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  4. Streik in Hollywood: Schweizer Schauspieler Carlos Leal ist mittendrin

Schauspieler Carlos Leal

«Streamingplattformen sind hungrige Biester»

Kampf in der Traumfabrik. Hollywood ist seit zwei Wochen lahmgelegt. Für einmal flanieren Stars nicht auf dem roten Teppich, sondern gehen auf die Strasse. ­Mittendrin der 54-jährige Schweizer Schauspieler Carlos Leal. Warum?

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Carlos Leal in Los Angeles

«Hier geht es nicht um mich»: Schauspieler Carlos Leal lebt seit 2010 in Hollywood. «Künstliche Intelligenz geht alle an.»

Tomo

Neun Uhr morgens. Autos hupen, Menschen demonstrieren mit Schildern und Sprechgesängen vor den Amazon Studios in Culver City, Los Angeles. Auch Carlos Leal trägt ein Schild mit der Aufschrift «Actors on Strike», Schauspieler im Streik.

Es ist das erste Mal seit 1960, dass Drehbuchautoren, Schauspielerinnen und Schauspieler gemeinsam streiken. Die Traumfabrik steht still, gedreht wird nicht, und es ist absolut unklar, wie lange der Streik dauern wird. Tatsächlich geht es um viel: um die Regulierung von künstlicher Intelligenz und um die faire Bezahlung für Streaming.

«Filme mit verstorbenen Schauspielern»

Carlos Leal, wie fühlt es sich an, hier in Hollywood zu streiken?
Streiken ist eigentlich nicht so mein Ding. Aber manchmal ist es nötig. Es geht hier um Solidarität, dieser Moment ist unglaublich wichtig für die Filmbranche. Deswegen laufe ich mit.

Trifft Sie der Streik denn auch persönlich?
Ich werde für die Dauer des Streiks nicht mehr in Hollywood arbeiten. Am ersten Tag des Protests wäre mein erster Drehtag für eine sehr bekannte Serie gewesen – aber alles wurde abgeblasen. Ich habe nicht gedreht und wurde somit auch nicht bezahlt. Ich bin allerdings in einer privilegierten Situation, weil ich auch in Europa arbeiten kann, diese Möglichkeit haben viele andere hier nicht. Aber leider ist man es als Schauspieler ja gewohnt, dass man manchmal kein Engagement hat. Wenn der Streik lange dauert, wird er tatsächlich auch meine Karriere beeinflussen. Aber ich passe mich an, das habe ich schon immer getan. Wie oft habe ich mich schon gefragt, ob ich noch Schauspieler sein möchte, ob es sich lohnt zu kämpfen?

Einer der grössten Streitpunkte ist der Umgang mit künstlicher Intelligenz. Was genau bedeutet das für Sie?
Derzeit könnten die Studios, wenn sie einen Schauspieler einmal gescannt haben, einen komplett neuen Film mit ihm drehen, und der Schauspieler würde dafür keinen Rappen bekommen. Sie könnten sogar Filme mit verstorbenen Schauspielern produzieren, das ist doch irre! Ich will keinen Vertrag unterschreiben, in dem steht, dass man mein Gesicht für den Rest der Ewigkeit benutzen und weiterverwerten darf.

Darf sich denn gar nichts verändern?
Ich bin nicht grundsätzlich gegen technischen Fortschritt, aber wenn wir Künstler uns jetzt nicht wehren, wird es bald zu spät sein. Meine Hoffnung ist, dass wir mit einer Regulierung vielleicht auch andere Kunstformen schützen können, etwa Fotografie, Poesie oder die bildende Kunst. Wir alle sollten uns Sorgen machen, nicht nur die Schauspieler. Der Umgang mit künstlicher Intelligenz geht alle Menschen etwas an.

Carlos Leal in Los Angeles

Mit Sohn Elvis im Garten seines Hauses. Carlos Leal lebt seit 2010 in Los Angeles, zusammen mit Gattin Jo Kelly und Tochter Tyger Joy.

Tomo
«Hollywood hat eine Strahlkraft»

Sie kämpfen also nicht nur für sich, sondern für einen grösseren Moment in der Geschichte?
Absolut! Die #MeToo-Bewegung hat hier in Hollywood begonnen. Ich will diese zwei Bewegungen nicht vergleichen, aber Hollywood hat eine Strahlkraft auf die Welt. Hier hat #MeToo angefangen, und dann ist sie in die Welt übergeschwappt. Das ging weit über die Filmindustrie hinaus, und ich denke, was jetzt gerade passiert, hat eine ähnliche Tragweite. Die Menschen schauen hin, wenn hier etwas geschieht. Und fragen sich: Haben diese Leute in Hollywood einfach einen Diva-Moment, oder ist da vielleicht was dran, das auch mich betrifft?

Die Studios finden derzeit Schlupflöcher in ihren Verträgen mit den Gewerkschaften, drehen etwa in England oder lizenzieren mehr Produktionen aus dem Ausland. Glauben Sie, dieser Streik schadet am Ende vor allem der amerikanischen Wirtschaft?
Auf jeden Fall. Die Studios werden immer Leute finden, die Schlange stehen, um in den Streamingserien aufzutreten. Es ist ein riesiger Hype. Und für die Karrieren der Schauspieler, die trotzdem drehen dürfen, in England, Kanada oder sonst wo, ist dieser Streik sogar gut. Aber es ist sehr kurzsichtig gedacht. Denn wenn wir in Hollywood gewinnen, wird das Auswirkungen auf alle Schauspieler weltweit haben. Deswegen wünsche ich mir Solidarität auf einem globalen Level.

