Robert Indermaur, 62, weiss um die Macht seines Könnens. Die Gefühle, die seine skurrilen Leinwand-Typen beim Betrachter auslösen, bringen Menschen zum Schmunzeln. Doch auch das Gegenteil war schon der Fall. Indermaurs Wesen sind keine Plakatschönheiten. Sie glotzen, grinsen, lauern, schiessen in kühnen Formationen durch die Lüfte oder hängen alleine oder in Gruppen am Boden herum. Mit ihren vom Leben gezeichneten Fratzen können sie verunsichern und verstören. «Ja, ich wurde tatsächlich schon gebeten, ein Bild wieder abzuholen.»
Der Bündner Maler und Bildhauer ist ein gemütlicher Kerl. Es liegt ihm fern, seinem Publikum Angst einzuflössen. Meisterhaft beherrscht er das ironische Wechselspiel von Schwere und Leichtigkeit, Neugier und Beklemmung. Trotz Hintergründigem sind seine Werke leicht zugänglich, haben Humor und Witz. «Das ist das Schöne an meinem Beruf - alles ist möglich, nichts ist planbar. Ich erfinde Menschen immer wieder neu. Die Figuren und Gesichter entnehme ich meiner Fantasie. Nie wird sich jemand wiedererkennen - zumindest wäre dies nicht beabsichtigt.»
«Ich zeige gerne randständige Kreaturen. Manche haben wohl Angst vor diesen Wesen»
Seit vergangenem Samstag bringt der Mann mit den blauen Augen und der weissen Wuschelmähne seine Geschöpfe unters Volk. Und er ist nicht alleine: 79 internationale Künstler (darunter Stars wie der Kolumbier Fernando Botero, Landschaftskünstlerin Beverly Pepper oder die Schweizer Daniel Spoerri, Kurt Laurenz Metzler, Peter Leisinger) zeigen an der vierten Schweizerischen Triennale der Skulptur in Bad Ragaz und Vaduz rund 400 Werke. Das Alte Bad Pfäfers in der Taminaschlucht wird ebenso zum Ort der Begegnung wie die Strassen, Plätze und Parkanlagen. Einen Kunstsommer lang werden an der grössten Freiluftschau Europas Nischen geschaffen für entspanntes Gehen und fruchtbares Nachsinnen.
Ein halbes Jahre hat Robert Indermaur an seinen vier Toren gearbeitet. Sie zieren im Abstand von 50 Metern den Spazierweg der Tamina an der «Bad Ragartz»-Schau. Je nach Standpunkt symbolisieren sie einen Eingang oder einen Schlusspunkt. Wir bleiben staunend vor dem auf allen vieren kriechenden Mann stehen. Berühren die kräftigen Arme und Beine, begutachten sein skulpturales Gesicht und die markante Nase. Was tut der Polyester-Riese bloss mitten auf dem Fussweg? Etwa Kieselsteine zählen?
«Der Nut» hat Indermaur die 2,5 Meter hohe Figur getauft, angelehnt an die ägyptische Gottheit des Himmels. Filigraner ist das «Tor des Windes» - ein mit flügellosen Erdlingen umsäumter Eichenbogen. Kinder lieben den kopfüber aufgehängten Harlekin mit den zwei Gesichtern. Raffinierte Handarbeit: Wer den Weg passieren will, muss das Drehkreuz bewegen. Auf dem vierten Torbogen balanciert in schwindelerregender Höhe ein Seiltänzer aus Bronze - ein typisches Motiv des Künstlers.
Die gesamte Installation ist wegen ihrer Grösse und Komplexität nicht in der Werkstatt entstanden. Robert Indermaur richtete sich am hintersten Dorfzipfel von Almens ein mit Plastik überdachtes Freiluftatelier ein. Direkt neben der 270-jährigen Mühle, in der er mit seiner Frau Barbara und den drei erwachsenen Kindern seit 26 Jahren wohnt. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Nur nicht sonntags: Dann bleiben Wanderer am Wegrand stehen, schauen dem Künstler bei der Arbeit über die Schulter und geizen nicht mit schlauen Kommentaren.
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Für Robert Indermaur ist das Leben ein Theaterstück - «eines, in dem wir alle eine Hauptrollen spielen. Ich habe mir die des Künstlers geschnappt und spiele sie schon seit 40 Jahren.» 1974 gründete der ehemalige Primarlehrer mit seiner Frau Barbara, einer Galeristin und Buchhändlerin, das erste Kleintheater in Graubünden. Die Klibühni in Chur führten sie zehn Jahre lang. In der Wohnung über dem Theater herrschte immer Trubel. Schauspieler gingen ein und aus, die Küche diente als Umkleidekabine. Eine Bühne für musikalische Anlässe und Events gibt es auch im neuen, hellen Atelier in Paspels.
Hier regiert das Chaos noch nicht. Es riecht nach Ölfarben und Terpentin. Der Vollblutkünstler hat genug Platz, um an monumentalen Werken zu arbeiten. Dafür braucht er wenige Wochen. Kleinere malt er in einem Atemzug. Er sagt: «Ich bin wie ein Schwamm, der alles aufsaugt. Ich habe zu wenig Leben, um all das zu verwirklichen, was ich möchte.» Inspirationen sammelt er auf Reisen und an Ausstellungen. Bad Ragaz ist so ein Ort. Ideale Vorlage für den Menschenbeobachter Indermaur, der mit Objekten im öffentlichen Raum in der ganzen Schweiz Spuren hinterlässt.
«Spuren legen - Spuren lesen» lautet der Titel der diesjährigen Triennale. 2006 lockte sie über 400 000 Besucher an. Initiator Rolf Hohmeister weiss, dass das Leben gerade in der Krise «gute und schlechte, private und globale Spuren hinterlässt». Der Arzt und Kunstfan freut sich auf unvergessliche Eindrücke und Erlebnisse. Und auf das Sprengen von Grenzen. Die vier Tore von Robert Indermaur öffnen die Augen, Ohren und Herzen für Neues.