Meine 16jährige Tochter ist nicht wiederzuerkennen. Sie ist rotzfrech, benutzt Kraftausdrücke und nennt mich auch Nutte und Arschloch. Muss ich das akzeptieren? Gehört das zur Pubertät? Wenn nein, wie kann ich sie in ihre Schranken weisen? Sie lässt sich von mir nichts mehr sagen. – Simone
Liebe Simone
Wenn Kinder pubertieren, sind sie oft nicht widerzuerkennen. Sie finden die Eltern doof, die Schule blöd, die jüngeren Geschwister nervig. Sie sind launisch, aufmüpfig und oft auch egoistisch. Ein grosses Stück weit ist das Verhalten deiner Tochter daher normal und gehört zur natürlichen Entwicklung eines Teenagers. Es ist wichtig, dass sich Jugendliche an ihren Eltern reiben, das gehört zum Erwachsen werden! Der Abnabelungsprozess kommt meist nicht von heute auf morgen, sondern ist ein schleichender Hergang.
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Doch dass es zu derart groben verbalen Entgleisungen kommt, geht ganz und gar nicht! Liebe Simone, das musst und darfst du nicht akzeptieren und das solltest du deiner Tochter unbedingt klar kommunizieren. Für mich stellt sich unweigerlich die Frage, ob es einen Auslöser für das Verhalten deiner Tochter gibt. Ist etwas zwischen euch passiert, dass deine Tochter derart verletzende Wörter gegen dich richtet? Sie schiesst mit einer Wut auf dich ein, die von aussen betrachtet kaum zu ertragen ist? Gibt oder gab es schon länger Anzeichen dafür? Trägt sie eine grosse Verletzung mit sich rum?
Es muss nicht zwingend mit dir zusammenhängen, aber eine so starke Veränderung bei einem Teenager sollte Eltern auf jeden Fall aufhorchen lassen. Denn sie kann ein Zeichen für Missbrauch körperlicher oder psychischer Natur sein.
«Eltern sollten den Auslöser für ein solches Verhalten ausfindig machen»
Martina Rissi, Familientherapeutin
Auch Familientherapeutin Martina Rissi rät zu handeln! «Das Teenager ihren Eltern Wörter wie Arschloch und Nutte sagen, darf auf keinen Fall als Flause durchgehen und sollte umgehend angesprochen werden», betont Rissi. «In erster Linie, um die Auslöser für ein solches Verhalten ausfindig zu machen.»
Möchte das Kind Grenzen austesten oder hat es gar den Respekt verloren? Kann es sein, dass die Eltern ihr Kind übergehen, ihm nicht zuhören oder es unterdrücken? «Oftmals hat es von beiden Teilen etwas», so Rissi. «Unterdrückte Gefühle wie Ohnmacht oder Trauer, die sich via Wut entladen, sind dringend zu beleuchten. Aber auch mangelnde Grenzen können ein Auslöser sein.»
Kein Kind reagiert grundlos mit einer solchen Heftigkeit, sagt Rissi. Darum rät sie Eltern, nicht lange abzuwarten und das ruhige Gespräch zu suchen. Am Besten mit möglichst vielen, ernstgemeinten Fragen. Hier ein paar mögliche Beispiele:
- «Was macht dich so wütend?»
- «Was macht dich so ohnmächtig, dass du dir nur mit solchen Wörtern zu helfen weißt?»
- «Was belastet dich?»
- «Welche Punkte gibt es zwischen uns zu klären?»
In einem zweiten Schritt gilt es, dem Kind deutlich aufzuzeigen, dass solche Schimpfwörter unter keinen Umständen geduldet werden und eine massive Verletzung darstellen: «Eltern müssen ihren Kindern beibringen, den Emotionen zwar Platz zu geben, sie aber nicht ungefiltert an anderen auszulassen», sagt die Therapeutin. Wer dies in der Kindheit nicht lernt, wird im Erwachsenenalter verstärkt Probleme haben im Umgang mit Gefühlen. Rissi: «Darum erachte ich sinnvolle Konsequenzen als richtig, wenn sich dieses Verhalten wiederholt.»
Sinnvolle Konsequenzen sind nicht zu verwechseln mit Strafen. Liebe Simone, von extremen Strafen wie zwei Monate Hausarrest oder tägliches Fensterputzen rate ich dir ab. Das würde die Situation nur zusätzlich verschärfen. Ich persönlich bin überzeugt, dass sich die Situation erst dann bessert, wenn sich deine Tochter aufgenommen und verstanden fühlt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Pubertierende, auch wenn die Hormone spinnen, sich aus dem Nichts und grundlos derartige Entgleisungen leistet.
Auch Rissi empfiehlt anstelle von harten Strafen so genannte Bewusstseins- oder Reflektionsarbeit: «Effektiver ist es, dem Kind aufzuzeigen, was solche Worte beim Gegenüber anrichten.» Dabei gibt es unterschiedlichste Tools und Übungen wie Perspektivenwechseln, Rollenspiele oder Briefe schreiben. «Die Fantasie der Eltern bringt hier oft auch Wunderwerkzeuge zu Tage», so die Familientherapeutin. Wenn diese sanfteren Massnahmen jedoch nichts helfen, rät Rissi, eine Fachperson beizuziehen.
Hier kann die Elternberatung von Pro Juventute weiterhelfen.
Liebe Simone, wenn ich dir noch einen persönlichen Rat geben darf: Zuhören, nachfragen und Interesse zeigen. Damit zeigst du deiner Tochter, dass sie dir nicht egal ist, dass du sie wertschätzt und sie als eigenständige Persönlichkeit respektierst und annimmst. Es gibt nichts Schlimmeres für einen Teenager, als wenn Eltern ständig zu allem Nein sagen. Vertauen schenken heisst das Zauberwort! Das gibt dem Kind das Gefühl wichtig zu sein, was ihm widerum Selbstvertauen schenkt.
Herzlich,
Romina
Unsere Expertin für Familienfragen
Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.