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Fehler, Massnahmen, richtiges Verhalten

Wie wir Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen

Viele Eltern fürchten sich davor, ihr Kind könnte Opfer sexuellen Missbrauchs werden. In einer Umfassenden Übersicht klären wir darüber auf, welche präventiven Massnahmen Kindern helfen können, sich in schwierigen Situationen zu wehren. Und welche Fehler Eltern vermeiden sollten, wenn ein Verdacht besteht.

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mädchen am fenster

Tabu: Wenn Kinder sexuell Missbraucht werden, kennen sie in den meisten Fällen den Täter.

Getty Images

Nach den neuesten Entwicklungen im Fall der vor 13 Jahren in Portugal verschwundenen Maddie und nach den Enthüllungen von Supermodel Anja Leuenberger über den erlebten Missbrauch in ihrer Jugend beherrscht das Thema der sexuellen Ausbeutung von Kindern einmal mehr die Medien. Und die Sorgen der Eltern, es könnte ihre eigenen Kinder treffen. Diese Nachrichten lassen uns unweigerlich darüber nachdenken, wie wir unsere eigenen Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen können.

Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass Kinder nicht dann der grössten Gefahr für Missbrauch ausgesetzt sind, wenn wir es erwarten. Etwa, wenn wir sie alleine auf dem Spielplatz oder beim Einkaufen sehen.

Sexuelle Ausbeutung geschieht im eigenen Beziehungsnetz

Die grösste Gefahr lauert in alltäglichen Situationen, in denen wir keine Gefährdung vermuten. Wie die Kinderschutz-Statistik der Swiss Society of Paediatrics zeigt, stammen die Täter und Täterinnen bei Kindesmissbrauch zu 91.5 Prozent aus der Familie oder dem Bekanntenkreis der Opfer. Diese Zahl bezieht sich auf alle Formen von Kindesmissbrauch: dazu gehört neben sexueller Ausbeutung auch körperliche und psychische Gewalt, Vernachlässigung und das Münchhausen-Stellvertretersyndrom.

«Sexuelle Gewalt geschieht im Kontext von Beziehungen: Im sozialen Nahraum, in der Nachbarschaft, der Schule, im Freizeitverein und in der Familie der Kinder. Täter und Täterinnen bauen zuerst ein Vertrauensverhältnis auf und sind den Kindern und ihren Familien bekannt – Fremdtäter und Fremdtäterinnen auf dem Spielplatz sind sehr selten», bestätigt Karin Iten, Geschäftsführerin der Fachstelle Limita.

Als Fachexpertin für die Prävention von sexueller Ausbeutung nimmt Karin Iten im Interview dazu Stellung, wie Eltern ihre Kinder vor Missbrauch schützen können.

Karin Iten, gibt es eine Erklärung dafür, weswegen Täterinnen und Täter bei sexueller Ausbeutung von Kindern meist aus dem familiären Umfeld und Bekanntenkreis stammen?
Einer Tat geht viel Manipulation und eine sogenanntes «Grooming», also das Vorbereiten und Zurechtmachen des Kindes und der Umgebung, voraus. Sexuelle Gewalt ist eingebettet in alltägliche Beziehungsarbeit. Täter und Täterinnen versuchen, nicht nur die Kinder, sondern auch die Erziehungsberechtigten um den Finger zu wickeln und gehen sehr strategisch vor.

Wie sieht ein solches strategisches Vorgehen aus?
Sie springen zum Beispiel dort ein, wo sie Lücken im Familiensystem wahrnehmen und bieten sich für Entlastung an. Dass vertraute Menschen, die wir mögen, sexuelle Gewalt ausüben, ist und bleibt letztlich unvorstellbar und trifft alle unerwartet.

