Sandra, Kanton Zürich: «Ein System der kranken Enten»
Ich liebe die Westschweiz, ich liebe Frankreich, das Essen, die Menschen – und vor allem auch die Sprache. Für mich, Angehörige der Generation X, war Französisch die erste Fremdsprache, die ich in der Schule lernte, im 7. Schuljahr. Ich habe jedes Wort aufgesogen, und hatte dann vor allem später, ab der 9. Klasse am Gymnasium, einen grossartigen Französischlehrer – einen Franzosen, der sich weigerte, auch nur ein Wort Deutsch mit uns zu sprechen. Ich würde sagen, auch wenns Schul-Französisch ist, kann ich mich heute ganz passabel in der Sprache unterhalten.
Was ich von meinem Gen-Z-Nachwuchs leider nicht behaupten kann. Beide Kinder hatten ab der 5. Klasse «Franz», das eine acht Jahre lang bis zur Matura, das andere fünf Jahre lang bis zum Sek-Abschluss. Eine vernünftige Unterhaltung führen können beide nicht. Das erste Kind versteht wenigstens so halbwegs, worums geht, wenn jemand französisch spricht. Dem zweiten Kind ist aus seinen fünf Jahren Unterricht genau ein Satz geblieben: «Mon canard est malade»!
Tja, mir scheint, da ist nicht nur die Ente krank, sondern das System. Gut, Kind 2 hat sich so oder so nicht besonders für die Schule interessiert, und ob es sich mehr für Deutsch und Englisch begeistert hätte, wenn es nicht auch noch Französisch hätte lernen müssen, sei dahingestellt. Kind 1 hingegen hat durchaus Freude an und ein Gespür für Fremdsprachen. Aber auch es konnte sich nicht für Französisch begeistern. Und eine Blitz-Umfrage sowohl unter Bekannten mit Kindern als auch unter Freundinnen und Freunden meiner Kids zeigt: So richtig gern hatte diesen Französisch-Unterricht niemand. Auch die nicht, die halbwegs passable Noten schrieben. Da muss man sich doch schon die Frage stellen, woran das liegt.
Ich wage zu behaupten: An einem total veralteten Schulsystem. Dass sich jedes Kind neun Jahre lang durch eine Vielzahl von Fächern kämpfen muss, von denen es sich für die wenigsten interessiert, ist total hirnrissig. Spätestens in der Oberstufe – wenn nicht schon in der Mittelstufe – weiss ein Kind doch, was es NICHT will. Und sollte dementsprechend Fächer, die nicht ultrawichtig sind ( wie Mathe oder Deutsch) abwählen können. Dann könnte es sich nämlich auf das konzentrieren, was ihm zumindest halbwegs Spass macht. Und die Lehrpersonen würden nicht die meiste Zeit vor einer total abgelöschten Klasse sitzen und dabei selbst total abgelöscht werden. Und was, wenn kein cochon sich für Franz entscheiden würde, wenns nicht mehr Pflicht wäre? Tant pis – wenn sich der Teenie beim ersten Städtetrip nach Paris in eine Französin verliebt, lernt ers schneller und besser als in unserem System der kranken Enten.
Sylvie, Kanton Bern: «In der Schweiz macht es einfach Sinn»
Mit ihren Puppen auf Französisch schimpfen konnten meine Kinder schon, bevor sie überhaupt ganze Sätze auf Deutsch rausbrachten. Merci, zweisprachige Kita in der Westschweiz. Aber lustige Anekdoten sind nicht der einzige Grund, warum ich finde, dass frühes Fremdsprachenlernen eine gute Sache ist. Zumindest grundsätzlich. Denn klar, ein einziger Lehrplan kann nie allen Kindern im Klassenzimmer gerecht werden. Die Frage ist eher: Was ist im Schnitt für möglichst viele gut?
Und da zeigt die Forschung ziemlich klar: Kinder, die früh mit Fremdsprachen in Berührung kommen, haben Vorteile. Zum Beispiel stärkt das frühe Sprachenlernen das Gedächtnis – auch das Arbeitsgedächtnis, das man für Mathe oder logisches Denken benötigt. Zudem entwickeln Kinder, die früh mit mehreren Sprachen in Berührung kommen, ein besseres Sprachgefühl – nicht nur für Fremdsprachen, sondern auch für ihre Muttersprache. Finde ich überzeugend. Auch abseits von wissenschaftlichen Fakten: In der Schweiz macht es einfach Sinn, dass man in mindestens einer weiteren Landessprache nach dem Weg fragen kann. Nicht nur wegen des vielzitierten Zusammenhalts im Land, den manche durch die Abschaffung von Frühfranzösisch gefährdet sehen. Sondern auch, weil es einfach nervt, nichts zu verstehen. So gehts mir mit Italienisch. Ausser «Pizza» bringe ich in dieser schönen Sprache kaum was raus. Hätte ich doch in der Schule ein kleines Grundvokabular gelernt! Leider war Italienisch nicht obligatorisch – und wer meldet sich als rebellische Schülerin schon freiwillig für etwas an, das später mal nützlich sein könnte?
Vielleicht liegt das echte Problem gar nicht im frühen Kontakt mit einer Fremdsprache. Das allein überfordert Kinder vermutlich nicht. Entscheidend ist auch, wie der Unterricht gestaltet ist und welche Ressourcen den Lehrkräften zur Verfügung stehen. Meine wenig überzeugenden Erfahrungen mit dem Lehrmittel «Mille feuilles» würden den Rahmen sprengen. Aber soviel sei gesagt: Es bringt einem Kind tatsächlich wenig, in der vierten Klasse das Wort für «Bartgeier» zu lernen, aber immer noch nicht fremdsprachige Kameraden fragen zu können, ob sie Versteckis spielen wollen.