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Arbeitspsychologie

Mehr Freiheit, weniger Stress

Ein Drittel aller Erwerbstätigen in der Schweiz fühlen sich häufig oder sehr häufig gestresst. Eine gute Führung kann das ändern und sorgt gleichzeitig für gesunde Mitarbeiter.

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Arbeitspsychologie

Wird die Belastung am Arbeitsplatz zu gross, leidet die Gesundheit, und zwar in erster Linie die Psyche.

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Jeder dritte KMU-Manager verspürt einen negativen Einfluss auf das Ergebnis des Unternehmens, der auf Stress unter den Mitarbeitern zurückzuführen ist, warnt die Zurich Versicherung. Stress schade der Arbeitsmoral von Menschen, die ein Unternehmen ausmachen. Alarmierende Befunde zeigte auch die letzte Stress-Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Ein Drittel der Erwerbstätigen in der Schweiz fühlten sich häufig oder sogar sehr häufig gestresst. Das seien 30 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor.

Auch der Job-Stress-Index 2014 von Gesundheitsförderung Schweiz zeichnet ein düsteres Bild: Weit über eine Million der 4,9 Millionen Arbeitnehmer in der Schweiz sind bei der Arbeit übermässig gestresst. Der Schweizer Wirtschaft entgehen dadurch rund 5,6 Milliarden Franken jährlich. Der Stress ist abhängig von der Hierarchiestufe. Am wenigsten Stress haben Führungspersonen, weil sie mehr Handlungsspielraum haben, also vermehrt bestimmen können, wie und wann sie arbeiten.
«Fast 20 Prozent der Erwerbstätigen fühlen sich bei der Arbeit emotional verbraucht. 40 Prozent sind sogenannt resignativ zufrieden, das heisst, sie machen zwar ihre Arbeit, sind aber nicht glücklich. Nur 55 Prozent haben eine konstruktive Einstellung zu ihrer Arbeit», sagt Dr. med. Dieter Kissling, einer der renommiertesten Experten für Arbeitsmedizin und Gesundheit in Unternehmen der Schweiz. Hohe Verausgabung bei geringer Belohnung, wachsende Arbeitsverdichtung und Komplexität, Termindruck, Zunahme irregulärer Arbeitszeiten bei kürzeren Erholungszeiten, ständiger Wechsel von Arbeitsaufgaben, Arbeitsumgebung, Vorgesetzten und Arbeitskollegen, mehr Arbeitsunsicherheit, reduzierte Aufstiegschancen, Lohneinbussen, Verschlechterung des Betriebsklimas, anonyme Grosskonzerne, Führung und Kommunikation auf Distanz: Das alles fordert gesundheitlichen Tribut. «Wir verzeichnen einen beängstigenden Trend weg von körperlichen Krankheiten hin zu psychischen Leiden, die markant zunehmen und viel längere Ausfallzeiten verursachen», sagt Kissling.

Ein psychisches Ungleichgewicht, eine Dysbalance zwischen dem, was jemand in seinem Job gibt und was er zurückerhält, verdoppelt das Risiko, in den nächsten 20 Jahren an einem Herzinfarkt zu sterben. «Der Vorgesetzte hat einen direkten Einfluss auf das Todesrisiko eines Mitarbeiters», sagt Arbeitsmediziner Kissling. «Die Art und Weise, wie ein Unternehmen geführt wird, ist entscheidend für die Gesundheit der Mitarbeiter. Wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter emotional und sozial unterstützen, sinkt das Risiko für Depressionen, Burn-out und Herzinfarkt in einem Unternehmen erheblich.»

Leistungsbereitschaft ist bei weitem nicht nur an materielle Dinge gekoppelt. Sie hängt stark davon ab, wie gross die Kompetenz und die Entscheidungsräume jedes Einzelnen sind. «Mitarbeiter von KMUs sind generell leistungsbereiter und energiegeladener als solche von Grossunternehmen», sagt Kissling. Gute Führung bringe eine deutlich höhere Zufriedenheit und höhere Produktivität. Resignation und Kündigungsgedanken gingen massiv zurück. Doch was ist gute Führung? Vorbildfunktion, Vertrauensbildung, Respekt gegenüber den Mitarbeitern, Vermittlung von identifizierbaren Zielen, das Gefühl vermitteln, etwas Sinnvolles zu tun, Ermutigung zu kreativen Lösungen und sein ganzes Potenzial einzubringen und eine Kultur, die auch Fehler erlaubt. Kissling spricht aber gleich auch eine Warnung aus: «Bewirkt eine gute Führung eine Übermotivation, kippt die Kurve. Man kann den Arbeitseinsatz und das Arbeitspensum nicht unbegrenzt steigern, ohne dass es zu gesundheitsschädigendem Verhalten kommt. Die Frage für ein Unternehmen lautet deshalb immer: Wo liegt das Optimum zwischen Einsatz und Ertrag?»
Auch die Seco-Studie bestätigt eindrücklich das Führungsverhalten von Vorgesetzten als Schutzfaktor für die Gesundheit der Mitarbeiter. Beurteilen sie ihren direkten Vorgesetzten positiv, ist die Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen am grössten und die Anzahl Personen, die sich gestresst oder emotional verbraucht fühlen, am kleinsten.

Prof. Dieter Frey, Lehrstuhlinhaber für Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und renommierter Wissenschaftler in der Sozial-, Arbeits- und Organisationspsychologie, plädiert deshalb für einen neuen, ethikorientierten Führungsstil: «Um in einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft langfristig ökonomisch erfolgreich zu sein, braucht es neben der maskulinen Konstruktion wie Erfolg, Zahlen und Effizienz drei zentrale Kulturen: permanente Anpassung an neue Entwicklungen, das heisst Innovation und Nachhaltigkeit – ich nenne das eine Kultur von Excellence. Zweitens braucht es eine Kultur von Menschenwürde, Wertschätzung, Vertrauen und Loyalität. Und drittens braucht es eine Kultur der Ethik, Aufrichtigkeit und Empathie. Gefragt sind nicht nur Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit, sondern auch solche wie Zuhören können, Fragen stellen, Empathie zeigen.»

Gemischte Führungsteams machten laut Prof. Frey weniger Fehler und seien innovativer. Die Hälfte aller männlichen Führungspersonen sind falsch eingesetzt. Der geringe Prozentsatz an weiblichen Führungspersonen sei vergeudetes Humanpotenzial.
Dr. med. Ursula Schütze-Kreilkamp, Leiterin Personalentwicklung bei der Deutschen Bahn und Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager, kritisiert den geringen Stellenwert der Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz: «Wir haben in vielen Unternehmen derzeit noch keine flächendeckende Kultur der stetigen Prävention. Grund dafür ist meist die Unternehmenskultur, in der die Gesunderhaltung von Mitarbeitern keine Rolle spielt. Nur leider gehen dadurch Enthusiasmus, Motivation und natürlich Kreativität verloren. Stattdessen braucht es eine Atmosphäre der Aufrichtigkeit, Werthaftigkeit und Sinnhaftigkeit sowie eine Unternehmenskultur, in der die Leistungsgrenzen des Menschen respektiert werden.»

Von Dr. Samuel Stutz am 25. November 2014 - 18:31 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 16:45 Uhr