Sanija Ameti, 28, steht hinter der hauseigenen Bar ihrer Zürcher Altbauwohnung und mixt einen Drink. Einen Sidecar, den Cognac-Klassiker mit Zitronensaft und Cointreau. «Ich mag keine süssen Cocktails.» Die Juristin ist, wie sie selber sagt, ein «Stahlhelm». Sie befürwortet eine starke Polizei und eine robuste Armee. Sie setzte sich für die Kampfjets ein und fordert Dienstpflicht für Frauen. Warum also bekämpft sie an vorderster Front das Anti-Terror-Gesetz?
Im Juni 2017 sterben in Englands Hauptstadt mehrere Menschen, als drei Männer mit einem Transporter auf der London Bridge in eine Gruppe von Fussgängern krachen und danach wahllos Passanten erstechen. Auch Sanija Ameti ist damals für einige Tage in London. «Ich lag abends im Bett des Hotels und hörte den Helikopter fliegen. Ich hatte extrem Angst, dass die Terroristen irgendwo in der Nähe sein könnten.»
Laut den Befürwortern des Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, kurz PMT oder auch Anti-Terror-Gesetz, soll die Polizei mehr Möglichkeiten bei der Bekämpfung von Terrorismus erhalten. Gäbe es konkrete und aktuelle Anhaltspunkte, dass von einer Person terroristische Gefahr ausgeht, könnte die Polizei Massnahmen wie Kontaktverbote, Ausreisesperren oder Hausarrest erteilen.
«Das PMT ist ein Fake. Es gaukelt uns falsche Sicherheit vor und schafft die Unschuldsvermutung ab. Bereits heute ermöglicht unser Strafrecht präventive Massnahmen wie Meldepflicht oder sogar Sicherheitshaft gegen Terrorismus», sagt Ameti. Sie begann ihr politisches Engagement für die Grünliberalen Anfang 2020 und stand kurz darauf bereits in der SRF-«Arena» Bundesrätin Karin Keller-Sutter gegenüber, als es um die E-ID ging. Auch beim PMT kämpft sie nun gegen die Schweizer Justizministerin.
In letzter Zeit tingelt Sanija Ameti durchs Land, tritt an Podien auf, verteilt Flyer, gibt unzählige Interviews – für die grössten Zeitungen wie die kleinsten Instagram-Kanäle. Das alles neben ihrer Arbeit als Doktorandin an der Uni Bern. «Vor zwei Uhr nachts komme ich selten ins Bett.» Erschöpfung lässt sie sich nicht anmerken. Sie argumentiert stets eloquent und auf den Punkt. «Und damit ich nicht zu blass und müde aussehe, trage ich roten Lippenstift.»
Der unbeirrbare Kampf hat mit ihrer Vergangenheit zu tun. Ameti kommt 1993 während des Kriegs in Jugoslawien zur Welt. Weil ihr Vater ein oppositioneller Politiker ist, bricht die Polizei eines Nachts in das Haus der Familie ein und nimmt ihn mit. Ameti ist damals drei Jahre alt. Danach fliehen ihre Eltern in die Schweiz – nach Oerlikon in Zürich. «Ich will solche willkürliche Polizeigewalt nicht noch mal in der Schweiz erleben.»
Dass Ameti heute politisch aktiv ist, gefällt ihren Eltern gar nicht. «Sie sehen es als Gefahr, weils ihnen damals zum Verhängnis wurde. Sie glauben, es bringt sowieso nichts. Ich möchte meinen Eltern so gerne zeigen, dass man eben doch etwas bewirken kann.» Unterstützung erhält sie von ihrem Freund Florian Schmidt-Gabain, 39, mit dem sie zusammenlebt. Seit acht Jahren sind sie ein Paar. «Wir lernten uns an einem Freitag, den 13. kennen. Er sprach mich auf der Strasse an.» Der stilbewusste Rechtsanwalt («Best dressed» 2018) kandidierte übrigens eben vergeblich fürs Präsidium des Zürcher Kunsthauses.
«Ich möchte meinen Eltern so gerne zeigen, dass man eben doch etwas bewirken kann»
Sanija Ameti
Das Anti-Terror-Gesetz hat laut Ameti vor allem ein grosses Problem: seine Definition von Terrorismus. «Im PMT steht, ein Terrorist ist, wer eine Straftat androht oder begeht oder Furcht und Schrecken verbreitet. Was bedeutet ‹Furcht und Schrecken verbreiten›? Bundesrätin Karin Keller-Sutter verschweigt diesen schwammigen Teil permanent.» Ameti beklagt, der Staat wolle mit dieser Formulierung möglichst viele Menschen in Datenbanken für Gefährder erfassen können.
«Das ist mein Fichenschrank», sagt Ameti verschmitzt und zeigt auf einen grossen Aktenschrank im Wohnzimmer. Hier hat sie Arztrechnungen, Zeugnisse und Steuerunterlagen einsortiert. «Mit den Fichen wollte der Staat in der 80er-Jahren gegen gefährliche Kommunisten vorgehen. Am Ende landeten 900 000 Schweizerinnen und Schweizer in den Karteien.» Das PMT wäre die Fichen des 21. Jahrhunderts, sagt Ameti. «Ich komme aus einer muslimischen Familie, bin politisch aktiv und habe ein grosse Klappe. Ich wäre eine Verdächtige.»