Sollten wir also mit Hüeti-Angeboten viel vorsichtiger umgehen und dem Grossvater misstrauisch auf die Finger schauen?
Nein, man muss nicht mit der Verdachtsbrille das Umfeld scannen. Täter und Täterinnen lassen sich im Voraus nicht erkennen. Die beste Prävention ist, in die Beziehung zu den Kindern zu investieren und bereits bei feineren Grenzverletzungen als Erziehungsberechtigte für die Grenzen des eigenen Kindes einstehen – und nüchtern aber klar reagieren.

In welchen Situationen sollten wir als Eltern reagieren?
Sexuelle Ausbeutung ist ein Vieraugen-Delikt. Also unsichtbar. Solche Delikte entziehen sich unserer Wahrnehmung. Grenzverletzungen jedoch ohne strafrechtliche Relevanz sind sichtbar. Wenn ein beobachtetes Verhalten zum Beispiel nicht zur Rolle eines Nachbarn oder zur Lehrperson passt, kann man direkt, sachlich und unaufgeregt korrigieren und eigene Erwartungen darin formulieren. Dabei ist es wichtig, dass es um die Rolle geht und nicht um die Person. Damit vermitteln Erziehungsberechtigte eine klare Botschaft: «Ich stehe ein für die Grenzen meines Kindes!»

«Prävention darf nicht an die Kinder delegiert werden. Grenzziehung bei Unrecht an Kindern gehört in die Hände der Erziehungsberechtigen»

Karin Iten

Wenn Kindern beigebracht wird, dass sie sich den Regeln der Erwachsenen unterordnen sollen, wie kann man ihnen gleichzeitig vermitteln, dass sie sich auch selber wehren dürfen in Situationen, in denen sie sich unwohl fühlen?
Es gibt Regeln, denen sich Kinder unterordnen müssen, weil sie zu einem funktionierenden Zusammenleben gehören. Das heisst nicht, dass Eltern die Bedürfnisse der Kinder darin negieren müssen. Mit Worten wie: «Ich verstehe, dass dich das nervt. Ich kann nachvollziehen, dass du traurig bist» vermitteln Erziehungsberechtigte dem Kind, dass es gesehen wird. Neben Regeln gibt es jedoch immer auch Entscheide, die Erziehungsberechtigte gemeinsam mit den Kindern aushandeln und sie bestärken, sich aktiv einzubringen – darin entsteht Selbstwirksamkeit. Kinder die in ihren Bedürfnissen ernst genommen und beteiligt werden, können sich auch eher beschweren, wenn sie etwas erleben, dass ihre Grenzen und Bedürfnisse missachtet.

Wie kann dieser Puzzlestein gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern wirken?
Sexuelle Ausbeutung ist immer eine Form von Machtmissbrauch. Kinder, die ermutigt werden, Macht auch zu hinterfragen und uns Erwachsene fordern, die eigene Machtposition zu reflektieren und uns darin sorgfältig und transparent zu bewegen, ecken zunächst vielerorts an. Trotzdem sollte diese rebellische Seite der Kinder unbedingt gestärkt werden – darin enthalten ist auch sehr viel Gerechtigkeitssinn und eine Portion Spiegel für uns Erwachsene. Die ehrliche Botschaft an die Kinder lautet: «Auch Autoritätspersonen machen durchaus Fehler und dürfen kritisiert werden – respektvoll aber direkt.» Da haben auch Erwachsene noch viel zu lernen – in ihrer Fähigkeit zur Selbstreflexion und dem Eingestehen von eigenen Fehlern.

Ist die Vorstellung, ein Kind dadurch zu schützen, realistisch?
Die Vorstellung, dass Kinder sich gegenüber einem manipulativ und strategisch vorgehenden Täter, oder einer Täterin, letztlich wehren können, ist unrealistisch. Prävention darf nicht an die Kinder delegiert werden. Grenzziehung bei Unrecht an Kindern gehört in die Hände der Erziehungsberechtigten.

