Woran erkennt man emotionalen Hunger und wie verfliegen Heisshungerattacken? Steffi Faigle, Ernährungsberaterin und Autorin von «Kalorien können mich mal!» (mvg Verlag), erklärt im Interview mit spot on news, worauf es ankommt. Faigle, die selbst auf eine 30–jährige Diätgeschichte zurückblickt, verrät zudem, warum sie heute nichts mehr von Waagen hält.
Liebe Frau Faigle, Ihr Buch heisst «Kalorien können mich mal». Wann haben Sie selbst das erste Mal diesen Satz gedacht?
Steffi Faigle: Das kann ich Ihnen ganz genau sagen: Ich war gerade 31 Jahre geworden, genau genommen im November 2011. Am Tag zuvor sass ich in einem Fast–Food–Restaurant und hatte einen Burger und eine grosse Cola (mit Zucker). Über diesen Restaurantbesuch gibt es ein ganzes Kapitel im Buch «Kalorien können mich mal!». Was für Andere völlig normal ist, war für mich alles andere. Jedenfalls war es das erste Mal, dass ich den Kampf gegen meinen Kopf haushoch gewonnen hatte, nachdem dieser in diesem Fast–Food–Restaurant alles in Bewegung setzte, um mich in alte Verhaltensmuster zu zwingen. Dem hielt ich stand und wusste genau: Mir kann in diesem Leben in Sachen Kalorien, Abnehmen und Diäten keiner mehr was. Triumphal beschreibt es nur im Ansatz.
Sie haben viele Jahre selbst mit Ihrem Gewicht und auch mehreren Essstörungen gekämpft. Was sagen Sie Menschen, die nun zum Jahresanfang wieder eine Modediät angehen?
Faigle: Finger weg! Diäten sind doof! Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Diäten sind gefährlich! Mit jeder Diät entfernen wir uns nur noch mehr von unserem natürlichen Hunger– und Sattgefühl und somit weg von unserem eigenen Körper. Darüber allein könnte ich mindestens ein weiteres Buch füllen und ich versuche mich kurzzuhalten: Diäten sind eine künstliche Verknappung. Sie schränken uns sowohl körperlich als auch psychisch extrem ein, zwingen uns in Verhaltensmuster, die wir eigentlich gar nicht wollen und haben weitreichende Folgen. Dem Körper wird «Hungersnot» vorgegaukelt, der Stoffwechsel schläft ein und wacht nur mit Mühe und Not wieder auf. Unser ganzes System gerät in Schieflage und das JoJo–Drama ist vorprogrammiert.
Wenn jemand nachhaltig abnehmen und schlank bleiben möchte, kommt er nicht drum herum, zurück zu einem natürlichen Essverhalten zu kommen. Das heisst, intuitiv richtig zu essen, nur dann zu essen, wenn physischer Hunger da ist und aufzuhören, wenn der Körper genug hat und man satt ist. Das bringt einem keine Diät dieser Welt bei.
Ist Abnehmen ohne Verzicht möglich?
Faigle: Ja. Wie eben beschrieben: Wenn ich auf meine Körpersignale hören kann und diese umsetze, pendelt sich der Körper automatisch in sein «Gleich–Gewicht» ein. Das impliziert jedoch, dass wir zuerst «Gleich–Gewicht» im Kopf haben, sprich: uns freimachen von Glaubenssätzen über Essen, Prägungen und Konditionierungen, um den Körper und seine Signale überhaupt wahrnehmen zu können.
Abnehmen beginnt nicht auf dem Teller, erklären Sie. Was ist die wichtigste Voraussetzung, damit Abnehmen klappt?
Faigle: Das wollen viele nicht wahrhaben, aber es steht und fällt mit der Bereitschaft, wirklich etwas für sich und seinen Körper zu tun. Unser Körper und somit unsere Gesundheit ist das Wichtigste, was wir haben und doch erlebe ich es ganz oft – und ich selbst bin da leider 30 Jahre als Negativbeispiel vorangegangen –, dass wir auf dem «Gesundheits–Ohr» taub sind. Ein Körper kann mit Ungleich–Gewicht nicht. Oder sagen wir mal so: nicht ein Leben lang. Irgendwann schlägt er zurück oder geht in die Knie – je nach Sichtweise.
Ein Körper muss mit dem klarkommen, was wir ihm geben. Je unausgewogener wir uns ernähren, umso unausgewogener ist unser Körper. Nun ist das ganze Internet voller Ernährungstipps und doch ernähren wir uns oftmals einfach schlecht. Woran liegt das? Weil wir aufgewachsen sind mit Sätzen wie: «Iss Deinen Teller auf, sonst wird morgen schlechtes Wetter. Das Essen war teuer, iss gefälligst auf.» All diese Glaubenssätze verfälschen das Essverhalten und lassen uns zum Essen greifen, obwohl wir keinen Hunger haben oder längst satt sind. Oder noch schlimmer: Es gibt erst Schokolade, wenn aufgegessen ist. Essen wird missbraucht und fungiert oftmals als Ventil, um irgendwelche Emotionen, die eigentlich gefühlt werden wollen, herunterzuschlucken, wegzudrücken. Kurzum: Erst wenn ich meine Haltung und Einstellung zum Essen ändere, ändert sich auch mein Gewicht, deshalb beginnt Abnehmen im Kopf und nicht auf dem Teller. Erst bin ich anders, dann esse ich anders.
