1. Home
  2. News
  3. Peter Gabriel wird 75: Pop-Visionär und Polit-Aktivist
«Gutmensch des Pop»

Peter Gabriel wird 75: Pop-Visionär und Polit-Aktivist

In seiner Karriere legte es Peter Gabriel nicht nur auf grosse Hits an. Seit Jahrzehnten widmet er sich mit grosser Leidenschaft der Weltverbesserung. Am heutigen 13. Februar wird der britische Musiker 75 Jahre alt.

Artikel teilen

Schwingt seinen «Sledgehammer» heute vor allem für politische Ziele: Peter Gabriel.
Schwingt seinen «Sledgehammer» heute vor allem für politische Ziele: Peter Gabriel. Imago/Avalon.red / Julie Edwards / Avalon

Im gehobenen Alter von 75 Jahren kann Peter Gabriel auf eine höchst eigenwillige Karriere zurückblicken. Auch wenn er in den 1980ern mit Superhits wie «Sledgehammer», «Red Rain» oder «Don't Give Up» die Charts eroberte, gab er sich über weite Strecken seiner musikalischen Laufbahn grösste Mühe, einem klassischen Popstar–Dasein zu entkommen.

Überraschender Ausstieg als Genesis–Frontmann

Erste Anzeichen seiner charakteristischen Eigensinnigkeit wurden erkennbar, als er im Jahr 1975 auf dem Höhepunkt des Erfolges unvermittelt seinen Job als Sänger der Progressive–Rock–Band Genesis an den Nagel hängte. Seit ihrer Gründung im Jahr 1967 war die Band zu einem der grössten Rock–Acts Grossbritanniens aufgestiegen, der grosse Durchbruch in den USA stand seinerzeit unmittelbar bevor.

Zu Berühmtheit hatte es Genesis nicht nur durch orchestrale Soundexperimente gebracht, sondern massgeblich auch aufgrund der äusserst exzentrischen Bühnen–Performance ihres Sängers. Um den sphärischen Sound der Band und die surrealistischen Texte der Songs zu unterstreichen, schlüpfte dieser bei seinen Auftritten in immer neue bizarre Verkleidungen und verwandelte sich in fledermausartige Wesen, singende Blumen oder Füchse im wallenden Rüschenkleid.

Für seinen Abschied von der Band nach einer Welt–Tournee zum letzten gemeinsamen Album «The Lamb Lies Down on Broadway» führte Peter Gabriel vor allem private Gründe ins Feld. Neben grösserer künstlicher Freiheit benötige er Zeit für seine 1974 geborene erste Tochter Anna. Seine selbstverordnete Rock‹n›Roll–Pause nutzte der Musiker dem Zeitgeist entsprechend auch gleich für ausgiebige Selbsterforschung, das Erlernen diverser Yoga–Techniken und den Anbau von Gemüse. Währenddessen führte der Genesis–Schlagzeuger Phil Collins (74) die Band in eine neue und nicht weniger erfolgreiche Ära.

Eigenwilliger Start in die Solo–Karriere

Ab 1976 machte sich Peter Gabriel mit frischer Energie an den Start seiner Solo–Karriere, die in den folgenden Jahren zunächst einen eher zähen Verlauf nehmen sollte. Zwischen 1977 und 1982 veröffentlichte der Aussteiger vier Alben, denen er verwirrenderweise keinerlei offiziellen Titel verlieh. Auch wenn ihm einige Stücke daraus, wie seine Debut–Single «Solsbury Hill» (1977) oder die Polit–Hymne «Games Without Frontiers» (1980) vereinzelte Chart–Erfolge bescherten, legte es der eigensinnige Musiker auf diesen ersten Solo–Werken erkennbar darauf an, auf gar keinen Fall in die Schubladen des Mainstream–Pops zu passen.

Die darauf enthaltenen Stücke, bei denen Gabriel zunehmend mit digitalen Aufnahmetechniken experimentierte, fielen oft sehr langsam und düster aus, waren selten durchgehend linear aufgebaut und entzogen sich bockig jeder Radiotauglichkeit. Diese ersten Soloalben wurden von der Musikkritik durchaus wohlwollend aufgenommen, liessen jedoch noch nicht den spektakulären Erfolg erahnen, den Gabriel im Jahr 1986 mit seinem Hit–Album «So» feiern sollte.

Mit «Sledgehammer» zum Superstar

In diesem Jahr zog der bisher mässig erfolgreiche Musiker alle professionellen Register, um als Solo–Künstler endgültig den grossen Durchbruch zu meistern. Sein neues Album, auf dessen Cover er sich dem Betrachter mit entschlossenem Blick und ordentlicher Frisur präsentierte, strotzte nur so vor radiotauglichen Hits wie «Sledgehammer», «Big Time», «Red Rain» und herzergreifenden Balladen wie «Don't Give Up» oder «In Your Eyes».