Lesestoff zur Prävention sexuellen Missbrauchs

Die Fachstelle Limita klärt Eltern und Erziehungsberechtigte mit zwei Broschüren über sexuellen Missbrauch auf. Beide sind online einsehbar.

Broschüre 7 Punkte zur Prävention sexueller Ausbeutung

Info-Flyer zur für Erziehungsberechtigte und Eltern zum Schutzes vor sexueller Ausbeutung von Kindern

Wie kann man Kinder über sexuellen Missbrauch aufklären, ohne sie zu verängstigen?
Kindern kann sehr früh vermittelt werden, dass sie das Recht haben, selbst zu bestimmen, wer sie wo und wie berühren darf.  Das kann im Alltag geübt werden und gilt für den Kuss der Grossmutter genauso wie für jenen Nachbarn, welcher unbedacht über die Haare des Kindes streicht. Die Botschaft darin lautet: Du hast ein Recht darauf, dass deine persönlichen Grenzen respektiert werden. Jederzeit und von jedem Menschen. Egal, wie weit du vorher gegangen bist, ob du ein Geschenk angenommen, Zärtlichkeiten ausgetauscht oder dich anfänglich initiativ gezeigt hast. Und wenn deine Grenzen missachtet werden, dann bist nicht du schuld. Sexuelle Gewalt kann auch direkt benannt werden.

Wie würden Sie das tun?
Ich würde dem Kind vermitteln: Wenn dich jemand belästigt, mit Worten oder Blicken, oder sogar anfasst, zum Beispiel am Po, an der Scheide oder Penis, ist das nicht in Ordnung und es ist sogar verboten. Du hast dann jederzeit das Recht, mit mir darüber zu sprechen. Anknüpfungspunkte zur Thematisierung sind damit die Kinderrechte. Noch konkreter brauchen aufgeklärte Kinder auch die Information, dass Erwachsenensexualität mit Kindern für die Erwachsenen strafbar ist. Da kann man Kinder mehr Direktheit zumuten als vorerst gedacht. Verknüpft mit ihren Rechten und Möglichkeiten führt das nicht zu Angst, sondern ermächtigt die Kinder.

Gibt es ein Alter, in dem das noch keinen Sinn macht?
Kinder nehmen sehr früh auch nonverbal wahr, wie achtsam mit ihrem Körper umgegangen wird. Natürlich ist auch relevant, dass Erziehungsberechtige als nächste Bezugspersonen achtsam mit der Intimsphäre ihrer Kinder umgehen und später die  Rechte auf Privatsphäre im Kleinen wie im Grossen respektieren. Aber auch das Gespräch über Kinderrechte kann sehr früh beginnen und im konkreten Alltag der Kinder anknüpfen, im Spiel oder beim Verrichten alltäglicher Pflegehandlungen. Dafür gibt es etliche Möglichkeiten, die Botschaft «Dein Körper gehört dir!» unaufgeregt einzubringen. Im Zentrum stehen stärkende Botschaften. Wichtig jedoch ist die Haltung: Kein Kind kann sich letztlich alleine schützen. Sowohl kleine, wie auch grosse Kinder. Klare Grenzziehungen gehören in die Hände der Erwachsenen.

«Täter und Täterinnen suchen sich ein soziales oder berufliches Umfeld mit Kindern aus. Sie suchen strategisch nach defizitären Systemen»

Karin Iten

Wie kann ich als Mutter diese Grenzziehung ausserhalb des eigenen Haushalts gewährleisten?
Zum Beispiel müssen zum Schutz der Kinder in ihrer Lebenswelt alle Organisationen wie Schule, Sportclub oder Jugendarbeit Schutzkonzepte zur Prävention sexueller Ausbeutung vorweisen können. Da können Eltern auch explizit nachfragen und auf diese Verantwortung zum Wohle der Kinder hinweisen. Es gehört zur Qualität jeder Institution, ein Kinderschutzkonzept aufzubauen.

