Ich kann mich noch gut erinnern: In der Primarschule schienen mir sechs Wochen Sommerferien wie eine Ewigkeit. Genauso die Reise ins Tessin. Heute ist es anders: Die Ferien sind gefühlt schon vorbei, bevor sie angefangen haben. Und die Fahrt in die südliche Sonnenstube? Nur noch ein Katzensprung – und das liegt gewiss nicht an der besseren Verkehrslage vor dem Gotthard.
Nein, irgendwie scheint sich unser Zeitgefühl mit den Jahren verändert zu haben. Alles geht schneller. Viel schneller sogar. Wir können euch aber beruhigen: Es geht uns allen gleich. Und die Wissenschaft kann das Phänomen sogar erklären.
Bilder im Kopf
Faktisch gesehen ist Zeit immer gleich lang: Eine Sekunde ist immer eine Sekunde, eine Stunde hat immer 60 Minuten, ein Tag 24 Stunden. Unsere innere Uhr funktioniert aber anders. Laut Professor Adrian Bejan wird unser Zeitgefühl von Reizen aus unserer Umgebung geprägt. Je mehr Eindrücke in Form von mentalen Bildern unser Gehirn verarbeiten und speichern kann, desto langsamer vergeht gefühlt die Zeit.
Mit zunehmendem Alter wird unser Gehirn langsamer – und mit ihm auch die Fähigkeit, Bilder zu verarbeiten. Die Folge: Wir können weniger Bilder aufnehmen, was uns das Gefühl gibt, dass die Zeit schneller an uns vorbeizieht.
Weniger Neues
Hinzu kommt, dass wir in jungen Jahren mehr erste Male erleben – wie eine erste Reise, den Schulstart, die erste Prüfung oder die erste Liebe. Neue Erfahrungen bergen laut Bejan viele Reize, was zu mehr mentalen Bildern führt.
Das passt auch zur Theorie vom deutschen Psychologen Marc Wittmann. Er ergänzt, dass wir bei neuen Erlebnissen auch automatisch viel offener und präsenter sind. Das hat zur Folge, dass wir sie mehr in uns «aufsaugen» können – was uns zum nächsten Punkt führt: Die Erinnerung.
Volle Festplatte
Laut Wittmann brennen sich neue Erlebnisse tief in unser Gedächtnis ein und zwar mit all ihren noch so kleinen Details. Je voller unsere Festplatte, desto länger fühlt sich das Erlebte an – nicht nur in diesem Moment, sondern auch in der Erinnerung. Darum kommt uns die Kindheit und Jugend rückblickend viel länger vor als die Gegenwart.
Der Effekt wird dadurch verstärkt, dass wir heute deutlich weniger prägende Erinnerungen schaffen. Ergo: Unser Gehirn speichert die Erlebnisse nur grob und fasst gewisse Zeiträume einfach zusammen. Kleinigkeiten und Unspektakuläres werden dabei weggelassen – denn das hat auf der vollen Festplatte mit all den aufregenden Erlebnissen nicht auch noch Platz.
Die Routine
Der Alltag macht die ganze Sache auch nicht langsamer. Denn durch ihn werden Handlungen und Tagesabläufe routiniert – und das ist eben nicht aufregend genug für unser Gedächtnis. Das heisst, es werden keine neuen Erinnerungen gespeichert – und deshalb vergeht die Zeit gefühlt noch schneller.
Das Gute daran? Wir können unser Zeitempfinden selber beeinflussen. Dafür müssen wir aus unserer Routine ausbrechen und unsere Festplatte mit neuen, aufregenden Erlebnissen füllen. Und seien wir mal ehrlich: Das finden wir auch spannender.