Wer legt eigentlich fest, welchen Grippeimpfstoff wir erhalten?
Manuel Schellenbaum: Das ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Vom Prinzip her ist es wie eine Wettervorhersage. Die WHO überwacht die Entwicklung der Virenstämme konstant. Jene Viren, die sich im Winter auf der Südhalbkugel als dominant erweisen, dürften dann auch zu uns kommen. Darauf basiert der Impfstoff.
Das heisst, die Grippe, das Influenzavirus, ist ein globales Thema?
Ja, genau. Die Grippe breitet sich mit den Reisenden und transportierten Masttieren über die Erde aus.
Merken Sie in der Apotheke, dass die Grippesaison beginnt?
Mein Indikator ist der Bestand im Neocitran-Gestell (lacht). Erkältungen und Grippe sind schon am Anziehen, aber es ist noch nicht Hochsaison. Sobald die Leute wieder mehr drinnen und näher aufeinander sind, merken wir das.
Die Grippewelle wird kommen, das ist sicher. Wer soll sich impfen lassen?
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt die Grippeimpfung Menschen ab 65 Jahren, Schwangeren und stillenden Frauen sowie Personen mit chronischen Erkrankungen und Mitarbeitenden des Gesundheitssystems.
Was ist mit Angehörigen von Risikopatientinnen und -patienten?
Es ist wichtig, dass sich Betreuende von Risikopatientinnen und -patienten impfen lassen, um diese zu schützen. So kann ein effektiver Schutz rund um Personen mit einem höheren Komplikationsrisiko aufgebaut werden. Studien zeigen beispielsweise, dass die Krankheitsrate in der Grosseltern-Generation geringer ist, wenn man die Enkel impft. Dadurch werden jene geschützt, deren eigenes Immunsystem weniger stark ist.
Empfehlen Sie die Impfung auch Leuten, die keinen Kontakt zu Risikogruppen haben?
Grundsätzlich geht es dabei oft um junge Erwachsene. Im Normalfall haben sie ein sehr geringes Komplikationsrisiko bei einer Grippe. Die Frage ist mehr: Will ich eine Woche krank im Bett liegen? Wer das nicht will, sollte sich auf jeden Fall impfen lassen.
Wie lange ist man mit einer Grippe ausser Gefecht gesetzt?
Im Normalfall sind die Symptome an den ersten zwei Tagen sehr stark, mit hohem Fieber, Glieder- und Muskelschmerzen. Nachher sind es rund fünf Tage mit mehr oder weniger Beschwerden. Oft sagen die Leute «Ich habe Grippe», aber es ist eine Erkältung. Wenn es mit Halsweh und Schnupfen anfängt, man vielleicht einen Tag Fieber und eine laufende Nase hat, dann ist es eine Erkältung. Eine Grippe ist im Verlauf «fulminanter».
Wie gross ist die Verwechslungsgefahr mit Covid-19?
Die einzelnen Symptome von Covid und der Grippe sind relativ ähnlich. Darum ist es schwierig, sie auseinanderzuhalten. Aber bei einer Erkrankung ist das Verhalten grundsätzlich das gleiche: Isolation, Bettruhe und, wenn man das Haus verlassen muss, eine Maske tragen.
Welche Vorteile hat das Impfen in der Apotheke gegenüber einem Arztbesuch?
Der Vorteil bei der Apotheke ist, dass man einfach dann, wenn man gerade Zeit hat, die Impfung machen kann. Auch ohne Termin. Entsprechend steigen unsere Impfzahlen stetig.
Mit der Grippeimpfung schützen Sie nicht nur sich selbst, sondern auch Ihre nahen Angehörigen und andere Mitmenschen. In den meisten Rotpunkt Apotheken können Sie sich sicher und schnell von geschultem Fachpersonal impfen lassen. Erledigt ist die Impfung normalerweise in rund zehn Minuten.
Wie wirkt der Impfstoff?
