Seit mein Sohn (5) im Kindergarten ist, schimpft er wie ein Rohrspatz. Fast wöchentlich bringt er ein neues Fluchwort mit nach Hause. «Doofe Gans» und «dumme Kuh» findet er grad besonders lässig. Letzthin aber sagte er der Kassiererin in der Migros, sie sei eine alte Schachtel und als ich ihn im Laden abmahnte, schrie er «du Arschgeige». Das kann ich doch unmöglich tolerieren, oder? – Philipp (34)
Lieber Philipp
Es erschreckt wohl viele Eltern, wenn sie ihre Kinder zum ersten Mal fluchen hören. Erst recht, wenn es Wörter sind, die uns selbst gerne mal über die Lippen huschen. Ich fiel schon aus allen Wolken, als unsere damals dreijährige Tochter nach der ersten Kita-Woche «du Blödi» gesagt hat. Und das nicht etwa in der Familie, sondern zu einer Nachbarin, die mit mir geschwatzt hat. Sie aber wollte mich endlich für sich alleine haben.
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Die meisten Eltern setzen wohl alles daran, dass sich ihr Nachwuchs anständig ausdrückt. Nur können wir ihre Einflüsse nicht komplett selber steuern. Spätestens im Kindergartenalter werden sie mit neuem Vokabular konfrontiert. Und Kraftausdrücke faszinieren Kinder. Sie brennen darauf, die Fluchwörter, die sie bei ihren Gspähnli aufgeschnappt haben, in ihrem gewohnten Umfeld auszuprobieren.
Wichtig ist dabei zu wissen, dass es ihnen nicht in erster Linie ums Schimpfen geht, sondern darum, die Reaktionen darauf zu testen. Wie reagiert Omi, wenn ich ihr du «Geigenfüdli» sage? Oder warum nur schaut die Frau aus dem Schuhgeschäft böse, wenn ich «du alte Schachtel» rufe?
«Es ist ganz normal, dass Kinder fluchen, auch wenn es die Erwachsenen stört»
Fluchforscher Roland Ris
«Es ist ganz normal, dass Kinder fluchen, auch wenn es die Erwachsenen stört», sagt denn auch der Berner Fluchforscher Roland Ris. Sie wollen sich dadurch abgrenzen, Grenzen testen und die Gültigkeit von Normen und Werten ausloten.
Bringt ein Kind ein neues Fluchwort heim, sollen die Eltern am besten erst gar nicht reagieren, schreibt Familienberater Jan-Uwe Rogge im Buch «Kinder brauchen Grenzen». Getreu dem Motto: «Was woanders gewirkt hat, kommt bei meinen Eltern offensichtlich nicht an.» Denn erhalte das Kind für seine Wortwahl weder Reaktionen noch zusätzliche Aufmerksamkeit, verliere es schnell das Interesse daran.
Nützt alles nichts, rät Rogge, einzuschreiten. «Denn wer auch dann ignoriert, dass das Kind solche Kraftausdrücke weiter verwendet, sie gar intensiviert, erreicht das Gegenteil», so Rogge. Das Kind müsse dann geradezu mit seinen Regelverletzungen fortfahren, bis der scheinbar gleichgültige Erwachsene ihm endlich Grenzen setze.
In meiner Jugend führte meine Mutter ein «Fluchkässeli» ein. Für jedes Schimpfwort mussten meine Geschwister und ich 50 Rappen einwerfen. Auch mein Vater, der ein vorzüglicher Flucher war. Ob wir dadurch tatsächlich weniger geflucht haben, weiss ich nicht mehr. Aber es hat unser Bewusstsein geschärft.
Von Bestrafungen hält Fluchforscher Roland Ris nicht viel. «Spracherziehung ist keine Erziehung, die mit plumpen Verboten und Tabus funktioniert.» Sinnvoller sei es, den Kindern zu vermitteln, dass es verschiedene Sprachformen gebe und nicht jede Gesprächssituation eine spezifische und adäquate Ausdrucksweise verlange. «Gewisse Fluchwörter kann man vielleicht auf dem Pausenplatz tolerieren, aber nicht auf Besuch bei der Omi.»
Doch selbst für den Fluchforscher sind nicht alle Ausdrücke erlaubt. Tabu seien Wörter, die beleidigen, oder Kraftausdrücke, die gegen einen selbst gerichtet sind. «Ich Tschumpel» oder «ich Doofi» seien destruktiv.
Herzlich, Romina
Unsere Expertin für Familienfragen
Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.