Wenn ihr Abends entkräftet von der Arbeit nach Hause kommt, wollt ihr nur noch auf die Couch. Heisse Stunden mit dem Partner sind aktuell das Letzte, an das ihr denkt – und das ist total okay. Niemand von uns hat immer und überall Lust auf Sex. Doch was, wenn der Zustand bei euch zur Regel statt zur Ausnahme wird? Sich bei euch in letzter Zeit einfach nichts regt oder ihr sogar Panik oder Angst vor intimen Momenten zu zweit empfindet? Die unangenehme Wahrheit ist: Es ist Zeit für ein Gespräch mit dem Partner. Klingt nach purem Horror? We feel you – fair ist es aber dennoch. Denn unabhängig davon, ob er/sie einer der Gründe für euren Zustand ist, oder nicht: Wenn ihr einfach schweigt und jegliche Annäherungsversuche ablehnt, wird der/die andere früher oder später selbst Vermutungen anstellen (die meistens ziemlich weit weg von der Wahrheit sind). Betrug, Unattraktivität, eine schlimme Erfahrung, die ihr verschwiegen habt – die Fantasie dreht da frei.
Was ist los mit mir?
Wie also schaffen wir es, das Thema zur Sprache zu bringen? Und warum fällt uns das Gespräch so schwer? Die Sexual- und Psychotherapeutin Dr. phil. (USA) Dania Schiftan stand uns Rede und Antwort zum Thema – und bringt direkt einen grossen Punkt auf den Plan: «Egal ob es Männer oder Frauen betrifft: Das Thema der Unlust im Bett ist vor allem deshalb so schwierig, weil man den Grund selbst gar nicht so genau kennt.» Zuerst einmal mit sich selbst «ins Gespräch zu gehen», ist also keine schlechte Idee. Ist es der Zoff mit der Familie? Stress daheim, weil einem zwischen Job, Haushalt und Freizeit alles zu viel wird? Das 300ste Anzeichen, dass ihr endlich über einen Wechsel im Beruf nachdenken solltet? Oder gefällt der Sex an sich einfach nicht, so wie er ist? Keine Panik, wenn ihr auch jetzt noch ein grosses Fragezeichen im Kopf habt – schon ein paar Ideen-Ansätze können helfen, ins Gespräch mit dem Partner zu starten.
Der Anfang
Okay okay, tief Luft holen – und wie fängt man das Gespräch jetzt genau an? «Es macht auf jeden Fall Sinn, vorab anzukündigen, dass man reden will. Einen Termin auszumachen, wann und wo das Thema auf den Tisch kommt, damit niemand überrumpelt ist.» Dann doch noch wegzulaufen, wird dadurch fast unmöglich und beide Parteien haben Zeit, sich vorzubereiten. Und apropos laufen, Frau Schiftan empfiehlt: «Ein Spaziergang eignet sich besonders gut. So muss man sich nicht die ganze Zeit anschauen und beide können zwischendurch nachdenken und reflektieren.» Möglichkeit Nummer zwei ergibt sich häufig ganz natürlich: Plant der Partner etwas Sexy Time, und wir wollen unter keinen Umständen mitmachen, bietet sich die Wahrheit mehr an, als das nächste erfundene Kopfschmerzproblem. Sagt «Das möchte ich jetzt nicht, aber lass uns darüber reden.» Passt es nicht sofort und auf der Stelle (weil ihr in einer Stunde bei einem Dinner mit Freunden sein müsst), macht stattdessen einen Termin aus.
Raus mit der Sprache
Und jetzt? «Ein guter Einstieg ist, offenzulegen, dass man sich in der Gesprächssituation unwohl fühlt – aber auch zu erwähnen, warum man sich trotzdem in sie begibt», rät Dr. Schiftan. Schliesslich geht es nicht nur darum, das Problem anzusprechen, sondern auch darum, offenzulegen, dass man daran etwas ändern möchte. Ebenfalls wichtig: Ausdrücken, was man vom anderen erwartet. Egal ob das nun nur Zeit und ein offenes Ohr sind, oder die Bereitschaft, gemeinsam mit euch am Problem zu arbeiten.
Alle Details bitte
Vor allem um uns selbst mit unserem Problem nicht allein zu fühlen, sollten wir alles offenlegen, was wir wissen – und was nicht. Gibt es etwas, das uns üblicherweise in Stimmung brachte, aber jetzt nicht mehr? Kommen wir nicht mehr zum Orgasmus? Haben wir einfach keine Lust (mehr) auf Sex und wissen selbst nicht so genau warum? Wir sollten aber – auch auf die Gefahr hin, den Partner zu verletzen – ehrlich sein, falls er etwas mit dem Problem zu tun hat. «Als Sexualtherapeutin habe ich oft erlebt, dass es sich Frauen bequem in der Situation machen, zu sagen, es liegt nicht am Partner. Wo wiederum der Wurm drin ist, kann dann aber auch niemand sagen. Das ist nicht fair.» Natürlich kann ein Grund für Unlust sein, dass der Sex, so wie er ist, nicht gefällt und eher als Pflicht wahrgenommen wird. Wichtig sei daher vor allem, dass man lernt, sich selbst zu spüren. Mann kann allein, aber auch gemeinsam mit seinem Partner daran arbeiten, Sex als eine Möglichkeit wahrzunehmen, Stress abzubauen oder zu entspannten. Als etwas, dass auch und besonders dann gut tut, wenn wir uns nicht so wohl fühlen. Das brauche Übung und Zeit, so Schiftan – und darüber sollte auch der Partner Bescheid wissen.
Ein «Wir» daraus machen
Um weiterzukommen, sind konkrete Vorschläge für den Partner wichtig. Wenn ihr Hilfe wollt, fragt danach: Eine gemeinsame Sexual- oder Paartherapie kann helfen – manchmal reicht es aber schon, Ideen auszuprobieren, die bei euch einen Schalter umlegen könnten. Sagt eurer besseren Hälfte, was euch möglicherweise anturnen könnte oder welche Fantasien ihr habt – auch, wenn die erstmal gar nichts mit Sex zu tun haben sollten. «Wir Frauen sind oft zu weit mit unseren Gedanken. Unser Partner berührt uns mit seiner Hand und wir sind innerlich schon beim gesamten Kamasutra, rollen mit den Augen und denken, darauf habe ich jetzt überhaupt keine Lust.» Es könne deshalb helfen, mal einen Gang zurückzuschalten und sich einfach zu fragen: «wie finde ich die Berührung dieser Hand?» Gefällt sie, gelte es, abzuwarten. Vielleicht gefällt auch das, was danach kommt. Vielleicht möchten wir noch einen Schritt weitergehen. Vielleicht auch nicht, und auch das sei in Ordnung. «Der Partner sollte wissen, dass ihm Zärtlichkeiten nicht zu 100 Prozent Sex garantieren. Aber er sollte sich darauf verlassen können, dass der andere das, was ihm gefällt, auch zulässt», so Schiftan.
Und wie geht es weiter?
Mit einem einzigen Gespräch wird sich kein Problem lösen lassen. Ihr schafft damit aber den Grundstein für gegenseitige Offenheit und die Bereitschaft, aneinander und füreinander zu arbeiten. Eine Umarmung und ein Abend auf der Couch (auf die ihr ja ohnehin schon die ganze Zeit wolltet) sind ein gutes Ende nach dem ersten Gespräch – und der Anfang von vielen anderen.