Laura de Weck, 38, gehört zum Kritikerteam des «Literaturclubs» von SRF und schreibt Kolumnen für den «Tages-Anzeiger». Einer dieser Texte handelte von einem Mädchen, das ihrem Vater klimamässig die Leviten liest: Sie verweigert das von Papa zubereitete Schnitzel und verbietet ihren Eltern nach New York zu fliegen.
Laura de Weck, könnte sich ein solches Gespräch auch am Mittagstisch bei Ihnen zu Hause abspielen? Mit Ihrem achtjährigen Sohn?
Nein, definitiv nicht, dafür ist er noch nicht genug politisiert. Er hat nur Fussball im Kopf! (Lacht.)
Wie kam es zu diesem Text? Sie würden als Inspiration gern Gespräche belauschen, haben Sie mal in einem Interview gesagt.
Dieses Mal musste ich niemanden belauschen. Drei Pärchen haben mir zeitgleich erzählt, dass sie diesen Konflikt zu Hause haben: Auf Druck der Kinder wurden Ferien umgeplant, um Flüge zu verhindern. Jemand hat eine Tochter, die sich strikt vegan ernährt und ihren fleischessenden Eltern Vorwürfe macht. Da habe ich gemerkt, okay, dieses Thema ist gesamtgesellschaftlich.
Ist das Klima bloss guter Stoff für eine Kolumne, oder beschäftigt Sie das Thema auch persönlich?
Die «Fridays For Future»-Bewegung hat mich wachgerüttelt. Seit ein, zwei Jahren haben wir in der Familie viel verändert, was den Klimaschutz betrifft. Früher flog ich wegen der Arbeit oft nach Zürich. Das geht für mich nicht mehr, ich reise jetzt mit der Bahn. Auch wenn wir meine Eltern im Engadin besuchen, nehmen wir den Zug.
Wir führen dieses Gespräch in Zürich, fotografiert werden Sie später in Hamburg. Sind Sie nun also auch mit dem Zug angereist?
Ja, gestern. Morgen muss ich zum ersten Mal seit Längerem wieder fliegen, weil ich einen Termin in Berlin habe und es zeitlich nicht anders geht. Ich will nicht dogmatisch werden. Ich kaufe zum Beispiel kein Fleisch mehr, aber wenn ich eingeladen bin und es gibt welches, dann esse ich mit. Viele haben Angst, dass der Spass vorbei ist, wenn man sich umweltbewusst verhält. Das stimmt nicht. Man kann gleichzeitig ausschweifend und ökologisch leben.
«Anfangs fand ich, oh Gott, zwölf Stunden Fahrt, und das mit zwei Kindern! Bis ich merkte: Die Kinder bereiten sich mit Freude auf die Reise vor.»
Haben Sie in Ihrem Lebenswandel Sachen gefunden, bei denen der Verzicht auch Freude bereitet?
Ja, bei unseren Zugsreisen. Anfangs fand ich, oh Gott, zwölf Stunden Fahrt, und das mit zwei Kindern! Bis ich merkte: Die Kinder bereiten sich mit Freude auf die Reise vor: Sie überlegen, was sie für Spiele, Bücher und Picknick einpacken wollen. Grundsätzlich werden ganz andere Werte wichtig: Man kann verschwenderisch mit Zeit umgehen statt mit Plastik. Oder man ist verschwenderisch mit Feiern statt mit Fleisch.
Wie sind Sie unterwegs in Hamburg?
Mit ÖV und Velo, ein Auto hatten wir noch nie. In der Innenstadt, wo wir leben, braucht man keins. Ich fahre auch nicht so gut und gerne.
Wie wichtig ist Ihnen Konsum?
Ich mag Material nicht, wir haben keinen Dachboden, keinen Keller. Alles, was wir besitzen, steht in unserer Wohnung, kann jederzeit eingepackt werden, und wir könnten in eine andere Stadt ziehen. Diesen Gedanken mag ich. Bei den Kindern ist es schwieriger, sie wachsen in einer Welt auf, in der überall Konsum herrscht und glitzernde Spielsachen blinken.
Wenn Sie doch mal was Neues zum Anziehen brauchen. Worauf achten Sie?
Bei Kleidern handle ich nicht so bewusst wie beim Reisen. Ich kaufe, was mir gefällt, aber eher teurere Sachen von guter Qualität.
Und bei Lebensmitteln?
Ich gehe fast nur in den Bioladen oder auf den Markt, der zweimal in der Woche bei uns um die Ecke stattfindet. Dort ist vieles zwar nicht bio, aber man weiss, woher das Gemüse kommt.
Wie wichtig war das Thema Umweltschutz früher in der Familie de Weck?