Für grosses Aufsehen sorgten zudem Gabriels aufwändig produzierte Videos zu diesen heutigen Klassikern der 1980er. Der im Stop–Motion–Verfahren produzierte surrealistische Clip zu seinem Nummer–eins–Hit «Sledgehammer» avancierte schnell zum meistgespielten Video bei dem seinerzeit äusserst einflussreichen Musiksender MTV. Bei den MTV Video Music Awards 1987 räumte das Video ganze neun Preise ab und stellte damit einen bis heute ungebrochenen Rekord auf.

Rückkehr zur Sperrigkeit

Trotz dieses riesigen Erfolgs liess sich der kometenhaft zum Superstar aufgestiegene Musiker nach dem durchschlagenden Erfolg des Albums «So» dann erst einmal ganze sechs Jahre Zeit, bis er im Jahr 1992 mit seinem zweiten Solo–Werk «Us» nachlegte. Statt direkt an seinen gigantischen Erfolg anzuknüpfen, hatte er sich in der Zwischenzeit der Komposition eines Soundtracks für den Spielfilm «Die letzte Versuchung Christi» (1988) des Star–Regisseurs Martin Scorsese (82) gewidmet.

In den weiteren drei Jahrzehnten verschwand Peter Gabriel als Solo–Künstler fast vollständig von der Bildfläche und liess sich mit der Veröffentlichung neuer Alben so viel Zeit wie kaum ein anderer Künstler der jüngeren Musikgeschichte. Bis zu seinem nächsten Album «Up» (2002) sollten weitere zehn Jahre vergehen. Im Jahr 2010 überraschte der Brite dann mit dem Cover–Album «Scratch my Back», auf dem er Songs anderer Musiker wie David Bowie (1947–2016), Lou Reed (1942–2013) oder Neil Young (79) neu interpretierte.

Comeback mit Spätwerk «i/o»

Auf einem 2011 erschienenen Album mit dem Titel «New Blood» spielte er seine bisher grössten Hits mit einem Orchester neu ein und liess dann wieder über ein Jahrzehnt lang nichts von sich hören. Erst im Jahr 2023 präsentierte er mit seinem jüngsten Album «i/o» ein von der Kritik und seinen geduldigen Fans begeistert aufgenommenes Spätwerk.

Doch auch wenn Peter Gabriel in den vergangenen drei Jahrzehnten nur selten eigene Alben auf den Markt brachte, war er in diesem Zeitraum in anderen Bereichen höchst aktiv. So verschuf er mit seinem 1989 gegründeten eigenen Plattenlabel «Real World Records» Musikern aus der ganzen Welt hochmoderne Aufnahmemöglichkeiten und bot ihnen auf den bis heute regelmässig stattfindenden «WOMAD»–Weltmusikfestivals eine vielbeachtete Bühne.

Unermüdlicher «Gutmensch des Pop»

Seinen Ruf als «Gutmensch des Pop» erwarb er sich zudem durch sein jahrelanges Engagement für Menschenrechts–Organisationen wie «Amnesty International» oder «Witness». Im Jahr 2007 gründete er zusammen mit dem Star–Unternehmer Richard Branson (74) und der südafrikanischen Polit–Ikone Nelson Mandela (1918–2013) die Organisation «The Elders», einem Zusammenschluss herausragender Friedensaktivisten und Menschenrechtlern mit ehemaligen Staatslenkern und prominenten Intellektuellen. Erklärtes Ziel dieses aktivistischen «Ältestenrats» ist es, die kollektiven Erfahrungen und Einflussbereiche seiner Mitglieder dafür zu nutzen, um sich gemeinsam für Frieden, Menschenrechte und einen nachhaltigen Umgang mit dem Planeten Erde einzusetzen.

Dass er zwischen seinen Musik–Veröffentlichungen meist ein ganzes Jahrzehnt vergehen lässt, begründete Peter Gabriel nach dem Release seines vorerst letzten Albums «i/o» im Jahr 2023 gegenüber dem Magazin «Mojo» mit folgenden Worten: «Ich glaube, man kann die Menschen übersättigen, und dann sind sie von dir gelangweilt. Einer der Gründe, dass ich immer noch von meiner Musik leben kann, ist, dass ich regelmässig längere Pausen einlege.»

Über sein politisches Engagement sagte er der «Frankfurter Rundschau»: «Ich selbst stehe inzwischen weniger im Vordergrund, unterstütze dafür aber die politischen Themen, die mir wichtig sind, umso nachhaltiger. Ich finde es anregend, politische Think Tanks zu gründen oder herauszufinden, wie uns neue Kommunikationstechnologien helfen können, Menschenrechtsverletzungen publik zu machen. Das ist für mich keine Zeitverschwendung. All diese Dinge sind mir längst genauso wichtig wie meine Musik. Hauptsache, kein langweiliges Leben führen, oder?»

Von SpotOn vor 1 Stunde