Wie finde und halte ich meinen inneren Antrieb?
Faigle: Das ist das Schöne: Habe ich einmal meine Haltung und die dazugehörigen Perspektiven auf «natürlich schlank» gedreht, bleiben die. Die nimmt mir niemand mehr weg. Wenn ich einmal verstanden habe, was der Körper wirklich braucht, um nicht nur abzunehmen, sondern das Gewicht zu halten, brauche ich mir keine Gedanken mehr über Motivation und Dranbleiben machen. Dann mache ich es einfach und es ist das Selbstverständlichste der Welt.
Viele Menschen essen aus emotionalen Gründen. Woran erkenne ich, dass ich nicht körperlichen, sondern emotionalen Hunger habe?
Faigle: Emotionaler Hunger kommt von jetzt auf gleich. Das kennen wir alle: Wir sitzen am Schreibtisch und müssen etwas erledigen, worauf wir mässig Lust haben. Die innere Stimme, die dann kommt und sagt «Erst einen Schokoriegel und dann geht's leichter», ist der emotionale Hunger. Körperlicher Hunger schleicht sich über Stunden an, emotionaler Hunger ist «zack» da. Das nächste Indiz: Bei emotionalem Hunger haben wir immer und ausschliesslich Lust auf etwas Süsses oder Salziges (Ungesundes). Wir haben nie «Bock» auf eine Möhre oder ähnliches.
Was raten Sie, wenn einem eine Heisshungerattacke auf Süsses überfällt?
Faigle: Sich bewusst machen, was gerade los ist und das imaginäre Stoppschild herausholen. Sich hinterfragen, was gerade wirklich dran ist und die Antwort lautet nie «kauen». Sich selbst auf die Schliche kommen, das geht nur mit Training. Das fühlt sich am Anfang richtig doof an, denn der Kopf ist mächtig. Und er wird sagen: «Doch! Ich will essen!» Und genau da gilt es dagegen zu halten. Sich bewusst werden, den Autopiloten abschalten und das Ruder übernehmen.
Wie wichtig ist ein geregelter Schlafrhythmus für den Erfolg beim Abnehmen?
Faigle: Schlaf gehört zum Leben oder unserem Organismus wie das Essen auch. Wir können nicht ohne Schlaf und wir können nicht ohne Essen. Geben wir unserem Körper zu wenig Schlaf, holt er sich die Energie aus anderen Quellen. Und schnelle Quellen sind nun mal schneller Zucker (Einfachzucker). Super praktisch ist dann die Schokolade, die die Kollegin auf dem Tresen bereitgestellt hat. Oder auch die Nudeln vom Vortag, die noch im Kühlschrank stehen oder ein schnell geschmiertes Brot mit was auch immer drauf. Hauptsache schnell muss es gehen, damit der Körper wieder weiter funktionieren kann. Und er macht es nicht gegen uns. Das ist auch etwas, was viele nicht verstehen. Unser Körper hat genau eine Aufgabe: uns am Leben zu halten. Dafür macht er alles. Und er macht es gut. Der Körper sagt uns: «Du hast zu wenig geschlafen, dein Tank ist leer. Geh ins Bett!» Aber wir müssen arbeiten. Unser Körper reagiert mit: «Okay, dann füll‹ meinen Tank mit Zucker und dann geht›s weiter.» Das ist relativ einfach und bedeutet: Je mehr Schlaf, umso weniger Heisshunger–Gefahr, weil der Körper ausgeruht ist.
Was sind allgemein Ihre wichtigsten Tipps, um ohne Diät abzunehmen und das Gewicht zu halten?
Faigle: Ich mag keine Tipps. Und unabhängig von meinen Vorlieben: Tipps sind wie Diätratschläge. Die helfen nicht. Wenn jemand wirklich und nachhaltig Gewicht verlieren möchte, dann bleibt nichts anderes übrig, als den ganzen Menschen und seine Vorgeschichte anzuschauen und alles zu «entlernen», was zu einem schlechten Essverhalten führt und neu zu lernen, was es braucht, um ein natürlich schlankes Essverhalten zu etablieren. Hört sich kompliziert an, ist es aber gar nicht.
Wir alle sind einzigartig. Und gerade in dieser Abnehm–Bubble sehen wir ja, dass wir vielmehr auf den Menschen eingehen müssen, um nachhaltige Erfolge zu erzielen, anstatt in die Masse zu gehen und sich irgendwas überzustülpen, was gar nicht zu meinem Leben und in meinen Alltag passt. Was ich gerne an dieser Stelle mitgeben möchte ist: Weg von dem Kontrollzwang! Also auch gerne die Waage wegpacken. Der Körper und auch der Kopf hasst Kontrolle. Das wäre ein «Tipp» und auch ein Wunsch an alle Frauen da draussen: Hört auf, euch zu kontrollieren und fangt an, euch zu lieben.