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Wer wird neuer US-Präsident?

«Trump geniesst es, wenn man ihn dämonisiert»

Wird Ex-US-Präsident Donald Trump wieder ins Weisse Haus einziehen? Oder bricht ihm eine Verurteilung das Genick? USA-Expertin Claudia Franziska Brühwiler sagt, warum Joe Bidens Chancen trotz allem grösser sind.

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Claudia Franziska Brühwiler US-Politexpertin, Thema US-Wahlen, HSG St. Gallen, 24. Januar 2024

An der Uni St. Gallen liest Claudia Franziska Brühwiler die aktuelle «New York Times». Auf dem Tisch: eine Statue des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington.

Fabienne Bühler

Wach geblieben ist Claudia Franziska Brühwiler in der Nacht auf Mittwoch zu Hause in Winterthur nicht. «Klar ist es aufregend, live mitzuverfolgen, ob Donald Trump oder Nikki Haley in New Hampshire vorne liegt, aber jede Stimme mitzubekommen, macht auch nervös», so die Dozentin für Amerikanistik an der Universität St. Gallen.

Frau Brühwiler, Nikki Haley hat in den Vorwahlen nach Iowa auch in New Hampshire gegen Ex-US-Präsident Donald Trump verloren. Damit ist wohl klar: Trump tritt im Herbst gegen Biden an.
Es war ja eine Niederlage mit Ansage. Sämtliche Umfragen haben das vorhergesagt. Es war mehr die Frage, wie gut schneidet Haley als Zweite ab.

Sie hat elf Prozent Abstand zu Trump.
Das klingt zwar nicht so gut – aber sie schnitt besser ab als erwartet. Und es zeigt, dass die Front von Donald Trump doch nicht so geeint ist.

War Trump deshalb in seiner Siegesrede so wütend?
Er konnte nicht so triumphal durchmarschieren, wie er wollte. Das muss ihn und sein Team bedenklich stimmen. Sie sehen, dass er Unentschlossene und Parteiunabhängige – Letztere sind landesweit 49 Prozent – nicht überzeugen konnte. Joe Biden steht in den Umfragen nicht gut da. Trotzdem wissen Trumps Leute, dass alle, die Biden 2020 gewählt haben, dieses Jahr von den Demokraten daran erinnert werden, warum sie gegen Trump gestimmt haben. Darauf kann Haley hoffen – und vor allem Joe Biden.

Dann hat Nikki Haley noch eine Chance?
Zahlenmässig kaum. Dass sie im Rennen bleibt, hilft aber, gewisse Schwächen im Wahlkampf von Trump aufzuzeigen. Haley fährt die Kampagne ja nicht nur für 2024. Sie ist jung und kann 2028 nochmals antreten. Wenn sie jetzt weiterkämpft, kann sie künftig sagen: Ich habe damals nicht aufgegeben und eine alternative Zukunft für die Republikanische Partei aufgezeigt.

Claudia Franziska Brühwiler

Donald Trump am Tag der Vorwahlen im nordöstlichen Bundesstaat New Hampshire. Dort schlägt er seine republikanische Konkurrentin Nikki Haley.

Getty Images via AFP

Ist es auch möglich, dass Haley auf das Amt der Vizepräsidentin schielt?
Nein. Wobei sie auch schon ausgeschlossen hat, gegen Trump anzutreten (lacht). Aber sie weiss, dass sie dann 2028 keine Chance hätte.

Er würde sie wohl auch nicht nominieren.
So wie er sie beschimpft, kaum. Man vermutet, dass Elise Stefanik seine Kandidatin fürs Vizepräsidium sein könnte. Die 39-jährige Abgeordnete sorgte dafür, dass zwei Uni-Rektorinnen wegen ihren Aussagen zu Antisemitismus zurücktreten mussten.

Das Lager um Präsident Biden ist merkwürdig unbesorgt, obwohl Trump vor einem Triumph in den Vorwahlen steht. Zu Recht?
Die sind nicht unbesorgt! Sie sehen Bidens schlechte Umfragewerte und dass die Leute mit der Wirtschaft unzufrieden sind. Das ist Bidens grösste Achillesferse. Obwohl die Wirtschaft eigentlich gut dasteht, die Arbeitslosigkeit so tief ist wie lange nicht mehr.

Warum denn diese Unzufriedenheit?
Viele Ökonomen sagen, dass die grundsätzlich schlechte Stimmung der Gesellschaft aufgrund der hohen Inflation dazu beiträgt. Die Leute sehen, dass es im Restaurant teurer geworden ist, dass sie weniger im Portemonnaie haben.

Gegen Trump laufen zahlreiche Verfahren: von der Verleumdungsklage über angebliche Buchhaltertricks bis hin zu illegalen Machenschaften nach der Wahlniederlage von 2020. Könnte eine Verurteilung ihm das Genick brechen?
Jein. An Trumps Ambitionen wird das nichts ändern – er kann antreten, egal, was ihm zur Last gelegt wird. Aber die unabhängigen und unentschlossenen Wähler könnten sich klar gegen ihn stellen. Man weiss auch, dass ein Fünftel der Republikaner ihn bei einer Verurteilung nicht wählen würde. Bei so knappen Verhältnissen ändert sich die Ausgangslage natürlich – und die Demokraten mobilisieren Erstwähler.

Derweil gehen Trumps Justizprobleme an seiner Wählerschaft völlig vorbei. Warum?
Für viele sind diese Verfahren das Ergebnis einer politisierten Justiz. Das ist langfristig sehr beunruhigend. Das sieht man selbst bei den Demokraten, die dem höchsten Gericht nicht mehr trauen.

