Wir alle wollen nachhaltig leben. Aber was heisst das überhaupt? «Es bedeutet, dass umweltschonende, soziale und tiergerechte Bedingungen berücksichtigt werden», erklärt uns Corina Gyssler, Kommunikationsberaterin beim WWF. Der Begriff werde heute aber oft für Marketingzwecke missbraucht und so gelte heute vieles als nachhaltig.
Fredy Dinkel von Carbotech, einem Unternehmen für Umweltberatung, fügt deshalb hinzu: «Mir gefällt der Begriff ,zukunftstauglich’ besser. Er drückt aus, dass wir so leben sollten, dass auch künftige Generationen eine gute Lebensgrundlage haben.» Aber wie schaffen wir das? Die Meinungen gehen auseinander und längst nicht alles, was in puncto Nachhaltigkeit behauptet wird, ist wahr. Wir klären auf über zehn gängige Mythen.
1. Nachhaltig leben ist viel zu teuer
Falsch. «Wirklich teuer wird es, wenn wir nicht nachhaltig leben! Unsere Kinder und Grosskinder werden die Kosten dafür irgendwann tragen müssen», sagt Dinkel. Er hat aber eine Vermutung, woher der Irrglaube kommt: «Wer alles im Überfluss haben will und das auch noch 100% ökologisch, der lebt nicht nur teuer, sondern auch in einer Illusion, weil es ein Widerspruch in sich ist.» Das gute Mass ist die Basis für ein nachhaltiges Leben. Zeit mit guten Freunden kostet nichts und ist wertvoller als übermässiger Konsum. Wer sich daran hält, kann sogar sparen.
Tipp: Food Waste vermeiden. «Pro Jahr landen bei jedem von uns Lebensmittel im Wert von 600 Franken im Abfall», sagt Gyssler. Dieses Geld lässt sich sinnvoller ausgeben!
2. Im Vergleich zu China oder den USA produzieren wir kaum CO2
Falsch. «Wir produzieren im eigenen Land wenig, importieren aber viel. Das CO2 für die Produkte wird nicht uns, sondern dem Herstellungsland angerechnet», so Gyssler. Aber auch sonst zählen wir nicht gerade zu den Umwelt-Heros: Wir fliegen dreimal so oft wie der durchschnittliche EU-Bürger, fahren im EU-Vergleich die schwersten Autos und heizen am häufigsten mit Erdöl. «Würden alle so leben wie wir, bräuchte es drei Planeten, um den gesamten Ressourcenbedarf zu decken», sagt die WWF-Expertin.
3. Ich allein kann sowieso nichts bewirken
Doch. Jeder von uns kann und muss etwas beitragen. Unser ökologischer Fussabdruck besteht zu 31% aus der Mobilität und zu 28% aus dem allgemeinen Konsum. «Hier müssen wir ansetzen, denn hier können wir am meisten bewegen», sagt Gyssler. So ist Karton sammeln zwar gut und recht, auf einen Flug zu verzichten, ist aber viel wirksamer.
Tipp: Bei kurzen Strecken umsteigen. Das gilt beim Autofahren wie Fliegen: «Statt mit dem Auto können wir kleine Distanzen auch mit dem Velo oder zu Fuss bewältigen und kurze Flüge lassen sich gut auf Schienen verlagern», sagt Gyssler.
4. Auch Schweizer Fleisch schadet der Umwelt
Richtig. «Für ein Stück Fleisch werden etwa vier- bis achtmal mehr Futtermittel benötigt, als später auf dem Teller liegen», erklärt Dinkel. Ähnliches gilt auch für Milch, Eier und Käse. Hinzu kommt, dass 50% des Kraftfutters für Schweizer Hühner und Schweine aus dem Ausland importiert wird.
Tipp: Ab und zu verzichten. «Man muss nicht vegan werden, aber ein fleischloser Tag pro Woche oder mal Hafer- statt Kuhmilch zu probieren, kann ein Anfang sein», so Dinkel.
5. Regionale Lebensmittel sind immer besser als ausländische
Nein. Natürlich sind lokal angebaute Produkte grundsätzlich sinnvoll, aber nicht in jedem Fall besser, wie Gyssler weiss: «Wenn ein Gemüse an dem Ort, wo es wächst, an der Sonne reift und mit dem Lastwagen zu uns kommt, kann das ökologischer sein als eines aus einem fossil beheizten Schweizer Gewächshaus.»
6. Gemüse in Plastik schadet der Umwelt
Falsch und Richtig. «Eine Verpackung hat drei Funktionen: Sie hilft Informationen weiterzugeben, ermöglicht den Transport und bietet vor allem Schutz», sagt Dinkel. Speziell Letzteres ist in dem Zusammenhang wichtig: Der Plastik sorgt nämlich dafür, dass ein Lebensmittel länger haltbar bleibt. So kann er helfen, Food Waste zu vermeiden. Das bringt der Umwelt mehr, als der Verzicht auf das Stück Plastik. Wird ein Gemüse aber sofort nach dem Kauf gegessen, so kann die Verpackung unnötig und eine reine Belastung sein. Es hängt also von der Situation und unseren Gewohnheiten ab.
7. Ein Elektroauto ist ebenso schädlich wie ein Benziner
Falsch. Die Batterie ist zwar ein grosses Problem. Dinkel erklärt: «Die Herstellung ist sehr aufwändig und der Abbau der Rohstoffe belastet die Umwelt stark und erfolgt teilweise unter schlimmen sozialen Bedingungen.» Nach heutigen Erkenntnissen auf der Basis von Ökobilanzen schneidet es ökologisch dennoch besser ab: Ein Elektroauto der gleichen Grösse und Lebensdauer belastet die Umwelt etwa halb so stark wie eines mit Benzin.
Tipp: Strom ist nicht gleich Strom: «Wer ein Elektroauto fährt, sollte Ökostrom verwenden», sagt Gyssler. Also Strom, der aus einer erneuerbaren Energiequelle und nicht aus dem Kohlekraftwerk kommt.
8. Recycling rettet die Umwelt nicht
Richtig. «Am meisten hilft es der Umwelt, wenn eine Verpackung gar nicht erst in Umlauf gerät», erklärt Gyssler. Recycling ist aber trotzdem wichtig. Einige Materialien wie PET oder Alu lassen sich heute nämlich vollständig recyceln und mehrfach verwenden. Bei vielen Verpackungen aus gemischten Materialien ist das aber leider (noch) nicht möglich. Sie werden in der Regel verbrannt.
9. Glasflaschen sind besser für die Umwelt als PET
Jein. «Das ist nur der Fall, wenn es sich um eine Mehrwegflasche handelt, welche zum Hersteller zurückkehrt und dabei nicht mehr als 100 Kilometer zurücklegt», sagt Dinkel. Sonst ist PET (zumindest in der Schweiz) sogar ökologischer. Viel wichtiger ist aber die Frage, ob Getränke überhaupt so weit transportiert werden müssen oder ob Leitungswasser auch genügt – das ist ökologischer und erst noch gratis.
10. Das Licht auszuschalten, spart viel Energie
Nein. Sparen ist zwar immer gut, aber: «Seit den LED-Lampen ist das beim Licht nicht mehr so wichtig. Viel relevanter ist es, beim Heizen oder Waschen zu sparen», so Dinkel.
Tipp: Mieter können helfen, Energie zu sparen. Dinkel rät: «Wer die Temperatur in der Wohnung von 21 auf 18 Grad runterdreht, verbraucht knapp 20 Prozent weniger Heizenergie.»