Weswegen ist gerade diese Massnahme so wichtig?
Täter und Täterinnen suchen sich ein soziales oder berufliches Umfeld mit Kindern aus. Sie suchen strategisch nach defizitären Systemen. Ein Schutzkonzept, das zudem im Alltag gelebt wird, bietet eine Schwelle. Prävention gehört also in erster Linie in die Verantwortung der Mächtigen, nicht die Kinder müssen etwas lernen – etwa, Nein zu sagen – sondern deren Umfeld.

Wie können die Eltern ein Vertrauensverhältnis aufbauen, in dem das Kind sich traut, über solche Geschehnisse zu sprechen?
Sexuelle Ausbeutung kann durch Kinder nicht kognitiv eingeordnet werden. Sie haben ganz einfach keine Sprache und Kategorie dafür. Auch emotional sind Kinder zerrissen, da die Täter und Täterinnen ja viel Beziehungsaufbau machen und damit manipulieren. Zudem ist das Thema äusserst schambesetzt, denn Kinder spüren, dass sie sich in einer Tabuzone bewegen. In einer Verbotszone gibt es Worte, aber in der Tabuzone ist nur Schweigen möglich. Dazu kommt, dass Täter und Täterinnen den Kindern oft Schuldgefühle zuweisen. «Du hast das doch auch gewollt.» Meist üben sie einen massiven Geheimhaltungsdruck aus. Auch das hindert am Sprechen.

«Täter und Täterinnen suggerieren den Kindern, dass sie etwas falsch gemacht hätten»

Karin Iten

Es gibt also mehrere Hürden, darüber zu reden – auch wenn ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Erziehungsberechtigten besteht. Trotzdem ist es wichtig, im Alltag mit den Kindern in einer aktiven Beziehung zu stehen und im Dialog zu sein – auch zu Alltagsproblemen, Schwierigkeiten, Sorgen, Ängsten. Sich Zeit dafür nehmen. Und den Kindern signalisieren und vorleben: «Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst und stehe hinter dir.»

Täter und Täterinnen suggerieren den Kindern, dass sie etwas falsch gemacht hätten – und inszenieren diese Schuldumkehr. Das ist Teil der Manipulation. Betroffene Kinder haben oft kein Opfergefühl, sie können das ja gar nicht einordnen, sondern ein von den Tätern indoktriniertes, schlechtes Gewissen. Eltern, die dem Kind im Alltag immer wieder vermitteln: «Ich habe dich gern, auch wenn du Fehler machst», erleichtern den Kindern, zu reden, wenn sie Schuldgefühle plagen. Das Vertrauen, als Kind jederzeit von den Erziehungsberechtigten getragen zu werden, egal was passiert, ist Liebe.   

Schon einzelne Sätze können wertvolle Puzzlesteine sein in einer Präventionsstrategie gegen sexuellen Missbrauch, wie Fachexperte Nils Vogelsang in der Badischen Zeitung erklärt, können Eltern mit folgenden Aussagen ihre Kinder stärken und sensibilisieren.

  • «Niemand darf dich anfassen, wenn du es nicht willst. Du darfst nein sagen.»
  • «Du hast keine Schuld, wenn jemand dich trotzdem anfasst.»
  • «Nimm deine Gefühle ernst und höre auf sie.»
  • «Du darfst dir Hilfe holen.»
  • «Du darfst ein schlechtes Geheimnis weitersagen.»
  • «Ich hab dich lieb und werde dir immer helfen - auch wenn du dich für etwas schämst oder glaubst, du hättest etwas falsch gemacht.»