Ist Biden wirklich der beste Mann, um Trump zu schlagen?
Es wäre sehr schwierig gewesen, in der Amtszeit von Joe Biden einen anderen Kandidaten, eine andere Kandidatin aufzubauen.

Wieso?
Weil man den Präsidenten zu einer Lame Duck gemacht hätte – also zu jemandem, der keinen Einfluss mehr hat. 2020 gab es junge, frische Gesichter im Bewerberfeld. Aber schon dort erkannten die Demokraten, dass bei der breiten Wählerschaft das Moderate am besten zieht – daran hat sich bis heute nichts geändert.

Claudia Franziska Brühwiler US-Politexpertin, Thema US-Wahlen, HSG St. Gallen, 24. Januar 2024

«Joe Biden muss vor allem bei den Debatten im Herbst zeigen, dass er mental fit ist», sagt Claudia Franziska Brühwiler.

Fabienne Bühler

«Momentan wird jeder Fehltritt von Biden überanalysiert»

 

Wie sieht es mit der Gesundheit aus? Biden ist 81 Jahre alt.
Der Präsident hat ja etwas den einfacheren Wahlkampf. Er muss weniger unterwegs sein, muss weniger Auftritte meistern. Man darf annehmen, dass Joe Biden seine Gesundheit genug gut kennt.

Trotzdem geben seine Stolperer immer wieder zu reden.
Momentan wird auch jeder Fehltritt von ihm überanalysiert. Man muss auch sagen, dass Amerika immer wieder Präsidenten hatte, die physisch nicht absolut fit waren. Franklin D. Roosevelt sass im Rollstuhl, John F. Kennedy hatte ein Nierenleiden und brauchte wegen seines Rückens jeden Tag Spritzen, um überhaupt zu funktionieren. Die physische Erscheinung sagt nicht alles aus.

Auch Trump ist bereits 77. Was, wenn einer der beiden krank wird oder gar stirbt?
Dann tritt der Vize oder die Vize an.

Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, bezeichnet Trump als «Bedrohung» für Europa. Ist dem so?
Ich finde es gefährlich, wenn man den Leuten suggeriert, dass eine Person so mächtig werden kann. Das gilt auch für die Medien in den USA. Wenn die liberale «Washington Post» oder «New York Times» von einem potenziellen Diktator schreiben.

Aber er will ja seine Macht ausdehnen.
Ja, aber die Institutionen in den USA sind sehr resilient. Schon 2016 wurden Ängste geschürt, dass Trump durchregieren würde. Das war aber nicht der Fall. Obamacare etwa hat überlebt. Zumal im Gegensatz zu 2016 die Republikaner wahrscheinlich keine Mehrheit im Kongress haben werden. Zudem haben in den föderalistischen USA die Staaten sehr viele Kompetenzen. Das grenzt die Macht des Präsidenten ein.

Hilft es ihm gar, ihn so darzustellen?
Trump geniesst es, wenn man ihn dämonisiert. Eine Journalistin sagte mal: Man muss ihn nicht wörtlich nehmen, aber ernst. Das hat was. Er provoziert gern. Die Warnung vor ihm als Diktator nahm er dankend auf und sagte: Ich werde Diktator sein – für einen Tag. Ihn als Diktator hinzustellen, hilft vielleicht für die Mobilisierung der Demokraten. Aber es dämonisiert auch jene, die Trump unterstützen. Das ist gefährlich für die Gesellschaft und löst das eigentliche Problem nicht. Es ist schwierig zu verstehen, warum es den Demokraten nicht gelingt, mehr auf die Sorgen der Wählerschaft einzugehen. Einfach zu sagen, man wolle die Demokratie retten, ist ein schwaches Argument.

Trump sagt klar, dass sich die USA als Weltpolizist zurückziehen würde. Was bedeutet das für die Welt?
Bei der Nato drohte er schon öfters damit, auszutreten. Er nutzte das aber auch als Verhandlungsposition, um Europa aufzuwecken, mehr in die eigene Sicherheit zu investieren. Rückblickend hatte er damit gar nicht so unrecht. Etwa bei der Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas. Das ist in der Tat interessant. 2016 empfanden viele seine Aussagen – etwa die Warnung vor China – als unmöglich. Heute teilen auch liberale Kräfte diese Ansichten. Bedenklich wäre ein Rückzug der USA für die Ukraine. Amerika ist da wichtige Stütze. Aber er kündigte schon früher vollmundig Sachen an, temperierte dann runter.

Gehen wir mal vom Duell Biden/Trump am 5. November aus. Wer gewinnt?
Ich habe keine Kristallkugel (lacht). Ich rechne aber mit Joe Biden, weil die Demokraten die Unentschlossenen und Unsicheren mobilisieren werden. Die Wählerschaft wird nicht für Biden, aber gegen Trump stimmen.

Wann reisen Sie das nächste Mal in die USA?
Ich werde mit meiner Familie den ganzen Sommer in Wisconsin im Mittleren Westen verbringen. Ich bin dort an einer Universität und schreibe ein Buch über Konservatismus. Für meine zwei Buben wird es das erste Mal in den USA sein.

Sprechen die beiden Englisch?
Ja, sie gehen hier in eine zweisprachige Schule. Sie freuen sich. Mein achtjähriger Sohn diskutiert schon über die Erfolgsaussichten Trumps (lacht).

Jessica Pfister
Jessica PfisterMehr erfahren
Interview: Jessica Pfister am 27. Januar 2024 - 12:00 Uhr