Tuts weh? Müssen Sie jetzt in Quarantäne? Viele Sprüche musste er sich anhören, nachdem er in der Politsendung «Rundschau» auf SRF 1 jene Frage gestellt hatte, die bei der Affäre um Christoph Mörgeli allen unter den Nägeln brannte: «Herr Mörgeli, treten Sie nun zurück?» Ob der Antwort des SVP-Nationalrats und Medizinhistorikers klappte manch einem Zuschauer der Kiefer herunter: «Sind Sie eigentlich vom Aff bisse?» Sandro Brotz, 43, blieb ruhig, sagt heute: «Ich wusste sofort, das wird viel zu reden geben.» Tatsächlich wurde tagelang darüber diskutiert, das Video mehr als 50 000-mal angeschaut. Und Brotz, seit Juli 2012 «Rundschau»-Moderator, kannte plötzlich jeder. Auch beim Posten in der Migros oder beim Fischen am Zürichsee.
«Chömmer endli aafange?» Am Wochenende ist der Rummel jedoch weit weg. Dann gibt bei Sandro Brotz ein Achtjähriger den Ton an: Lennox, sein Sohn, der ihn gerade zu einer Partie Schach herausfordert. Von seiner Ehefrau lebt Brotz seit letztem Herbst getrennt. «Das Wichtigste war uns, dass sich Lennox weiterhin wohlfühlt.»
Seit ich von meiner Frau getrennt lebe, ist meine Beziehung zu Lennox noch intensiver
War es anfangs herausfordernd, sich in der emotional schwierigen Zeit gemeinsam organisieren zu müssen, haben die beiden Erwachsenen nun eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut. Unter der Woche essen die drei manchmal zusammen Znacht. Und jedes Wochenende, abwechselnd von Freitag oder Samstag bis Sonntag, verbringt Lennox beim Papa. Den er übrigens von jeher beim Vornamen nennt. «Papi klingt babymässig», findet Lennox. Sandros «Übergangswohnung» hat zweieinhalb Zimmer, liegt im Zentrum von Thalwil ZH. Und in der Nähe seiner Noch-Ehefrau. «Es musste alles schnell gehen.» Nach elf Jahren kam das Paar zum Schluss, dass man sich in verschiedene Richtungen entwickelt hat.
Seine Richtung: Steil nach oben. Gerade beruflich. In der «Rundschau» empfängt er die Grossen aus Wirtschaft und Politik, lanciert Themen, beeinflusst die öffentliche Meinung. Und das zur besten Sendezeit, bei seinem ersten Moderationsjob! Gestartet hat er seine journalistische Karriere nach dem KV als Redaktor bei verschiedenen Zeitungen, amtet später unter anderem als stellvertretender Chefredaktor des «SonntagsBlicks» und von «Der Sonntag». Arbeitet als Aussenreporter bei RTL/Prosieben Schweiz, als VJ bei Tele Züri und zwischendurch als Redaktor bei der «Rundschau». Und er gehört zum Gründungsteam von Roger Schawinskis Radio 1.
Auch physisch ist Sandro Brotz heute in Bestform. Noch vor fünf Jahren bringt er 30 Kilogramm mehr auf die Waage, raucht täglich drei Päckchen Zigaretten, arbeitet ununterbrochen. Statt ins Training geht er abends lieber mal auf ein Feierabendbier. Bis er mit einer verschleppten Lungenentzündung im Spital landet. Und ihm der Arzt ins Gewissen redet: «Wollen sie 40 werden, machen sie so weiter. Wollen sie 80 werden, müssen sie schleunigst was ändern!»
Da ist er 38 Jahre alt. Noch zwei Jahre leben? Etwas wenig. Er zwingt sich zum Joggen. «Anfangs war ich nach 500 Metern erschöpft.» Die Motivation lässt nach. Er drückt sich. Bis ihm ein Freund ein Trainingsprogramm unter die Nase hält. Und ihm ein anderer sagt: «Du schaffst es nie um den Greifensee.» Ein paar Monate später absolviert er den Greifenseelauf. Mittlerweile sind etliche Marathons dazugekommen, auch jener in New York. Und sogar zwei Triathlon-Wettkämpfe. So rastlos wie er sich einst in die Arbeit stürzte, so begeistert treibt er heute Sport.
Und ist im Job dennoch total präsent. Auch dank dem Sport. Am Tag der Sendung geht er beim Laufen die Interviews durch. Und am Tag danach verarbeitet er dabei die schwereren. Wie jenes mit Mörgeli auf dem gefürchteten «heissen Stuhl». Ab dem 21. August erscheint die «Rundschau» in neuem Dekor und mit überarbeitetem Konzept. Statt auf dem heissen Stuhl empfangen Sandro Brotz und seine neue Kollegin Susanne Wille ihre Interviewgäste an der «heissen Theke». Auf Augenhöhe. Möge es noch so ein grosser Fisch sein.
Jener, der gerade an Lennox’ Angel zappelt, ist ein kleiner. So klein, dass Vater und Sohn ihn befreien und zurück in die Freiheit, in den Zürichsee, werfen. «Hauptsache, kein Schwimmer am Haken!» Die Beute ist nur das Tüpfelchen auf dem i. Und der Spannungsfaktor. Ob sie mit einem Zmittag heimkehren? Zur Not hats noch Fischstäbli im Tiefkühler. Wie es sich für eine echte Männer-WG gehört.