Er stammt aus dem Fricktal, sie aus dem englischen Wiltshire – doch ihr Zuhause gefunden haben Sven Wassmer, 34, und Gattin Amanda Wassmer-Bulgin, 36, mit Sohn Elijah, 3, oberhalb von Buchs SG, direkt unterhalb des Waldes. «In der Nähe von einem Wald zu wohnen, war schon immer mein Traum, da ich dort viel Inspiration finde», sagt der 18-Punkte-Koch. «Im Winter kamen sogar die Tiere bis zu uns.» Die Aussicht reicht über das Rheintal hin zu den Bergen. «Sie geben mir Energie, holen mich auf den Boden zurück. Es hat so lange gedauert, bis ich an diesem Punkt stehen konnte.» Der Kulinarikdirektor und die Weindirektorin des Grand Hotel Quellenhof in Bad Ragaz sind aktuell eines der erfolgreichsten Paare in der Gastronomie.
Vor 16 Jahren verlieben sich die beiden während ihrer Zeit im «Swissôtel» in Basel. Er Kochlehrling, sie Hotellerie-Praktikantin. Zwei junge Menschen mit klarem Ziel: «Wir wollten beide in die ‹Michelin-Star-World›», sagt Amanda. «Ja, wir haben immer die Exzellenz gesucht, danach gestrebt, alles aus uns rauszuholen, uns zu bewegen und dabei zu unterstützen», ergänzt Sven, der das «Memories» mit 18 GaultMillau- Punkten und zwei Michelin-Sternen und das «Verve by Sven» mit einem Michelin-Stern im Grand Hotel leitet.
Ihre Karrieren führen sie zuerst nach Zürich, wo er im «Mesa» arbeitet und Amanda ihre Leidenschaft zu Wein entdeckt. Später folgt er ihr nach London, gemeinsam kehren sie in die Schweiz zurück, gehen gemeinsam nach Vals GR (Restaurant Silver) und schliesslich 2019 nach Bad Ragaz. Im Fünfsternehotel Quellenhof rundet sie seine kulinarischen Kreationen mit den perfekten edlen Tropfen ab. «Ich habe extrem viel Respekt für Sven und wie er arbeitet – und umgekehrt. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, für einen anderen Koch zu arbeiten, das wäre wie Betrügen.»
Elijah verlangt nach einem Snack. Mommy Amanda reicht ihm ein Rüebli inklusive Kraut. Die Situation erinnert Sven Wassmer an die Zeit, als er selbst als Bub beim Grossvater das Rüebli aus der Erde zog, es kurz abwischte und reinbiss. «Wenn ich könnte, würde ich wohl die Karotten auch so im Restaurant servieren», sagt er, der seine Küche als «alpin» beschreibt. Seit Elijah das Paar zu Eltern gemacht hat, liegt die Priorität klar auf dem gemeinsamen Sohn. «Erst durch seine Geburt habe ich realisiert, dass es auch noch etwas anderes gibt», sagt Sven Wassmer. «Davor stellte ich 16 Jahre lang alles hintan, brannte nur für meinen Job.»
«Ohne Amanda wäre ich nicht der, der ich heute bin»
Sven Wassmer
Heute sind ihm die beiden Papi-Tage pro Woche heilig. Gemeinsam mit Elijah geht er oft in den Skatepark, wo er als Kind selber immer war. «Die Zeit mit Eli ist wie Therapie. Ich kann richtig runterfahren, bin leer an Gedanken. Durch diese neue Balance habe ich auch viel mehr Energie.» – «Ja, das Muttersein ist zwar herausfordernd, gibt mir aber Energie wie nichts anderes», sagt Amanda Wassmer-Bulgin. Die vom Magazin «Falstaff» zur «Sommelière des Jahres» gekürte Weinexpertin hat nach der Geburt ihr Berufspensum reduziert. «Ich wusste, dass ich nicht zu 100 Prozent Mami, berufstätig und Studentin sein kann.» Denn aktuell widmet sie sich intensiv ihrem Traum, dem Master of Wine. Nur gerade 418 Personen weltweit tragen diesen Titel. «Irgendwie will ich beweisen, dass ein Underdog wie ich – eine Frau mit britisch-jamaikanischen Wurzeln ohne klassischen Master-Abschluss – das schaffen kann.» Dabei hätte ihr das intensive Studium während des Lockdowns fast die Lust am Wein genommen – wären nicht das Buch «Becoming» von Michelle Obama und die Unterstützung ihres Mannes gewesen. «Ich brauchte in dem Moment Personen, die sagten: ‹Komm schon, don’t give up!›»
«Mommy, ich habe ein Goal gemacht!», ruft Elijah halb Englisch, halb Deutsch. Der Kleine vereint die Kultur und Energie («er ist ein ‹Firecracker›, Feuerwerkskörper») beider Eltern in sich, aber auch deren Liebe zur Kulinarik. «Er isst zum Glück alles, auch wenn am liebsten ‹blutti Nudle›», erzählt Amanda, die das «family cooking» übernimmt. Das sei für sie wie Meditation. Amanda lacht. «Aber ich brauche gefühlt jeden Löffel, den wir haben. Und Sven räumt dann auf.» Der «Aufsteiger des Jahres 2018» von GaultMillau tritt daheim «gern zwei Schritte zurück vom Herd», übernimmt dafür Abwasch und Wocheneinkauf. Ansonsten herrscht eine flexible Rollenverteilung. «Sven scheut sich weder vor dem Wäschewaschen noch vor dem Putzen, da bin ich seinen Eltern sehr dankbar.»
Privatleben und Karriere sind bei Sven und Amanda Wassmer eine Symbiose. So geniessen sie ihre Zweisamkeit gern in einem guten Restaurant. Und daheim wird öfters noch um 23 Uhr auf der Couch bei einem Glas Wein über den Beruf geredet. «Vielleicht ist es nicht das Beste», meint Amanda. «Aber so sind wir.» Für Sven Wassmer ist klar: «Ohne Amanda an meiner Seite wäre ich nicht der, der ich heute bin. Ihr habe ich so viel zu verdanken. Sie hat mich gecoacht, geleitet, geerdet und gefesselt.» – «Aber auch umgekehrt. Ich bin ein Freigeist, der sich gern in den Zielen verliert. Du hast mir beigebracht, durchzubeissen und auch organisiert zu sein», sagt sie. Sie habe etwas Swissness gelernt und er dafür jamaikanische Gelassenheit.
Beruflich bleibt das Paar ambitioniert, sieht in beider Karrieren noch «Luft nach oben». Wenn es um Sohn Elijah und das Familienleben geht, ist ihr Rezept hingegen «Go with the flow». Zu dritt wollen sie in ihrem idyllischen Kosmos oberhalb von Buchs und unterhalb des Waldes einfach glücklich sein.