Aus den Augenwinkeln beobachte ich den trotzig dreinschauenden kleinen Buben, etwa sieben Jahre alt, und seine Mutter, die ihm sagt, er müsse endlich, endlich lernen zu folgen. Muss er das wirklich?, frage ich mich. Notabene ohne zu wissen, was das Schlitzohr angestellt hat.
Es spielt auch nicht so eine Rolle. Was ich mich noch frage: Habe ich eigentlich diesen Satz je zu meinen eigenen Kindern gesagt? Ausschliessen kann ich es nicht. Auch wenn ich ihn sicher schon früher total widersprüchlich fand.
Klar, manchmal verzweifelt man schier, wenn das Kind nicht das macht, was man von ihm möchte. Man verlangt ja diese Dinge nicht, um es zu ärgern. Meistens haben sie ganz einfach mit gesundem Menschenverstand zu tun.
Zähneputzen. Schuhe anziehen. Fernseher ausstellen und essen kommen. Das Problem: Kinderhirne funktionieren anders als Erwachsenenhirne. Und sie haben schlicht zu wenig Erfahrung, um die Konsequenzen einschätzen zu können.
Nun gibt es Dinge, bei denen man es halt mal auf diese Konsequenzen ankommen lassen kann. Soll das liebe Kleine halt mal in den Socken raus. Es merkt schnell, dass nasse Füsse nicht so angenehm sind. Und lieber eine Viertelstunde länger «Spongebob» geschaut? Tja, en Guete bei den kalten Spaghetti. Und Sauce hats leider keine mehr.
Das funktioniert halt leider nicht immer. Das Kind so lange die Zähne nicht putzen zu lassen, bis es ein Loch hat und zum Zahnarzt muss, ist ja auch für Eltern suboptimal. Aber dem Kind erklären, dass es ab sofort kein Dessert mehr gibt, weil man die spätere Zahnarztrechnung nicht zahlen mag, das geht.
Meine Kinder zum bedingungslosen Folgen zu erziehen, widerspricht all dem, was ich mir für sie wünsche.»
Damit wir uns nicht missverstehen: «Ich bin eure Mutter, nicht eure Freundin», ist einer meiner Lieblingssätze. Über gewisse Dinge wird nicht diskutiert. Aber meine Kinder zum bedingungslosen Folgen zu erziehen, widerspricht all dem, was ich mir für sie wünsche.
Sie sollen selber denken, selber entscheiden, und dafür gerade stehen, wenn sie falsch gedacht und falsch entschieden haben. Später wird das Leben – oder ihr Chef oder der Staat – ihnen die Konsequenzen aufzeigen. Wer im Job Mist baut, muss damit rechnen, ihn zu verlieren. Wer zu schnell fährt, wird gebüsst. Es ist einfach so.
Bis es soweit ist, sind eben die Eltern das Leben, der Chef und der Staat. Sie bestimmen die Regeln des Zusammenlebens und die Konsequenzen, wenn diese nicht eingehalten werden. Dabei bin ich durchaus auch der Meinung, dass diese – bei guten Argumenten – nicht in Stein gemeisselt sein müssen und auch mal angepasst werden können.
Und meine Kinder sollen das wissen. Sie sollen wissen, dass man mit guten Argumenten (und manchmal auch nur mit einem netten Lächeln) etwas bekommt. Sie sollen wissen, dass man nicht blind irgendwelchen Befehlen folgen soll. Sie sollen wissen, dass ein Zusammenleben ohne Regeln nicht funktioniert, und dass man sich deshalb an sie halten soll – und nicht einfach darum, weil Mami und Papi das so wollen.
«Meine Kinder müssen wissen, dass sie nicht für mich leben – aber mit mir. Und dass meine Wünsche in dieser Konstellation genauso zählen wie ihre.»
Meine Kinder müssen überhaupt nicht folgen. Im Gegenteil. Sie sollen selbst denken. Und sie sollen niemals das Gefühl haben, sie müssen etwas tun, um mich glücklich zu machen (zu diesem Thema habe ich zum Muttertag einen öffentlichen Brief an meine Kindern geschrieben. Den könnt ihr hier lesen).
Denn das ist nicht ihr Job. Sie müssen wissen, dass sie nicht für mich leben – aber mit mir. Und dass meine Wünsche in dieser Konstellation genauso zählen wie ihre. Wenn es mir gelingt, ihnen das beizubringen, habe ich sie viel besser aufs Leben vorbereiten, als wenn ich sie gelehrt habe, zu folgen.