Seit inzwischen mehr als zwei Jahren kämpfen Hollywoods Frauen mit #MeToo und Time’s up für mehr Gleichberechtigung in der Filmindustrie. Neben der Verurteilung von Harvey Weinstein steht dabei eins ganz oben auf der Liste: Das weibliche Geschlecht muss (endlich) gehört werden – nicht mehr als das männliche, aber eben auch nicht weniger. Wenn man sich die aktuellen Zahlen aus Film und Fernsehen ansieht, wird man schnell eines Besseren belehrt. In der Realität hat sich bis dato nämlich noch kaum etwas verändert.
Hollywood gibt Frauen keine Stimme
Der neue Report der San Diego State University macht es deutlich: In den erfolgreichsten Filmen von 2019 liegt der Gesamt-Sprechanteil von Frauen bei gerade einmal 34 Prozent. Abzusehen war die ungleiche und ungerechte Verteilung bereits im Mai. Anlässlich der Filmfestspiele in Cannes flimmerte nach langem Warten Quentin Tarantinos «Once Upon a Time in Hollywood» über die Leinwand. Worauf sich die Fans neben der Topbesetzung aus Leonardo DiCaprio und Brad Pitt im Vorfeld am meisten freuten? Über die Rolle des talentierten Shooting-Stars Margot Robbie, die im Streifen die 1960er-Filmikone Sharon Tate verkörpern durfte. Beim Schauen des Blockbusters stellten sie aber schnell fest, dass Margot eher sporadisch zu sehen ist. In Zahlen bedeutet das: Bei einer Gesamtlänge von 2 Stunden und 45 Minuten kommt die 29-Jährige schlappe 30 Minuten vor – schade. Ähnlich sieht das Ganze im neuen Martin Scorsese Werk «The Irishman» aus. Neben Hollywood-Grössen Al Pacino, Joe Pesci und Robert De Niro ging die doch ziemlich tragende Rolle der verstörten Gangster-Tochter, gespielt von Anna Paquin, im Gesamtbild schlichtweg verloren.
Und wieder reden Männer – sich raus
Wie enttäuschend und unfair solche Beispiele sind, bleibt heute (zum Glück) nicht mehr unbemerkt. Und so stellte eine Journalistin der New York Times Quentin Tarantino bei der Pressekonferenz in Cannes kurzerhand zur Rede. Auf die Frage, warum die talentierte Margot Robbie in «Once Upon a Time in Hollywood» nur so selten zu sehen sei, folgte seitens des Regisseurs ein unhöfliches «Nun, ich lehne ihre Hypothese einfach ab». Gegenüber IndieWire rechtfertigte er sich später mit den Worten: «Es wurde mehr mit ihr gedreht, aber alle haben an Sequenzen verloren … Es ist nicht ihre Geschichte, es ist Ricks – auch nicht Cliffs. Tate fungiert als engelhafte Präsenz im Film, sie ist ein engelhafter Geist auf Erden, bis zu einem gewissen Grad, sie muss nicht in den Film, sie ist in unseren Herzen.» Und auch im Interview mit Deadline gibt er deutlich zu verstehen, sich bewusst gegen weitere Szenen mit der Schauspielerin entschieden zu haben:
«Ich dachte, es wäre sowohl berührend wie angenehm nur ein bisschen Zeit mit ihr als existierende Person zu verbringen. Ich hatte mir dazu sonst keine weitere Geschichte ausgedacht.»
Noch drastischer ist das Beispiel des Ende 2019 erschienenen «The Irishman». In dem dreieinhalbstündigen Streifen bekam Anna Paquin lediglich sieben Zeilen Text zuteil. Während sich Scorsese selbst bislang nicht dazu äusserte, verteidigt De Niro den Filmemacher. So verriet er USA Today:
«Sie [Paquins Rolle als Tochter Peggy] war total stark, aber das wars auch. Vielleicht hätte es in der ein oder anderen Szene mehr Interaktionen zwischen Frank und ihr geben können, aber so wurde es halt nicht gemacht. Sie ist grossartig wie sie ist und so geht es nun mal auf.»
Und die Frauen? Na, die schweigen.
Doch was sagen eigentlich die betroffenen Schauspielerinnen selbst zur Debatte um ihre zu kurz gekommenen Rollen? Sowohl Robbie als auch Paquin wollen dem jeweiligen Regisseur offenbar nicht vor den Kopf stossen. Beide seien nämlich wahnsinnig geehrt über die tolle Besetzung und empfinden ihren knappen Redeanteil als ein bewusst eingesetztes Stilmittel.
Angenommen es war reiner Zufall, dass in zwei der erfolgreichsten Filme aus 2019 ausgerechnet die einzigen Frauen den geringsten Redeanteil bekamen, die Gesamtzahlen sprechen für sich. Statt im letzten Jahr für MEHR Frauen-Power in der Branche zu sorgen, machte Hollywood sogar einen Rückschritt. 2018 lag der weibliche Anteil in Filmen nämlich noch bei einem Prozent mehr.
Immerhin einen kleinen Hoffnungsschimmer am Ende des von Männern dominierten Hollywood-Tunnels, liefern aktuell die Blockbuster-Produktionen «Little Women» und «Hustlers». Beide zeichnen sich durch einen Cast aus starken Frauen, von Frauen geschriebene Drehbücher und weibliche Regie aus – 2020 dann bitte mehr davon.