und die hat stark zugenommen.
Wenn die Spermien direkt in die Gebärmutter gespritzt werden, ohne die Eizellen zu entwenden, spricht man von einer intrauterinen Insemination. Was sind die Vor- und Nachteile gegenüber In vitro?
Sie ist weniger invasiv, aber eigentlich nur wirksam bei Impotenz des Mannes. Ohne begleitete Hormontherapie bei der Frau stehen die Chancen für eine Schwangerschaft bei weniger als fünf Prozent. Da bei einer Hormonstimulation mehrere Eizellen gleichzeitig reifen, steigt das Risiko einer Zwillings- oder Mehrlingsschwangerschaft.
Was bedeutet die Hormonstimulation für den Körper der Frau?
Die Hormonbehandlung ist ein starker Eingriff in das Hormonsystem. Sie dauert zwölf bis vierzehn Tage und muss ständig kontrolliert werden mit Blutuntersuchung und Ultraschall. Anstelle von einer Eizelle bilden sich etwa zwölf – was bei der Frau sonst in einem Jahr passiert, schaffen wir auf einmal.
Wie hoch stehen die Chancen, mit IVF ein Kind zu bekommen?
Seit 2017 haben wir ein neues Gesetz. Heute dürfen wir bis zu zwölf Embryonen einfrieren, und die Auftau-Methoden haben sich enorm verbessert. Bei uns liegt die Erfolgsquote einer Schwangerschaft bei etwa 65 Prozent. Die Geburtenrate liegt tiefer, bei 48 bis 50 Prozent.
Der Kinderwunsch-Experte
Empfehlen Sie einer jungen Frau mit einem allfälligen späteren Kinderwunsch Social Freezing, also das Einfrieren von Eizellen?
Nein, ich habe Mühe damit. Das ist nur sinnvoll im Rahmen einer Krankheit, wenn man Sorgen hat, dass die Fruchtbarkeit verloren geht, etwa durch die Chemotherapie bei einer Krebserkrankung.
Worauf wird bei der Entnahme und beim Einsetzen der Eizellen geachtet?
Wir machen das diskret in einem Gebäude ausserhalb des Unispitals und schauen, dass keine hektische Atmosphäre herrscht. Die Hygiene ist natürlich wichtig. Früher liessen wir bei der Entnahme Musik laufen, aber heute mit dem neuen Betäubungsverfahren, übrigens die gleiche Betäubung wie bei einer Darmspiegelung, ergibt das keinen Sinn mehr. Da wir Zwillinge vermeiden möchten, übertragen wir seit dem Gesetz von 2017 pro Behandlung nur einen Embryo.
Es gibt in der Schweiz keine gesetzliche Altersbeschränkung für IVF, weder für Frauen noch für Männer.
Indirekt schon, denn die Eltern müssen für die Kinder bis zu deren Volljährigkeit dasein. Dann gibt es bei den Frauen ein biologisches Ende, wenn keine Eizellen mehr gebildet werden, so um die 45 herum. Je älter die Frau ist, desto gefährdeter sind ein normaler Verlauf der Schwangerschaft und die Gesundheit des Kindes – und auch das Alter des Mannes nimmt darauf Einfluss. Aus medizinischer Sicht hätten wir lieber eine Alterslimite.
Schlagen Sie Behandlungen aus?
Das kommt häufig vor, meistens aus Altersgründen, seltener in anderen Fällen, wenn die Schwangerschaft für die Frau lebensbedrohlich sein kann.
Wie sieht die Zukunft der Reproduktionsmedizin aus?
Die wird immer wichtiger werden. Auch die Krebsbehandlung wird effizienter, die Betroffenen überleben häufiger, manchmal auf Kosten der Fertilität. Da gibt es Möglichkeiten, zu helfen.