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Boomer vs. Millennials

So unterschiedlich erziehen die beiden Generationen

Boomer sind unsensibel und autoritär, Millennials verweichlichen ihre Kinder – so das gängige Klischee. Doch wie unterschiedlich sind die Erziehungsstile der beiden Generationen tatsächlich? Die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm erklärt, was sich Millennials und Boomer voneinander abschauen könnten und wie sich Konflikte vermeiden lassen.

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So unterschiedlich erziehen Boomer und Millennials

Kinder haben oft eine sehr enge Beziehung zu ihren Boomer-Grosseltern.

Getty Images

Menschen aus unterschiedlichen Generationen haben oft unterschiedliche Ansichten. Und zwar zu allerlei Dingen, die unseren Alltag und unsere Gesellschaft prägen. Auch – oder gerade – in puncto Erziehung sind sich ältere und jüngere Menschen oft uneinig. Aktuell gehen diverse Beiträge auf Instagram und TikTok viral, in denen sich die Erziehungsstile von Boomern (Menschen zwischen 60 und 79 Jahren) und Millennials (Menschen zwischen 30 und 45 Jahren) gegenübergestellt werden. Was lustig erscheint, kann leider auch zu Spannungen zwischen Grosseltern und Eltern führen, wenn es um die Erziehung der Kinder, respektive Enkelkinder geht. Margrit Stamm, Professorin für Erziehungswissenschaften weiss, welche Punkte besonders oft zu Streitigkeiten führen und wie diese vermieden werden könnten.

Margrit Stamm, erziehen Boomer und Millennials tatsächlich sehr unterschiedlich? 

Ja, es gibt Unterschiede. Aber man kann natürlich nicht alle Menschen einer Generation in eine Schublade stecken. Auch unter den sogenannten Boomern und Millennials gibt es unterschiedliche Erziehungsstile. Ich spreche deshalb nur von Tendenzen.

Wie sehen diese aus?

Die Boomer wurden in der Regel autoritär erzogen. Gehorsam, Fleiss und Disziplin waren wichtige Tugenden. Diese vermittelten sie manchmal ihren Nachkommen. Sie betrachten Kinder zudem als widerstandsfähige Wesen, die einiges aushalten können. Ausserdem haben sie ihre Kinder viel weniger kontrolliert, als es heute oft getan wird. Sie liessen ihnen etwa den Freiraum, allein draussen zu spielen. Millennials sehen ihre Kinder eher als verletzliche Geschöpfe, die ständig beschützt und behütet werden müssen.

Wie haben sich die Rollen innerhalb einer Familie im Laufe der Zeit verändert?

Bei den Boomern übernahm die Frau zuhause die Hauptverantwortung, der Mann ging arbeiten und war oft abwesend. Die Mutter war die Innenministerin, der Vater der Aussenminister. Die heutigen Väter sind viel engagierter und bemühen sich, ihren Kindern mehr Zärtlichkeit und Zeit zu geben, als sie von ihren Vätern erhalten haben. Bei den Müttern ist es so, dass heute viele gut ausgebildet sind und arbeiten gehen. Sie spüren aber häufig einen grossen Druck und stellen an sich selbst den Anspruch, eine perfekte Mutter zu sein. Viele lesen diverse Ratgeber – etwa zur bedürfnisorientierten Erziehung –, sodass es manchmal scheint, als sei die Mutterschaft mittlerweile eine Doktorarbeit.

 

«Die heutigen Väter bemühen sich, ihren Kindern mehr Zärtlichkeit und Zeit zu geben, als sie von ihren Vätern erhalten haben.»

Ist es denn nicht wirklich so, dass gerade Mütter heute einem enormen Druck ausgesetzt sind?

Doch, der Druck ist da. Dabei spielt auch Social Media eine Rolle. Die heutigen Mütter werden beinahe überflutet mit Ratschlägen und sehen ständig, wie perfekt andere Mütter das Familienleben organisieren. Das führt zu Vergleichen und dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Früher war das weniger ein Thema. Generell ist die soziale Kontrolle grösser, sodass andere Eltern beispielsweise irritiert reagieren und diese Irritation auch äussern, wenn jemand sein Kind allein auf den Spielplatz gehen lässt.