Aber es ist doch so schon schwer für viele, eine Rolle zu bekommen …
Ja, und es wird immer die geben, die trotzdem drehen werden – und man kann es ihnen auch nicht wirklich verübeln! Wie sollen sie sonst die Miete zahlen? Und wenn die grossen Stars mitmachen und lautstark über die Ungerechtigkeiten sprechen, wird das eine Wirkung haben. Gerade hat das gesamte Ensemble von «Oppenheimer» die Premiere in London boykottiert – ein wichtiges Statement. Auch die Filmfestivals werden betroffen sein, denn was sind sie ohne Stars?

Finden Sie, der Staat sollte eingreifen?
Ja, es braucht Gesetze, die die künstlicher Intelligenz regeln und das geistige Eigentum schützen. Wir können die künstliche Intelligenz nicht aufhalten, darum müssen wir sie kontrollieren.

Carlos Leal in Los Angeles

«Wenn wir gewinnen, hat dies Auswirkungen auf die ganze Welt»: Der frühere Rapper aus Lausanne sorgt jetzt in L. A. für Furore.

Tomo
«Die grossen Stars haben Power»

Die Gewerkschaft fordert auch faire Beteiligungen der Schauspieler an erfolgreichen Streamingserien. Wie sehen Sie das?
Ich finde es erschreckend, wie gross der Unterschied ist zwischen den Tantiemen, die man für einen Auftritt im regulären TV bekommt, und denen für einen Auftritt in einer Streamingproduktion. Das sind wirklich Welten! Wenn ich die Checks vergleiche, die ich für eine Serie beim amerikanischen Sender CBS bekomme, die ausschliesslich hier lief, – im Gegensatz zur Netflix-Serie «Better Call Saul», die weltweit verschlungen wurde –, macht das keinen Sinn.

Welche Chance haben Sie wirklich gegen diese grossen Kooperationen?
Ganz ehrlich, Schauspieler wie ich? Ich weiss nicht, wie viel Kraft wir haben. Aber die grossen Stars, die haben Power, weil ihnen viele Leute zuhören und sie den Unternehmen Geld bringen. Deswegen ist es so wichtig, dass die Stars sich äussern. Und wenn sie das tun, dann deshalb, weil sie selbst Angst haben vor künstlicher Intelligenz. Und aus Solidarität, weil sie wissen, wie hart es für viele ist, mit so einem Job sein Leben zu bestreiten. Ich bin nicht der grösste Fan von Hollywood, meistens bin ich sehr kritisch, aber ich bin stolz auf diese Bewegung.

Was würden Sie den Studiobossen sagen, wenn Sie könnten?
Kommen Sie doch mal an den Set! Und zwar nicht nur ein paar Stunden zum grössten Blockbuster. Kommen Sie zu den Serien, die Ihre Maschine füttern, und sehen Sie sich an, wie hart die Leute arbeiten, deren Namen niemand kennt. Schauen Sie sich die Leute an, die Sie zum Milliardär machen! Die Chefs von Amazon oder Netflix sind bestimmt fantastische Businessmänner, sie mögen bestimmt Filme, und sie mögen es auch, Stars zu treffen und mit ihnen für 3000 Dollar essen zu gehen. Aber haben sie eine Ahnung, wie viel Schweiss und Blut in ihrem Produkt steckt? Welch harte Arbeit die vielen Menschen an den Sets leisten? Wie sie ausgequetscht werden wie die Zitronen? Die Techniker arbeiten doppelt so hart wie noch vor ein paar Jahren, ich habe es selbst gesehen! Streamingplattformen sind hungrige Biester – sie müssen gefüttert werden, damit die Menschen weiter konsumieren können. Je mehr man isst, desto hungriger wird man. Von diesem Konsum profitieren aber nicht die, die das eigentliche Produkt machen.

Carlos Leal in Los Angeles

«Manche Leute verdrehen die Augen und denken, oh, die armen Schauspieler in Hollywood sind unglücklich»: Leal in seiner Küche.

Tomo
«Hollywood ist nicht nur riesige Villen und Champagner»

Überraschend wenige grosse Stars äussern sich wirklich lautstark in diesem Streik. Warum?
Das liegt daran, dass die grössten Stars – DiCaprio oder Brad Pitt – selber auch Produzenten sind und mit den Studios gut zusammenarbeiten. Obwohl ich sicher bin, dass sie die Interessen der Schauspielergewerkschaft teilen, müssen sie vorsichtig sein. Haben Sie Angst vor negativen Konsequenzen für Ihre Karriere, wenn Sie sich laut äussern? Das ist mir verdammt egal. Hier gehts nicht um mich.

Nicht alle haben Verständnis für den Streik in Hollywood …
Ich kann mir gut vorstellen, wie manche Leute die Augen verdrehen und denken, oh, die armen Schauspieler in Hollywood sind unglücklich? Was ist denn mit den Bauern oder den Busfahrern? Aber sie haben keine Ahnung, was die Realität dieses Jobs ist. Man hört Hollywood und sieht nur noch riesige Villen und Champagner.

Dabei verdienen Schauspieler im Durchschnitt 30 Prozent weniger als das nationale Durchschnittseinkommen in den USA.
Ja, der normale Schauspieler hier dreht ein paar Tage und geht dann wieder hinter den Bartresen zu seinem anderen Job. Die Leute im Publikum sehen nur den roten Teppich. Die Entertainmentindustrie war schon immer eine Fantasie. Niemand weiss so ganz genau, was hinter den Kulissen geschieht – und genau das ist Teil der Faszination, von der Hollywood lebt. Aber unser Streik ist keine Laune, keine Koketterie. Meine Worte mögen vielleicht dramatisch klingen, aber was wir hier tun, ist kein Kampf für Hollywood, es ist ein ethischer Kampf für die Menschheit.

Text: Jacqueline Krause-Blouin am 29. Juli 2023 - 12:00 Uhr