#MeToo hat vieles ins Rollen gebracht – aber hat sich wirklich etwas verändert? Mehr als sieben Jahre nach den ersten öffentlichen Enthüllungen, die zahlreiche prominente Fälle von Machtmissbrauch ans Licht brachten, bleiben strukturelle Problemen bis heute bestehen – auch in Deutschland.
Investigativ–Journalistin Juliane Löffler trug 2021 mit ihren Recherchen massgeblich dazu bei, dass Ex–«Bild»–Chef Julian Reichelt gehen musste und zeigt in ihrem Buch «Missbrauch, Macht & Medien», warum alte Mechanismen noch immer greifen. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news spricht Löffler darüber, warum es uns als Gesellschaft so schwerfällt, konsequent gegen Machtmissbrauch vorzugehen und warum die #MeToo–Bewegung noch lange nicht zu Ende ist.
Sieben Jahre sind seit #MeToo vergangen. Was hat die Bewegung in Deutschland nachhaltig bewirkt – und wo sind wir stehen geblieben?
Juliane Löffler: Es wird immer sichtbarer, wie weit sexualisierte Gewalt, Übergriffe und Missbrauch verbreitet sind. Es gibt mehr Studien und Untersuchungen dazu, 2024 etwa veröffentlichte das Bundeskriminalamt erstmals ein Lagebild zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten. Es haben sich neue Begriffe etabliert, um die Missstände zu benennen, wie Sexismus oder Femizide. Etablierte Medien haben erkannt, wie wichtig diese Themen sind und investieren mehr Recherchekapazitäten, um sie ans Licht zu bringen. All das ermutigt Betroffene, ihr Schweigen zu brechen.
Gibt es eine Entwicklung, die Sie besonders überrascht hat?
Löffler: Die Kraft dieser Bewegung entfaltet sich immer wieder spontan anhand konkreter Fälle – wie etwa zuletzt dem Vergewaltigungsopfer Gisèle Pelicot in Frankreich. Sie avancierte innerhalb kürzester Zeit zu einer Heldin, weil sie vor Gericht und für die Öffentlichkeit ihre Geschichte so offen und mutig erzählte.
Welche Strukturen verhindern nach wie vor, dass Betroffene gehört werden?
Löffler: Bis heute gibt es nicht genug Ressourcen, um ihnen zu helfen – es fehlen Plätze in Frauenhäusern, oder unabhängige Beschwerdestellen in Unternehmen. Zudem halten sich trotz des wachsenden Verständnisses hartnäckige Vorurteile: Dass Frauen, die von Missbrauchserfahrungen erzählten, sich davon Ruhm erhofften etwa, oder allesamt rachsüchtige Ex–Geliebte seien. Solche pauschalen Vorverurteilungen dienen häufig dazu, Betroffene zum Schweigen zu bringen. Auch das Justizsystem birgt für Gewaltopfer hohe Hürden, nicht selten fehlt etwa ein grundlegendes Verständnis dafür, was es bedeutet, traumatisiert zu sein.
Was muss passieren, damit wir als Gesellschaft nicht erst auf Skandale reagieren, sondern proaktiv Schutzmechanismen etablieren?
Löffler: Das Wissen und das Verständnis dafür muss wachsen, wie man Übergriffe oder Fälle von Missbrauch erkennt und dann damit umgeht. Dafür hilft es, immer wieder darüber zu sprechen und berichten. Es gibt zum Beispiel mittlerweile etablierte Compliance–Spezialistinnen, die Vorwürfe in Unternehmen aufklären und öffentlich davon erzählen, wie so etwas abläuft. Politisch und medial wird das Thema mittlerweile aber sehr viel ernster genommen, als noch vor mehreren Jahren.
Welche Konsequenzen brauchen diese Fälle, damit sie sich nicht wiederholen?
Löffler: Grundsätzlich ist es wichtig zu verstehen, dass Machtmissbrauch auch in einvernehmlichen Beziehungen stattfinden kann. Es wird immer wieder behauptet, eine betroffene Person könne doch «einfach Nein sagen». Aber wenn man genau hinschaut, kann man oft Machtasymmetrien erkennen, die das eben nicht so einfach machen. Etwa, weil man den eigenen Chef nicht einfach zurückweisen kann, ohne womöglich Nachteile befürchten zu müssen oder sogar den eigenen Job zu riskieren. Das Verständnis für Machtverhältnisse ist mit der #MeToo–Bewegung und den Diskussionen, die sie ausgelöst hat, gewachsen – auch in Unternehmen.
Welche Rolle spielen Frauen selbst im Diskurs um Machtmissbrauch? Müssen wir uns auch selbst an die Nase fassen?
Löffler: Machtmissbrauch zu bekämpfen ist die Aufgabe aller Geschlechter. Am besten geht das gemeinsam. Es ist aber wichtig, die Schuld nicht bei Betroffenen zu suchen. Verantwortlich für die vielen Missstände sind die Täter – und diejenigen, welche sie schützen oder wegsehen.
Was würden Sie einer Person sagen, die #MeToo für «vorbei» oder «übertrieben» hält?
Löffler: Die #MeToo–Bewegung hat seit 2017 komplizierte Fragen aufgeworfen, und es ist gut, dass darüber diskutiert wird, wo sie uns weiterbringt – und wo sie über das Ziel hinausschiesst. Diese Tür für Debatten haben wir weit aufgestossen, sie wird nicht einfach wieder zufallen. Die vielen Geschichten Betroffener, die wir gehört haben und hören, werden nicht in Vergessenheit geraten. Sie werden weitersprechen, auch wenn die Kritik an ihnen vielleicht lauter wird, oder Gegenbewegungen rauer. Ich glaube nicht, dass diese Bewegung am Ende steht, sondern am Anfang.