Jedes Jahr kürt die Gesellschaft für deutsche Sprache GfdS ein «Jugendwort des Jahres». Kürzlich wurde die Wahl für 2020 bekannt gegeben. Es ist – Trommelwirbel – «Lost». Ich muss gestehen, das enttäuscht mich ein bisschen. Vielleicht, weil ich es selbst schon so oft gehört habe, zum Beispiel wenn ich dumme Fragen bei «Avengers»-Filmen stelle: «Boah, Mami, ich schwör, du bist so lost, Alter!» Will heissen: ich bin voll verloren, weil keine Ahnung, welcher dieser Film-Charaktere nun mit wem was wie und überhaupt.
Dabei hätte es viel Kreativeres gegeben als dieses «Lost». Zum Beispiel das zweitplatzierte «Cringe». Es steht für «fremdschämen», wird aber nicht als Verb, sondern als Adjektiv benutzt. «Du bist so cringe» bedeutet «Du bist zum Fremdschämen». Und ja, ich habe genau diesen Satz auch schon ab und zu gehört. Stichwort laut mitsingen im Auto.
Die Teenager von heute treffen ihre Idole jeden Tag – und zwar genau dort, wo sie auch ihre «realen» Freunde treffen: auf Instagram, Snapchat, Tiktok.
Apropos: dass meine beiden Pubertierenden und ihre Freundinnen und Freunde ganze Unterhaltungen führen können, bei denen man die Hälfte der Worte nicht versteht, weiss ich inzwischen. Letzthin habe ich aber beim Autofahren meinem Kind 1 und ihrer Freundin zugehört, und da hat mich etwas gewaltig irritiert. Und zwar nicht der Fakt, dass sie in einem Kauderwelsch aus Schweizerdeutsch und Englisch parlierten und mitten im Satz hin und her wechselten. Die beiden besuchen ein zweisprachiges Gymnasium, da ist das noch nachvollziehbar.
Sondern vielmehr die Tatsache, dass ich keine Chance hatte, herauszufinden, über wen sie da reden. Beziehungsweise ob es um Leute aus ihrem Freundeskreis ging, die ihnen tatsächlich im realen Leben bekannt sind, oder um Mitglieder einer ihrer bevorzugten Boybands, oder Schauspieler – oder Charaktere – einer angesagten Netflix-Serie. Einzig die asiatischen Namen legten schliesslich nahe, dass es sich um die Mitglieder einer K-Pop-Band (also eine Popgruppe aus Korea, deren Mitglieder meist sehr jung sind) handeln muss.
Was mich an dem Gespräch so verwirrte: sie redeten über diese Buben wie über Freunde. «Hast du gehört? Chen hat einen neuen Hund. Er ist so süss. Komm, ich zeig dir ein Foto.» Nun ist es ja nicht so, dass es keine Boybands gab, als ich ein Teenager war. Im Gegenteil. Aber «Take That» oder später die «Backstreet Boys» waren so weit weg von uns, so unerreichbar, da unterhielt man sich höchstens darüber, welchen der Sänger man denn am liebsten treffen würde, wenn man irgendwann irgendwie eine Chance hätte.
Die Teenager von heute treffen ihre Idole jeden Tag – und zwar genau dort, wo sie auch ihre «realen» Freunde treffen: auf Instagram, Snapchat, Tiktok. Und diese wiederum teilen nicht nur ihre Musik und ihren Erfolg mit den Fans, sondern auch Träume, Tränen oder eben Hunde. Das führt dann dazu, dass Eltern nicht mehr nur keine Ahnung mehr haben, was gewisse Worte bedeuten, sondern auch, um wen es in den Gesprächen überhaupt geht. Wenn ich es mir recht überlege, ist «Lost» vielleicht doch genau die passende Wahl.
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