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Comedian Michael Elsener zum Pride Month

«LGBTQ+ ist perfekt für Scrabble»

Regenbogenfarben überall! Der Juni ist Pride Month, die LGBTQ+-Community feiert Toleranz und Akzeptanz. Comedian Michael Elsener erklärt, was sein Grosi von der Pride hält und warum seine Liebe zu Männern die Medien nichts angeht.

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Foto: Joseph Khakshouri 22.06.2022 Interview mit Michael Elsener zur Pride Month, im Schiffbau Zürich Zürich (ZH)

Comedian Michael Elsener, 36, im Foyer des Schiffbau, Zürich.

Joseph Khakshouri

Pünktlich trifft Michael Elsener, 36, im Schiffbau Zürich ein. Hier geht der Comedian gern ins Theater oder hört Funk & Soul im Moods. Die Woche des Zugers ist voll. Doch für ein Interview zu Pride Month und LGBTQ+ (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer) nimmt er sich Zeit. «Wenn dadurch auch nur ein einziger Teenager sich weniger allein fühlt oder ein Opa seine Enkelin fragt, wie es ihr an der Pride gefallen hat, dann ist es dies wert.»

Michael Elsener, was feiern Sie persönlich im Pride-Monat Juni?
Dass ich sehr glücklich bin, dass ich so bin, wie ich bin. Und dass ich immer wieder von jungen Menschen höre, wie frei und getragen sie sich nach ihrem Coming-out fühlen. Ich feiere die unendlich verschiedenen Formen, wie wir leben können. Und den 89. Geburtstag von meinem Grosi.

Wie erklären Sie Ihrer Grossmutter den Pride Month?
Mein Grosi war sogar schon mit dabei! Ich würde ihr von der Pride so erzählen: Schau, es gibt in allen grösseren Städten Umzüge. So farbenfroh wie die Fasnacht. Einfach mit dem Unterschied, dass die Menschen hier ihre Masken ablegen und sich so zeigen, wie sie wirklich sind. Bunt. Unterschiedlich. Einzigartig. Jede Pride-Parade ist eine Demonstration für mehr Gleichberechtigung – für uns alle.

Wie erklären Sie ihr «LGBTQ+»?
Grosi, stell dir vor, du spürst, dass du anders bist als die Mehrheit. Aber du kommst offiziell nirgendwo vor. Denn es gibt keine Beschreibungen, keine Worte für dich. Aktuell suchen wir in unserer Gesellschaft nach passenden Worten. Nach Beschreibungen dafür, wie und wer wir alle sind. Einer Person, die nicht queer ist, mag dies unnötig vorkommen. Doch für Direktbetroffene geht es darum, wahrgenommen zu werden. Jemand zu sein.

Wie lange kann diese Abkürzung noch werden?
Ich persönlich benutze häufig vereinfacht das Wort «queer», um zu zeigen, wie vielfältig wir sind. Wenn das Umfeld Mühe hat, sich «LGBTQ+» zu merken, hat das auch einen Vorteil für Sie: Beim Scrabble hängen Sie einfach zufällig neun Buchstaben aneinander und sagen: «Das ist eine neue extrem inkludierende Abkürzung. Ich bekomm die volle Punktzahl.»

Foto: Joseph Khakshouri 22.06.2022 Interview mit Michael Elsener zur Pride Month, im Schiffbau Zürich Zürich (ZH)

«Jede Pride-Parade ist eine Demonstration für mehr Gleichberechtigung – für uns alle.»

Joseph Khakshouri

Verstehen Sie, dass manche den Durchblick verlieren?
Zehn Prozent der Menschen in der Schweiz sind in den letzten Jahrzehnten nicht als das wahrgenommen worden, was sie sind. Queerness gibt es aber schon seit je bei Menschen. Auch queere Delfine oder intergeschlechtliche Koalabären existieren.

Die Bewegung scheint aber auch trendy zu sein …
Es ist nicht so, dass viele von uns plötzlich so werden. Was sich geändert hat, ist, dass queere Menschen endlich den Raum einnehmen können, der ihnen von jeher zustehen würde.

Was entgegnen Sie queerkritischen Personen, denen es mit LGBTQ+ zu kompliziert ist?
Ich kann nachvollziehen, dass sich gewisse Leute nerven über diese langen Buchstabenwürmer. Ich bin aber überzeugt, dass es daran liegt, dass wir sie in der Schule nicht richtig erklärt bekommen haben. Wir lernen Subjonctif und Pythagoras. Doch was dazu führt, dass wir uns von anderen Menschen angezogen fühlen oder was es für unterschiedliche Identitäten gibt, so ganz grundlegendes zwischenmenschliches Wissen, wird in der Schule zu wenig vermittelt. Auf vielen Schulhöfen gilt «schwul» noch immer als Schimpfwort. Darum finde ich: Queerness sollte ein Schulfach werden.

Was können Sie als bekannte Person zur Bewegung beitragen?
Ich bringe viele Themen ums Queer-sein in meinem Stand-up-Programm. Ich erlebe immer wieder, wie durch eine selbstironische Pointe von mir auch konservativ denkende Menschen einen Zugang zum Thema finden. Aber das Wichtigste ist, dass ich im Alltag offen lebe, wer ich bin. Und Verwandten, die irgendwie ein Problem damit haben, Fragen stelle wie: «Wie haben deine Eltern reagiert, als du ihnen gesagt hast, dass du heterosexuell bist?»

