«Es ist ein Widerwillen gegen diese Dinge in mir, gegen die sich meine Seele so sträubt.» Mit diesem Satz bekannte sich der dänische Dichter Hans Christian Andersen öffentlich zu seiner Lustlosigkeit. Und brach Ende des 19. Jahrhunderts ein Tabu. Es gibt Menschen, die wenig bis keinerlei Bedürfnis nach Sex verspüren. Dennoch wünschen sie sich eine innige und liebevolle Partnerschaft. Absurd? Überhaupt nicht! Es wird nur nicht darüber gesprochen. Während früher Sex als Tabuthema galt, ist es inzwischen genau umgekehrt: «Kein Sex» ist verpönt. Asexualität könnte man als letzte Provokation in der Sexgesellschaft bezeichnen.
Asexualität ist mit einer sexuellen Orientierung vergleichbar: Man hat nur wenig oder gar kein Verlangen nach körperlicher Nähe. Die Liebe kommt nicht zu kurz - sie wird einfach nicht sexuell ausgedrückt. «Asexuelle Beziehungen können genau so eng und intim wie sexuelle sein. Sexualität ist eine Möglichkeit, Gefühle in einer engen Beziehung auszudrücken, aber keineswegs die einzige», heisst es im «AVENde»-Forum für asexuelle Menschen.
Wie aber jemanden kennenlernen, der die gleichen - oder eben keine - Bedürfnisse hat? Verschiedene englische Partnerbörsen schaffen Abhilfe: Uk.creativesdating.com und auch Nosexdating.co.uk vermittelt Menschen, die sich nach Liebe und Geborgenheit sehnen und sich eine funktionierende Partnerschaft wünschen - aber niemandem vorgaukeln wollen, den Sex zu geniessen. Weil sie einfach keinen mehr haben wollen.
Auch Schweizer, Deutsche und Österreicher haben die Möglichkeit, im Internet nach sexlosen Beziehungen zu suchen. Die Partnervermittlung Gleichklang.ch beispielsweise kümmert sich um die deutschsprachigen Länder. Hier boomt das Angebot jedoch noch nicht so stark wie in England: Der Mitglieder-Anteil der Personen, die Partnerschaften ohne Sex suchen, liegt bei gerade mal einem Prozent. Für Dr. Guido F. Gebauer, Diplom-Psychologe bei der Kennenlernplattform «Gleichklang», ein repräsentativer Wert: «Ich denke, dass der Anteil von asexuellen Menschen in der erwachsenen Gesamtbevölkerung tatsächlich ungefähr diesem Prozensatz entspricht», sagt er gegenüber SI online.
Im schlimmsten Fall wird asexuellen Menschen unterstellt, psychisch krank zu sein
Der Experte betont: Asexuelle Menschen leiden nicht darunter, keinen Sex zu haben, da sie das Verlangen gar nicht erst haben. Sie leiden unter den Konsequenzen von aussen. Daran, dass sie nicht verstanden werden. «Dies kann zu einem eigenem Rückzug, aber auch zu Ausgrenzung durch andere führen. Ausserdem müssen asexuelle Menschen mit dem Vorurteil kämpfen, langweilig zu sein. Im schlimmsten Fall wird asexuellen Menschen gar unterstellt, psychisch krank zu sein», erklärt Guido Gebauer.
Aber könnten diese Menschen denn Sex haben? Kann der Körper trotzdem in «Sexlaune» geraten, auch wenn kein Bedürfnis danach existiert? «Ja», sagt Gebauer. Männer hätten ja beispielsweise auch oft eine Erektion, ohne dass ein sexueller Grund vorliege. Zudem gäbe es viele Varianten sexueller Praktiken, die keine entsprechenden körperlichen Reaktionen voraussetzen. «Asexuelle Menschen könnten also theoretisch sexuell aktiv sein, möchten dies aber nicht», erklärt der Psychologe.
Sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, sei auf jeden Fall sinnvoll. In Internetforen können sie sich umfassend informieren, Fragen stellen und mitdiskutieren. Und damit kein Herz muss einsam bleiben muss, sind die verschiedenen Partnervermittlungen eine Möglichkeit, gleichgesinnte Singles zu finden.