Leichtfüssig springt Jennifer Somm (52) die Treppe hinunter, die in ihrer Zürcher Wohnung von der Stube in die Küche führt. Ein Blick in die grosszügige, helle Bleibe genügt, und man weiss: Hier wohnt eine Frau, die viel Wert auf Ästhetik legt. Dabei ist die HSG-Absolventin (sie hat Finanz- und Rechnungswesen studiert) als neue Chefin der ZFF-Schwesterfirma Spoundation Motion Picture AG nicht für den kreativen Teil des Zurich Film Festival verantwortlich, sondern für Finanzen, Sponsoring, Marketing und Events. Dass Kunst und Kohle zwei total gegensätzliche Pole seien, findet Somm überhaupt nicht. «Ich habe eines schon früh gemerkt: Wenn man die Zahlen im Griff hat, hat man viel mehr Spielraum für Kreativität.»
Seit 2014 besitzt Jennifer Somm ihre Wohnung in Zürich. Sie wurde nach ihren Vorstellungen renoviert.
Geri BornAls jüngstes von fünf Kindern wächst Jennifer Somm in Zug als Tochter eines Finanzberaters und einer Primarlehrerin auf. Sie liebt «E.T.» und «Winnetou», sitzt stundenlang mit zu Zöpfen geflochtenem Haar auf einem Baum und liest. Als Studentin entdeckt sie bei einem Praktikum beim SRF-Magazin «10 vor 10» die Faszination, mit Bewegtbildern Geschichten zu erzählen. Trotzdem zieht es sie nach dem Studium ins Wirtschafts-Lobbying.
Als Jennifer schwanger wird, ist klar: «Ich möchte kein Business-Baby mit Nanny-Modell, sondern die Zeit als Mami selbst erleben und geniessen.» Zumal sie ihre heute 23-jährige Tochter von Anfang an ohne deren Vater aufzieht. Als Anna klein war, unterrichtete Jennifer an der Kanti Zug Wirtschaft und Recht. «Der Lehrerinnen-Job ist von den Arbeitszeiten her ideal, um ihn mit einer Familie zu vereinbaren.» Auch wenn er ihr nicht das schlechte Gewissen erspart: «Als arbeitende Alleinerziehende hatte ich das mehr oder weniger ständig.» Bis sie sich einen Rat ihrer Schwägerin zu Herzen nimmt: «Das Schlechteste für dein Kind ist, wenn du perfekt bist. So wird es nie aufs Leben vorbereitet sein.»
Dass Jennifer Somm eine perfekt imperfekte Mama war und ist, zeigt ihr enges Verhältnis zu ihrer Tochter: «Ich muss aufpassen, dass ich ihr nicht zu viel dreinrede. Schliesslich ist sie mittlerweile erwachsen», meint sie verlegen lachend. Und steht fest auf beiden Füssen im Leben: Wie ihre Mutter hat Anna die HSG absolviert und zieht Ende Jahr nach Singapur, wo sie bei der Schweizer Botschaft arbeiten wird.
Als ihre Tochter grösser war, zog es Jennifer Somm wieder zurück in die Privatwirtschaft. Acht Jahre lang arbeitete sie bei Rufener Events. Hier hat sie erstmals beruflich mit dem Zurich Film Festival zu tun: Die Agentur veranstaltet damals alle Events des ZFF-Rahmenprogramms. Doch nach drei Jahren als CEO bei der Zürcher Event-Agentur locken erneut die nackten Zahlen: 2017 wird Somm CEO der Bernexpo Groupe. «Die Zeit in Bern war extrem spannend, das Messegeschäft war mitten in der Transformation. Aber mir hat der kreative Teil gefehlt, Management und Infrastruktur-Themen dominierten.» Dass sie öfters als einzige Frau an einem Verhandlungstisch sitzt, nimmt sie amüsiert zur Kenntnis, es beschäftigt sie aber nicht gross. «Ich hatte nie das Gefühl, mein Geschlecht hätte mir irgendeinen Vor- oder Nachteil beschert in meiner Karriere.»
Die Wohnküche dient als Homeoffice. Tochter Anna hat noch ein Zimmer bei Jennifer. «Für einen Partner habe ich keine Zeit.»
Geri BornAls Nachfolgerin von ZFF-Gründerin Nadja Schildknecht und deren Nachfolgerin Elke Mayer war eine Frau gesucht – das liege am Heterogenitätsgedanken: Es brauche ein Gegenstück zum Kreativdirektor Christian Jungen. «Gegenstück» darf dabei ruhig wörtlich genommen werden: «Zwischen uns fliegen schon hin und wieder die Fetzen», sagt Jungen lachend. «Das ist gut so, wir sind beide starke Charaktere. Jenny bringt enorm viel frischen Wind ins ZFF, das tut gut.»
«Er ist inhaltlich brillant», sagt Jennifer Somm über ihren Co-Direktor Christian Jungen, hier auf dem Sechseläutenplatz.
Geri BornDie wichtigste Neuerung der 19. Ausgabe des Festivals: Mit der Übernahme des Kinos Frame expandiert das ZFF vom elftägigen Event zum 365-Tage-Kinobetrieb. «Eine neue Ära und riesige Herausforderung», sagt Jennifer Somm. Nicht dass das Festival selbst, das am 28. September seine Tore öffnet, keine wäre: Wegen dem Streik in der Filmmetropole Hollywood werden sich die klingenden Namen in engeren Grenzen halten als in den Jahren zuvor. «Dann ist halt für einmal wieder der Film selbst der Star», meint Somm achselzuckend. «Das ZFF wirds aushalten – schliesslich ist es inzwischen erwachsen geworden. Und wer weiss – vielleicht gibts ja noch die eine oder andere Überraschung?»