Wie ist die Boomer-Generation als Grosseltern?

Zwar holen Grossväter auf, doch vor allem übernehmen Grossmütter einen wichtigen Teil der Betreuung ihrer Enkelkinder. 46 Prozent kümmern sich regelmässig um sie. Oft werden Grossmütter deshalb als Schattenmütter bezeichnet. Da sie allerdings aufgrund ihrer eigenen Erfahrung meist klare Vorstellungen von Erziehung haben, ist das Potenzial gross, dass sie mit ihren eigenen Kindern in einen Konflikt geraten.

 

Margrit Stamm

Margrit Stamm ist Professorin für Erziehungswissenschaften.

ZVG

Was werfen sich Boomer und Millennials gegenseitig vor?

Millennials kritisieren unter anderem, dass Boomer ständig Dankbarkeit einfordern, ungefragt Ratschläge erteilen und die Enkelkinder verwöhnen. Umgekehrt sind viele Boomer der Meinung, ihre Millennial-Kinder würden die eigenen Kinder überbehüten und verweichlichen. Zudem kann es vor allem dann zu Spannungen kommen, wenn Millennials ihren Boomer-Eltern das Gefühl vermitteln, dass nur ihre eigene Form der Erziehung die richtige ist und sie ihnen etwa detaillierte Anweisungen dazu geben, wie wenig Zucker das Kind zu sich nehmen darf oder welche Temperatur der Schoppen haben muss.

Leiden die Enkelkinder unter diesen Konflikten?

In der Regel nicht. Kinder können sogar von unterschiedlichen Erziehungsstilen profitieren. Ausserdem sind sie flexibel. Sie können sich durchaus merken, welche Regeln bei den Eltern und welche bei den Grosseltern gelten. Interessanterweise ist das Verhältnis zwischen Boomer-Grosseltern und Enkelkindern oft sehr eng. Man sagt, die Konflikte würden häufig eine Generation überspringen.

Wie lassen sich Spannungen zwischen Eltern und Grosseltern vermeiden?

Ich rate, gewisse Standards, die einem als Eltern wichtig sind, mit den Grosseltern zu vereinbaren. Dabei muss man aber nicht ins Detail gehen. Grosseltern dürfen ihre Enkel auch mal verwöhnen und in anderen Bereichen wiederum strengere Regeln haben. Allerdings sollten sie ihre Grenzen kennen. Dem Enkelkind ohne Absprache mit den Eltern die Haare zu schneiden oder medizinische Dinge abklären zu lassen, geht beispielsweise gar nicht.

«Kinder können von unterschiedlichen Erziehungsstilen profitieren.»

Welches sind die Vorteile eines bedürfnisorientierten Erziehungsstils, den viele Millennials pflegen?

Das Kind wird mit seinen Bedürfnissen ernst genommen und geschätzt. Es bekommt viele positive Rückmeldungen, was eine wichtige Grundlage für ein gutes Aufwachsen ist. Die Kommunikation findet auf Augenhöhe statt und nicht von oben herab. 

Und die Nachteile?

Die Kinder stehen oft so stark im Mittelpunkt, dass sie Mühe haben, sich im Kindergarten einzuordnen und nicht lernen, Probleme selbständig zu lösen. Werden sie ständig überwacht und behütet, haben sie keine Chance, Risiken einzugehen und Ängste zu überwinden. Das jedoch würde sie widerstandsfähiger und robuster machen.

Was könnten sich Millennials also von den Boomern abschauen?

Dem Kind mehr Freiraum geben, ihm mehr zumuten und zutrauen. Etwas mehr Lockerheit würde den Druck sowohl bei den Eltern als auch den Kindern reduzieren. 

Fabienne Eichelberger von Schweizer Illustrierte
Fabienne EichelbergerMehr erfahren
Von Fabienne Eichelberger am 22. April 2025 - 18:00 Uhr