Foto: Joseph Khakshouri 22.06.2022 Interview mit Michael Elsener zur Pride Month, im Schiffbau Zürich Zürich (ZH)

Michael Elsener ist aktuell auf Tour mit den Programmen «Fake Me Happy» und «Michael Elsener im Bett mit …»

Joseph Khakshouri

Ab dem 1. Juli 2022 können gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Wie wichtig ist diese Gesetzesänderung?
Es ist ein extrem wichtiger Schritt. Ab dem 1. Juli sagt der Staat endlich offiziell: «Auch lesbische, schwule und bisexuelle Menschen dürfen die Person heiraten, die sie lieben.» Wenn der Staat queere Menschen nicht mehr diskriminiert, wird dies auch die Gesellschaft toleranter machen, und Queerness wird immer mehr zum Alltag gehören.

Wie wichtig ist es für Sie?
Es macht schon einen grossen Unterschied, ob ich als Bürger, der sich gern für die Gemeinschaft engagiert, auch die gleichen Rechte habe wie etwa meine Nachbarn.

Welches Gesetz fehlt noch für absolute Gleichheit?
Das Absurde ist ja, dass wir in einzelnen kleinen Untergesetzen denken. In der Schweizer Verfassung steht unter Artikel 8: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.» Damit wäre eigentlich alles gesagt.

Wo stehen wir im internationalen Vergleich?
Ich bin dank meiner Comedy viel unterwegs. Wenn ich von Berlin oder Kopenhagen nach Hause komme, denke ich: Wir hinken in der Schweiz, die sich gern mit ihrer humanitären Tradition brüstet, bei wichtigen Gesellschaftsfragen mindestens zehn Jahre hinterher – wie bis vor Kurzem bei der Heiratsfrage. Und es wäre doch logisch, dass beispielsweise Menschen, die transgender sind, auch in unserem Gesundheitssystem die gleichen Rechte haben. Haben sie aber noch nicht.

Was ist Ihnen in der Liebe wichtig?
Vertrauen. Offenheit. Toleranz. Und ab und an zusammen eine Nacht durchtanzen.

«Wer ein Coming-out durchgemacht hat, so Persönliches preisgibt, geht danach anders durchs Leben, ist viel stärker bei sich»

Michael Elsener

Was für Vorurteile nerven Sie?
An Verwandtenfeiern beobachte ich, dass ältere Personen meine Teenager- Cousinen fragen: «Und, hast du schon einen Freund?» So eine Frage suggeriert, dass man von meiner Cousine erwartet, dass sie heterosexuell ist und sein soll. Man könnte aber total easy mit einer einzigen Frage klarmachen, dass alle Formen okay sind und zum Beispiel fragen: «Bist du verliebt?»

Wie empfinden Sie die Community?
Ich mache Stand-up-Comedy über queere Themen, über Coming-outs, über unsere Vorurteile. Wenn ich vor mehrheitlich heterosexuellem Publikum auftrete, funktionieren diese Jokes toll. Wenn ich vor mehrheitlich queerem Publikum auftrete, wird das Lachen ekstatisch. Alle haben ihre eigenen schmerzvollen Erfahrungen im Kampf um Akzeptanz in der Familie oder am Arbeitsplatz im Kopf, da funktionieren meine Jokes als Ventil. Ich mache auch Witze über die Community.

Zum Beispiel?
Stand-up-Comedy ohne Bühne ist schwierig, aber ich versuchs mit einer kleinen Begegnung: «Ein Freund sagt: ‹Michael, bring doch deine Freundin an meine Geburi-Party mit.› Ich sage: ‹Gern, doch ich habe einen Freund.› Er meint: ‹Das ist kein Problem.› – ‹Toll, sonst hätte ich für deine Party mein Leben komplett umgestellt.›»

Sie haben das Video «Das ist kein Outing» gemacht. Weshalb?
Meine Freundinnen und Freunde wissen seit Jahren, dass ich mich in Männer verliebe. Ich lebe das offen. Doch ich wollte dies bislang nicht in der Medien-Öffentlichkeit zum Thema machen. Ich bekam im Laufe der Jahre immer wieder Anfragen, teils höflich, teils: «Wenn du nichts sagst dazu, dann schreiben wir es einfach.» Ich finde solche Outing-Storys aber sehr kitschig, und sie wirken wie aus einer vergangenen Zeit. Darum habe ich mich dafür entschieden, mit einem Video meinen eigenen Weg zu gehen und darüber zu reden, ob es heutzutage noch ein Outing braucht. Weil es im Grunde doch überhaupt keine Rolle spielt. So habe ich das erste Nicht-Outing gemacht.

Ein Outing ist kein Coming-out?
Genau. In den 90er-Jahren gab es eine Welle, in der verschiedene Medien homosexuelle Prominente gegen ihren Willen geoutet haben. Das waren Zwangsoutings. Das ist nicht in Ordnung. Jede Person soll selber von sich aus diesen Schritt machen können. Freiwillig. Dann ist es ein Coming-out. Daneben gibt es noch das Going-out. Das ist das, was Ueli Maurer bezüglich Bundesrat wohl bald macht.

Worauf sind Sie persönlich stolz?
Ich sehe das bei mir und vielen aus der Queer-Community: Wer ein Coming- out durchmacht, gegenüber anderen etwas so persönliches wie die sexuelle Orientierung preisgibt, geht danach anders durchs Leben. Man ist viel stärker bei sich.

Von Aurelia Robles am 25. Juni 2022 - 18:09 Uhr