Welche elterlichen Verhaltensmuster sind kontraproduktiv?
Wichtig ist das Zuhören im Alltag. Das ist nicht einfach, im schnellen Alltag, wo vieles zu erledigen ist. Sexuelle Ausbeutung ist ein Vieraugendelikt, wir sehen gar nichts. Trotzdem geben Kinder verschlüsselte Botschaften. Ebenso wichtig ist, dem eigenen Kind zu glauben, wenn es erzählt und eine Sprache dazu findet. Wer denn, wenn nicht die Erziehungsberechtigen? Studien zeigen, dass Kinder noch immer rund sieben mal von sexueller Gewalt erzählen müssen, bis sie wirklich jemand hört und ihnen geglaubt wird. Wenn ein Kind erzählt, dann hat das immer gute Gründe und ist als Hilferuf zu verstehen.

«Studien zeigen, dass Kinder noch immer rund sieben mal von sexueller Gewalt erzählen müssen, bis sie wirklich jemand hört und ihnen geglaubt wird»

Karin Iten

Woher rührt diese Ungläubigkeit den Kindern gegenüber?
Schuldgefühle und die Loyalität mit einem Beschuldigten, den die Erziehungsberechtigten ja meist auch gut kennen, hindern manchmal daran, einem Hinweis zu glauben oder diesen überhaupt hören zu wollen. Schuldgefühle lähmen und blockieren. Wichtig ist hier das Bewusstsein, dass sexuelle Ausbeutung jedes Kind treffen kann und Familien nichts falsch gemacht haben, wenn ihr Kind missbraucht wurde. Spürt das Kind Schuldgefühle oder Loyalität der Erziehungsberechtigten gegenüber dem Beschuldigten, zieht es seine Andeutung gleich wieder zurück. Daraus resultieren widersprüchliche Aussagen des Kindes, die Erziehungsberechtigte vielleicht sogar beruhigen und deren Welt vermeintlich wieder in Ordnung bringen.

Also sind Aussagen eines Kindes auch ernst zu nehmen, wenn diese widersprüchlich sind?
Unbedingt. Widersprüche gehören zu jeder Aufdeckung. Täter und Täterinnen sind ja selbst widersprüchlich, wie sollte das Kind da klare Botschaften aussenden können. Und sie wählen Kinder gezielt aus, und sichern sich auf alle Seiten ab für den Fall, dass etwas ans Licht kommt – dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, die nicht immer im Handlungsspielraum der Erziehungsberechtigten sind.

Welche Anzeichen sollten Eltern aufhorchen lassen?
Es gibt keine eindeutigen Signale des Kindes, sondern nur verschlüsselte. Manche Kinder ziehen sich still zurück, andere werden plötzlich laut. Jedes Kind reagiert anders. Es ist alles schwierig zu deuten und zu interpretieren. Wenn ein Kind plötzlich Gewohnheiten verändert, abrupt Lieblingsbeschäftigungen aufgibt, plötzlich Schlafstörungen hat oder ungewohnte Mühe in der Emotionenregulation – dann könnte ein traumatisierendes Erlebnis dahinter stecken.

Wie können Eltern nachfragen, falls sie einen Verdacht hegen?
Wichtig ist es, gerade bei vagen Signalen, den Kinder keine Suggestivfragen zu stellen. Also keine Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden können, etwa «Hat sie oder er dich angefasst?». Besser ist, bei Unsicherheiten die Signale mit einer Opferberatungsstellen zu reflektieren und sich so telefonische Unterstützung zu holen. Wenn sich darin etwas verdichtet, haben Erziehungsberechtige das Recht auf vertrauliche Beratung bei dieser Fachstelle. Das gilt auch für alle weiteren Schritte. Auch wenn ein Kind von sich aus erzählt, ist es wichtig, keine weiteren Aussagen mit Fragen zu suggerieren, denn diese können vor Gericht nicht mehr verwertet werden. Bereits die Frage «Und was ist dann passiert?» suggeriert, dass etwas passiert ist. Besser ist nur die eine Frage: «Möchtest du weitererzählen?» , «Möchtest du mir sonst noch etwas sagen?».