In der Impfung sind nur die sogenannten Oberflächenproteine, die Antigene, enthalten. Gegen diese produziert unser Immunsystem spezialisierte Greifarme, die Antikörper. Die Zellen, welche diese produzieren, werden vom Körper für eine mögliche erneute Infektion gespeichert. Dies sind die Gedächtniszellen. Diese werden bei einem neuen Kontakt mit diesem Oberflächenprotein, normalerweise aufgrund eines Infektes mit dem dazugehörigen Virus, reaktiviert. Dies hat zur Folge, dass der Körper viel schneller das Virus bannen kann und im Idealfall gar keine spürbaren Symptome auftreten. Für diese Schutzwirkung ist es für den Körper im Prinzip egal, ob er nur ein Oberflächenprotein, ein abgeschwächtes Virus oder das Virus selbst gespritzt bekommt. Solange der Körper richtig darauf reagiert, ist die Schutzwirkung gegeben.
Wie lange schützt die Grippeimpfung?
Etwa drei Monate. Darum findet der nationale Impftag auch Anfang November statt. Es dauert 14 Tage, bis der vollständige Schutz vorhanden ist. So ist man während der Grippewelle geschützt.
Könnte man nicht eine Grippeimpfung entwickeln, die länger anhält?
Es gibt bereits Ansätze, an denen die Forschung dran ist. Aber das Problem ist, dass Influenza von Tieren, meist Geflügel, auf Menschen übertragen wird und eine hohe Mutationsfähigkeit hat. Was man bis jetzt noch nicht gefunden hat, ist das eine gemeinsame Protein, welches das Virus immer braucht und gegen das man impfen könnte.
Hat die Grippeimpfung Nebenwirkungen?
Ja, die klassischen Nebenwirkungen. Schmerzen oder Rötungen an der Einstichstelle. Es kann ein bisschen jucken oder ein dem Muskelkater ähnlicher Schmerz entstehen. Im Normalfall wird die Impfung gut vertragen. Ich impfe schon seit sieben Jahren, und wenn man die Leute fragt, sagen sie höchstens, es habe ein bisschen wehgetan.
Kann ich von der Impfung eine Grippe bekommen?
Nein, das ist unmöglich, da im Impfstoff kein ganzes und funktionierendes Virus drin ist.
Aber ich kann trotz Grippeimpfung an Grippe erkranken?
Das gibt es. Es kommt immer darauf an, wie gut die Prognosen für die Virenstämme sind. In guten Jahren liegt der Impfschutz bei 60 bis 80 Prozent. Jede Grippewelle ist da unterschiedlich. Aber grundsätzlich sind die Symptome und das Risiko für Komplikationen schwächer ausgeprägt.
Kann ich mich gegen Grippe und Covid impfen lassen?
Auf jeden Fall, da spricht nichts dagegen.
Welche Impfungen kann man sonst noch in der Apotheke machen lassen?
Das Impfen in Apotheken ist kantonal geregelt. Im Kanton Zürich kann man die meisten gängigen Impfungen machen, z. B. Diphtherie, Tetanus, Polio, Hepatitis A und B oder die Zeckenimpfung. Und natürlich die Corona- und die Grippeimpfung. Neu können wir auch bei über 65-jährigen die Gürtelroseimpfung durchführen.
Als Apotheker sind Sie exponiert. Wie schützen Sie sich selbst vor einer Ansteckung?
Weil ich zwei kleine Kinder habe, die in die Kita gehen, landet praktisch alles, was an Viren zirkuliert, bei mir daheim. Das Wichtigste ist darum die Grippeimpfung. In der Apotheke schütze ich mich mit den entsprechenden Vorsichtsmassnahmen, wie beispielsweise häufiges Händewaschen und Desinfizieren.
Und wenn ich jetzt trotzdem eine Grippe habe, was empfiehlt der Apotheker?
Grippeviren lassen sich nur symptomatisch behandeln. Um Symptome wie Fieber oder Gliederschmerzen zu lindern, können verschiedene Grippemittel angewendet werden. Grundsätzlich gibt es zwei mögliche Ansätze: Entweder werden verschiedene Medikamente gegen bestimmte Symptome eingenommen oder ein Kombinationspräparat. Hierzu beraten wir Sie gerne in den Rotpunkt Apotheken. Weitere Informationen zur Wirkung von Grippemitteln finden Sie im Rotpunkt Ratgeber. Neben einer medikamentösen Therapie ist Bettruhe essenziell für eine rasche Genesung.