Es war überhaupt kein Thema. Umso glücklicher bin ich, dass meine Eltern viel umstellen, auch was das Reisen betrifft. Ich bin nicht so ein Naturmensch. Wenn ich zwischen Kultur und Natur wählen müsste, würde ich immer die Kultur nehmen. Ich will im urbanen Raum leben. Tiere mag ich auch nicht besonders. Ich verspüre zum Beispiel nicht wahnsinnig viel Mitleid mit ihnen, wenn sie getötet werden, damit wir sie essen können. Aber dass die Massentierhaltung für unser Klima eine Katastrophe ist, hat mich zum Umdenken gebracht.
«Man kann es nur im Vorleben machen. Und wir reden [ mit den Kindern] darüber und gehen gemeinsam klimastreiken.»
Wie «grün» erziehen Sie Ihre Kinder?
Man kann es nur im Vorleben machen. Und wir reden darüber und gehen gemeinsam klimastreiken. Zudem taucht das Thema Umwelt gerade überall auf: Wenn meine Tochter am Wochenende fernsehen darf, schaut sie am liebsten diese furchtbare Kinderserie «Paw Patrol». Da sagt die eine Hunde-Figur ständig: «Nicht verschwenden, wiederverwenden» (lacht). Diesen Satz wiederholt meine Tochter den ganzen Tag.
Sie haben das Engadin erwähnt. Komplett fremd scheint Ihnen die Natur, oder in diesem Fall die Berge, doch nicht zu sein, oder?
Absolut. Früher dachte ich immer: Wenn ich dann mal das Bedürfnis nach einem Waldspaziergang habe, bedeutet dies, dass ich alt geworden bin. Nun ist es bereits so weit – grad heute Morgen war ich im Dolderwald spazieren. Bewegung in der Natur kurbelt mein Denken an. Der Blick in die Weite hilft auch, die Welt als Ganzes zu sehen und nicht bloss als etwas, das an der nächsten Hauswand endet.
«Wenn wir etwas ändern wollen, bedeutet das auch Verzicht auf viele luxuriöse Dinge, die wir uns gewohnt sind. Das macht hässig. Man will es nicht hören, sondern verdrängen.»
Apropos Engstirnigkeit: Erhalten Sie auf Ihre Texte eigentlich oft böse Kommentare?
Ja, schon. Zu Beginn fand ich die schlimm. Ich habe die Kritik sehr persönlich genommen und war auch verletzt. Inzwischen freue ich mich über den Diskurs! Wenn ich keine bösen Kommentare bekomme, denke ich: Habe ich das Thema nicht gut genug zugespitzt? (Lacht.)
Bei Ihrer Klima-Kolumne fanden Online-Kommentare, das Thema sei überreizt. Wieso provoziert die Umwelt dermassen?
Ich habe in Zusammenhang mit der Kolumne den letzten Klimabericht der Uno gelesen. Der ist mir sehr eingefahren. Es ist klar, wenn wir etwas ändern wollen – oder eher müssen, denn wir haben gar keine andere Wahl –, dann bedeutet das auch Verzicht auf
viele luxuriöse Dinge, die wir uns gewohnt sind. Das macht hässig. Man will es nicht hören, sondern verdrängen.
Einige behaupten, die Fakten zur Klimaerwärmung seien schlicht falsch.
Die meisten Menschen, denen ich begegne, wissen um die Gefahr. Das Problem ist eher, dass man bei der Klimakrise keine existenzielle Bedrohung spürt. Die Not ist noch nicht da. Ich befürchte, dass wir erst handeln werden, wenn wir diese spüren.
Beschäftigt sich das Theater eigentlich mit dem Klimawandel? Gibt es ein Stück darüber?
Mir fällt keines ein. Es ist schwer, damit eine gute Geschichte zu erzählen. Man braucht dafür eine Heldenfigur, jemand, der leidet. Dieses Leiden ist noch zu wenig spürbar. Die Klimaaktivisten haben den Ernst der Lage begriffen, die Welt noch nicht.
Sie gehören zum Kritikerteam des «Literaturclubs». Gibt es ein Buch der Stunde zum Klimawandel?
Ja, «Wir sind das Klima!» von Jonathan Safran Foer. Schon sein Buch «Tiere essen» war ein Turner für mich. Im Gegensatz zu den Umweltaktivisten übersetzt er das Thema nicht in eine politische, sondern in eine literarische, erzählerische Kraft. Er ist nicht moralisch. Extrem gut finde ich, dass er zugibt, dass es auch ihm schwerfällt, konsequent zu sein. Obwohl er weiss, dass die Welt zugrunde geht. Das Buch kreist um die Frage: Wieso tun wir nichts?
Bietet er auch eine Antwort an?
Er überzeugt, dass die Massentierhaltung eines der grössten Übel für das Klima ist. Aber es ist auch ein Faktor, bei dem wir sehr schnell ansetzen und etwas verändern können. Seine Lösung: Wenn jeder nur noch einmal am Tag tierische Produkte essen würde, hätten wir bereits viel erreicht.