Wenn der Verdacht von sexuellem Missbrauch besteht – wie können Eltern korrekt vorgehen, ohne ihrem Kind weiteren Schaden zuzufügen oder ihm Druck zuzumuten?
Am meisten Schaden passiert, wenn Eltern nicht handeln und ihre unguten Gefühle verdrängen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Dann ist das Kind unter Umständen weiterhin beschämender und massiver Gewalt ausgesetzt. Wenn Erziehungsberechtigte Verdacht schöpfen, dann sollten sie ihr Gefühl immer ernst nehmen und auf keinen Fall alleine damit bleiben. Mit einer Opferberatungsstelle können sie die Situation zunächst einordnen, ohne Zwang zu weiteren Schritten. In jedem weiteren Schritt werden sie dort vertraulich und kompetent beraten.

Was gilt es zu vermeiden?
Ein klares No Go für Erziehungsberechtigte ist die Konfrontation der verdächtigten Person auf eigene Faust. Das setzt Kinder und auch Erziehungsberechtigte enorm unter Druck. Und zudem schmälert es die Chancen einer Aufdeckung – und auch einer allfälligen Verurteilung. Dem oder der Beschuldigten wird so zudem ein Vorsprung verschafft und er oder sie kann erneut manipulieren, diffamieren oder aber Beweise zum Verschwinden bringen. Es ist schwierig für Erziehungsberechtigte, die verdächtigte Person nicht zur Rede zu stellen und sich emotional zurückzuhalten. Ein Verdacht auf sexuelle Ausbeutung des eigenen Kindes ist eine emotionale Belastungsprobe. Auch dafür sind Opferberatungsstellen da.

So arbeiten Opferberatungsstellen

Opferberatungsstellen haben Schweigepflicht und unternehmen keinen Schritt ohne Einverständnis der Erziehungsberechtigten. Wir der Verdacht erhärtet, machen diese Stellen auch Anzeigeberatung, denn ein allfälliger Schritt braucht Mut und er gilt, gut abgewogen zu werden.

CASTAGNA Überkantonale Beratungs- und Informationsstelle für sexuelle ausgebeutete Kinder Jugendliche und in der Kindheit sexuell ausgebeutete Personen.

OPFERHILFE SCHWEIZ Informationen über anerkannte Opferhilfe und Opferberatungsstellen in allen Kantonen

LILLI.CH Anonyme Online-Beratung für Jugendliche: Information zu Sexualität, sexueller Gewalt, Beziehungen, Frauen- und Männerthemen, Körperfragen

TEL 147 Telefonische Beratung für Kinder und Jugendliche von Pro Juventute

Weitere Links findet ihr auf der Internetseite von Limita. Laut Karin Iten sollten die Eltern oder Erziehungsberechtigten nicht nur für betroffene Kinder sondern auch für sich selbst Hilfe in Anspruch nehmen: «Erziehungsberechtigte brauchen auch Unterstützung, wie sich mit ihrer berechtigten Wut und der Angst um ihr Kind klarkommen. Sexuelle Ausbeutung verletzt die Integrität eines Kindes zutiefst und es erschüttern alle Erziehungsberechtigen, trotzdem ist es wichtig, den Boden unter den Füssen nicht zu verlieren.» Ein Kind, das zu 100 Prozent von seiner Familie getragen wird und erneut sichere Beziehung erlebt, kann viel Resilienz aufbauen und mit professioneller Hilfe lernen, das Erlebnis zu integrieren. «Insbesondere traumatisierte Kinder brauchen Lebensfreude und Normalität im Alltag, um sich stabilisieren zu können. Erziehungsberechtigte helfen dem Kind also auch, indem sie für sich selbst Hilfe beanspruchen.»

Karin Iten

Unsere Expertin: Karin Iten ist Geschäftsführerin der Fachberatungsstelle Limita, welche sich für die Prävention sexueller Ausbeutung einsetzt.

ZVG
Sylvie Kempa
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Von Sylvie Kempa am 2. März 2021 - 07:00 Uhr