Resilienz ist das neue It-Wort der Kindererziehung. Kaum ein Erziehungsexperte kann noch ein Interview geben, ohne das Fremdwort in den Mund zu nehmen. Doch gibts dafür eigentlich auch einen Ausdruck, den man versteht? Natürlich: Resilienz bedeutet Widerstandsfähigkeit. Es ist die Steh-auf-Kraft von Steh-auf-Männchen (und -Frauchen, und eben auch -Kindchen).
Diese Eigenschaft ist sozusagen das Immunsystem der Psyche. Sie hält Ängste im Zaum, lässt einen schwierige Situationen ohne bleibende Schäden überstehen und hält den Geist gesund und zuversichtlich.
Technischer ausgedrückt bedeutet Resilienz die vorhandene psychische Elastizität. Springt die Feder wieder zurück in ihre Ursprungsposition nachdem Druck auf sie ausgeübt wurde? Je höher die Resilienz, desto deutlicher lautet die Antwort: Ja. Bei Menschen mit hoher Resilienz spricht man oft von Leuten, «die so schnell nichts umhaut».
Die gute Nachricht ist: Resilienz lässt sich trainieren. Und zwar schon bei Kindern. Resilienzexpertin Antoinette Wenk, 51, vom Resilienz Zentrum Schweiz beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
Frau Wenk, ist Resilienz angeboren oder wird sie erlernt?
Man sagt, Resilienz sei eine Fähigkeit, die im Laufe der Entwicklung vom Kind erworben wird. Allerdings gibt es Eigenschaften, welche diese Entwicklung begünstigen. Sie ist also kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal. Das Kind erlernt verschiedene resiliente Fähigkeiten durch Erfahrungen, durch den Kontakt mit anderen Menschen und durch die Auseinandersetzung mit seinem Umfeld.
Sprich: Wenn man alles richtig macht als Eltern, wird das Kind resilient. Mit Erfolgsgarantie quasi?
Ein Kind kommt ja nicht mit Benutzerhandbuch zur Welt und die Entwicklung von Widerstandsfähigkeit ist ein komplexes Thema. Deswegen nein, es gibt keine Erfolgsgarantie. Genauso wenig wie die Gewissheit, dass Kinder aus einem schlechten Umfeld keine Resilienz entwickeln. Studien belegen, dass auch Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen sich zu widerstandsfähigen Persönlichkeiten entwickeln können.
Woran liegt das?
Ein gemeinsamer Nenner von resilienten Menschen sind Bezugs- und Vertrauenspersonen, die sie lieben und die an sie glauben. Kinder, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen, können diese Bezugspersonen teilweise auch ausserhalb der Familie finden.
Was machen diese Bezugs- und Vertrauenspersonen richtig?
Sie nehmen die Rolle von Entwicklungsmentoren ein. Als solche sollten auch wir Eltern uns sehen. Es geht darum, Kindern die richtige Mischung aus Laisser-faire und Autorität zu bieten. Beides sind wichtige Faktoren, wenn es darum geht, dass das Kind Selbstvertrauen entwickeln soll. Es geht auch darum, den Kindern ehrlich und offen zuzuhören, sich für sie zu interessieren, sie zu akzeptieren und zu respektieren.
Gibt es ganz bewusste Übungen, mit denen man die Resilienz von Kindern fördern kann?
Es gibt verschiedene Resilienzfaktoren, wie Akzeptanz, Optimismus, Lösungsorientiertheit, die man in der Erziehung und während einer Kindheit bewusst gestalten kann. Im Resilienz-Rad (siehe Grafik oben) sind sie ganz einfach dargestellt. Es schadet sicher nicht, diese Grafik auszudrucken und irgendwo aufzuhängen, wo man sie regelmässig durchlesen und darüber nachdenken kann. Gerade bei Kindern finde ich es wichtig, dass sie ein stimulierendes Umfeld haben, welches die Kreativität fördert, Ihnen die Möglichkeit gibt etwas auszupobieren und nicht nur auf Leistung ausgerichtet ist. Zum Beispiel eine Werkstatt, in der sie eigene Ideen umsetzen können.
Eltern können die Resilienz ihrer Kinder schon im Mutterbauch fördern
Ab welchem Alter können Eltern die Resilienz ihrer Kinder fördern?
Ab dem ersten Lebenstag. Eigentlich sogar schon vorher, denn die psychische Verfassung der Mutter hat schon in der Schwangerschaft Einfluss auf das Ungeborene. Stress kann sich auf den Fötus übertragen. Wenn die Kinder dann auf die Welt kommen, ist es wichtig, dass sie verlässliche Liebe und eine sichere Bindung erfahren. Kinder, die eine emotional stabile Beziehung zu ihren Eltern pflegen, die Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit erfahren, trauen sich eher, auch mal was Neues auszuprobieren.
Also gefährde ich die Resilienz meines Kindes, wenn ich mal die Fassung verliere als Mutter?
So schnell geht das nicht. Wir fahren alle mal aus der Haut, das passiert mir auch mit zwei Teenagern zuhause. Erst wenn es regelmässig passiert, sollte man sich Unterstützung holen.
Wo?
Die kantonalen Familienberatungsstellen sind eine gute Adresse und verweisen bei Bedarf weiter. Im Resilienz Zentrum Schweiz gibt es ausserdem den Kurs «Achtung, fertig, Resilienz» sowie die Möglichkeit, individuelle Coachings wahrzunehmen.
Wer den Kindern jedes Problem vorweg löst, fördert die Resilienz nicht
Sie sind selber Mutter. Welchen persönlichen Tipp können Sie anderen Eltern geben?
Ich finde es wichtig, dass ich als Mutter an meiner eigenen Resilienz arbeite. Denn so bin ich meinen Kindern ein positives Vorbild. Für mich ist eine der grössten Herausforderungen das Zeitmanagement als berufstätige Mutter. So koche ich zum Beispiel am Mittag für meine Kinder, bin aber dann oft nicht wirklich präsent am Tisch, weil mich andere Dinge beschäftigen oder ich gestresst bin. Das mindert die Resilienz der Kinder, denn sie fühlen es. Dann muss ich mich manchmal wirklich zusammennehmen, zuhören und die Verbindung zu ihnen aktiv pflegen.
Welche Erziehungsmethoden sind kontraproduktiv für die Entwicklung von Resilienz?
Den Kindern für jedes Problem eine schnelle Lösung anzubieten, ist sicher nicht förderlich für die Resilienz. Denn so lernen Kinder nicht, selber nach einem Weg zu suchen. Kinder, die überbehütet werden, können weniger eigene Erfolge verbuchen, weniger Selbstwertgefühl entwickeln.
Woran erkenne ich, dass mein Kind resilient ist?
Ein resilientes Kind sagt: Ich habe Menschen, die mich lieben und unterstützen, denen ich vertrauen kann. Ich bin eine Person, die liebenswert und gut genug ist, Talente und Fähigkeiten hat und zuversichtlich ist. Ich kann Lösungen finden, Hilfe holen und mit meinen Emotionen und Gefühlen umgehen.