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Der ganz normale Wahnsinn

Darum nahm ich nicht am Frauenstreik teil

Warum sie vergangene Woche eigentlich nicht am Frauenstreik – pardon: feministischen Streik – gewesen sei, wurde unsere Familienbloggerin von ihrer Tochter gefragt. Die Antwort: Weil sie arbeiten musste. Und weil sie findet, dass der Diskurs momentan auf einer Ebene stattfindet, mit der sie sich nicht anfreunden kann.

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Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker

Unsere Familienbloggerin sieht sich durchaus als Feministin – findet es aber falsch, wenn Feminismus zu einer Haltung verkommt, die selbst diskriminiert.

Lucia Hunziker

Ja, ich bezeichne mich als Feminstin. Und zwar im einfachsten Sinn des Wortes: Ich finde, alle Menschen sollten gleichgestellt sein, vor dem Gesetz, wirtschaftlich, sozial, gesellschaftlich. Punkt.

Ich finde, jeder Mensch sollte für den gleichen Job gleich entlöhnt werden und die gleiche Rente erhalten. Ich finde, die menschliche Würde sollte genauso unantastbar sein wie der menschliche Körper, ja heisst ja, und nein heisst nein. Ich finde, dass die Voraussetzungen dafür herrschen müssten, dass zwei Menschen, die eine Familie gründen – und damit die Steuerbezahlenden von morgen erziehen – die Voraussetzungen dafür haben sollten, sich Familienbetreuung und Erwerb so aufzuteilen, wie das für sie passt. Ich finde, niemand sollte aufgrund des Geschlechts ver- und beurteilt, sexualisisert oder stigmatisiert werden. Ich finde, es sollte verbindliche Gesetze für diese Dinge geben, mit Konsequenzen, wenn sie gebrochen werden. All das wäre gesunder Menschenverstand. Wir nennen es Feminismus, weil all das nicht der Fall ist.

Auch Männer können Feministen sein

Dafür auf die Strasse zu gehen, ist mehr als berechtigt. Was mich stört? Zum Beispiel der Flyer, der mir in die Hände fiel. Er richtet sich an «Frauen, Mütter, non-binäre, intersexuelle, transsexuelle Personen, und so weiter». Nur eine Spezies wird explizit nicht erwähnt: Männer. Nicht ganz alle, aber fast jeder Text, den ich zum Thema lese, und jede Rede, die ich höre, schliesst Männer nicht nur aus, sondern macht sie zum Feindbild.

Das ist nicht okay. Nicht nur, weil Männer genauso feministisch denken können wie Frauen, sondern auch, weil Männer genauso unter Diskriminierung leiden. Wie gross ist die Chance für einen Mann, nach einer Scheidung die elterliche Sorge für die Kinder zu bekommen? Nicht riesig. Zwei Wochen Vaterschaftsurlaub sind ein Witz! Und nicht jeder Mann, der einem ein Kompliment macht, ist ein potenzieller Sexualstraftäter.

«Erstaunlich viele Frauenhirne haben Frauenbilder im Kopf, bei denen sich mir die Nackenhaare aufstellen.»

Genauso, wie Männer Feministen sein können, können Frauen Anti-Feministinnen sein. Erstaunlich viele Frauenhirne haben Frauenbilder im Kopf, bei denen sich mir die Nackenhaare aufstellen. Es sind mitunter auch die Frauen, welche jede Abstimmung zugunsten der Vereinbarkeit an die Wand fahren – und sei es nur durch Stimmenthaltung. Und meine persönliche Erfahrung ist: die gemeinsten Sprüche, Verurteilungen und Stigmatisierungen habe ich von Frauen erfahren, nicht von Männern.

Zusammengefasst finde ich, dass Feminismus eine Haltung ist, die niemanden ausschliessen soll – gerade auch weil er selbst Diskriminierung anprangert. Im Moment nehme ich einen Feminismus wahr, der selbst ausgrenzt. Das finde ich falsch. Und es ist unter anderem ein Grund, warum ich vergangene Woche nicht auf die Strasse ging.

Von SC am 24. Juni 2023 - 18:00 Uhr