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Der ganz normale Wahnsinn

Warum werden Kinder zu Sexualstraftätern?

Im deutschen Mühlheim sollen fünf Kids zwischen 12 und 14 Jahren ein Mädchen vergewaltigt haben. In einem Ferienlager im Tessin zwingt ein 9-Jähriger einen 7-Jährigen zum Oralsex. Warum begehen so junge Menschen Sexualdelikte? Unsere Familienbloggerin wagt einen Erklärungsversuch.

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Die wichtigste Spielregel in Sachen Sex: Nein heisst nein! 

Getty Images

Ich bin weder Kinder- und Jugendpsychologin noch Sexualforscherin. Aber ich habe seit fast 15 Jahren Kinder und beobachte sie und ihr Umfeld. Und ich muss diese Kinder zu halbwegs anständigen Menschen erziehen. Deshalb erlaube ich mir, meine Beobachtungen zu teilen.

Wir behandeln Kinder erwachsener, als sie sind

Von aussen betrachtet scheint es, als ob die Kinder immer frühreifer werden. Ich weiss nicht, ob das körperlich gesehen stimmt (meine beiden sind jedenfalls, was das angeht, total im Durchschnitt). Mental ist es auf jeden Fall nicht so. Und hier liegt schon mal das erste Problem. Wir behandeln sie nämlich sehr oft erwachsener, als sie sind. In der Schule müssen sie bereits lernen wie an der Uni und ihre Freizeit ist so durchgetaktet, dass Spielen schon fast ein Fremdwort ist für viele.

«In unserer übersexualisierten Gesellschaft bekommen die Kids die Spielregeln nicht altersgemäss erklärt.»

Dass bei den heutigen Kindern das sexuelle Interesse früher erwacht, halte ich ebenfalls für unwahr. Kinder sind von klein auf sexuelle Wesen – was nicht heisst, dass sie von klein auf Sex haben möchten! Aber sie interessieren sich schon im Kleinkindalter für ihren eigenen Körper und für den von anderen. Deshalb muss man ihnen so früh wie möglich und altersgerecht die Spielregeln erklären.

Und hier liegt meiner Meinung nach das ganz, ganz grosse Problem. In unserer übersexualisierten Gesellschaft bekommen die Kids die Spielregeln nicht altersgemäss erklärt. Und das liegt nicht mal nur an den Eltern. Woher sollen Kinder in einer Zeit, in der Parfüm- und Bierhersteller oder Reiseunternehmen mit nackten Busen und Ärschen werben, wissen, dass sich nicht jede Frau jederzeit begeistert die Kleider vom Leib reisst, wenn man ihr ein Bier spendiert oder eine Reise mit ihr macht?

Wir hatten die «Bravo», sie haben das Smartphone

Auch wir interessierten uns in dem Alter für sexuelle Inhalte. Wir hatten die «Bravo». Entdeckten vielleicht mal ein entsprechendes Heftli in Papas Schublade. Oder stolperten beim verbotenen nächtlichen Zappen über «Eis am Stiel». Und wussten, dass das irgendwie anrüchig ist. Heute hat jedes Kind via Smartphone und Tablet Zugang zu pornografischen Inhalten. Und wenn man ihnen die nicht möglichst altersgemäss erklärt, halten sie sie für normal.

Genau deshalb führe ich auf den Geräten meiner Kids Stichproben durch und schaue, was sie da so machen und gemacht haben. Nicht, um sie zu kontrollieren oder ihnen etwas zu verbieten. Sondern um ihnen gewisse Dinge zu erklären. Möglichst so, dass sie sie verstehen.

«Mit Pornos ist es wie mit Fortnite. Du gehst im realen Leben nicht mit einer Armbrust auf die Strasse, knallst jemanden ab, führst einen skurrilen Tanz auf und dann kommt ein Lama galoppiert.»

«Schau, mit Pornos ist es wie mit Fortnite. Du gehst im realen Leben nicht mit einer Armbrust auf die Strasse, knallst jemanden ab, führst einen skurrilen Tanz auf und dann kommt ein Lama galoppiert. Genauso kannst du im echten Leben nicht mit einer Gruppe Freunde auf die Strasse und ihr krallt euch ein Mädchen. Denn auch wenn das im Film vielleicht so ist, in der Realität findet es das Mädchen genauso wenig lustig wie du, wenn du von einer Armbrust niedergestreckt würdest. All das, was du online siehst, ist fiktiv. Wie die Avengers. Auch wenn das vielleicht anders verkauft wird.»

 

Ich habe genauso wenig in ihrem Sexualleben verloren wie sie in meinem

Dabei ist eines wichtig: Ich habe als Mutter genauso wenig im Sexualleben meiner Kinder verloren wie sie in meinem. Aber ich habe das Recht – oder sogar die Pflicht – ihnen die Spielregeln durchzugeben: 

Ihr dürft sexuelle Erfahrungen machen. Wann und mit wem ist eure Sache – unter der Bedingung, dass es legal ist. Sex und alles drumrum ist immer nur dann okay, wenn beide wollen. Nein heisst immer nein und nie vielleicht. Und stop heisst stop, auch wenns vielleicht gerade hart ist (im doppelten Sinn…). Jemanden zu etwas überreden oder gar zwingen, was er oder sie nicht will, ist nicht nur nicht okay, sondern unter Umständen ein Verbrechen. Lasst euch nicht einreden, ihr seid prüde oder würdet eure Liebe zu wenig beweisen, wenn ihr gewisse Dinge nicht machen wollt. In Sachen Liebe und Sex ist man niemals irgendwem irgend etwas schuldig. Hört auf euren Bauch.  Und last but not least: Kondome sind Pflicht (auch wenn man sie momentan noch als Wasserbomben nutzt, die man der Schwester ins Zimmer schmeisst).
 

Spielregeln sind wichtig

Jedes Jahr werden in der Schweiz mehrere Dutzend Minderjährige wegen sexueller Nötigung oder gar Vergewaltigung angezeigt. Natürlich sind das Sonderfälle, aber es zeigt, dass es offenbar gerade in einer Zeit, in der man so offensiv mit dem Thema Sex umgeht wie nie zuvor, echt schwierig ist, ein entspanntes Verhältnis dazu zu entwickeln. Umso wichtiger sind die Spielregeln. Es ist nämlich wie in der Schule: wer sich an gewissen Leitplanken festhalten kann, kann sich innerhalb von diesen besser entfalten. Und genauso sollte es auch mit den ersten sexuellen Erfahrungen sein.

Familienbloggerin Sandra C.
Sandra CasaliniMehr erfahren
Von Sandra Casalini am 12. Juli 2019 - 16:16 Uhr