Der Winter zeigt sich derzeit von seiner frostigen Seite. Und die Kälte bringt unangenehme Begleiter mit sich: steife Schultern, Rückenschmerzen und Verspannungen im Nacken. Bei niedrigen Temperaturen fällt es uns oft schwer, richtig locker zu lassen. Warum reagiert unser Körper so empfindlich auf Kälte und gibt es eine Möglichkeit, Verspannungen zu lösen, ohne den ganzen Tag mit einer Wärmflasche herumzulaufen? Privatdozent Dr. David Kubosch, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, erklärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news, welche Angewohnheiten Nacken– und Rückenschmerzen begünstigen und welche einfachen Massnahmen wirklich helfen, um beweglicher und entspannter durch die kalte Jahreszeit zu kommen.
Warum treten Verspannungen in der kalten Jahreszeit häufiger auf?
Dr. David Kubosch: In der Tat klagen viele Menschen in der kühlen Jahreszeit vermehrt über Muskelverspannungen. Denn: Ist es kalt, so zieht sich unsere Muskulatur zusammen. Eine weitere Ursache ist vermutlich der «heruntergefahrene» Stoffwechsel an kühlen Tagen. Die daraus resultierende schlechtere Durchblutung führt übrigens oftmals nicht nur zu Verspannungen, sondern zudem vermehrt zu Reibungsschmerzen in Hüfte, Knien und anderen Gelenken.
Welche Alltagsgewohnheiten führen zu Verspannungen im Nacken– und Schulterbereich?
Dr. Kubosch: In den meisten Fällen sind Verspannungen das Ergebnis eines fatalen Bewegungsmangels, stundenlangen Dauersitzens sowie einer unnatürlichen Zwangshaltung.
Schmerzt der Nacken, so steckt vielfach eine Verhärtung der umliegenden Muskulatur dahinter – vor allem bei jüngeren Patienten. In den meisten Fällen sind Haltungsprobleme und überlastete, verspannte Muskeln die Ursachen. Häufige Folge: ein sogenannter schmerzhafter «Handy–Nacken» – verursacht durch das ständige Nachunten–Schauen auf das Smartphone–Display. Durch die gesundheitsschädliche Kopfhaltung wird die Nackenmuskulatur stark belastet und die Halsmuskeln überdehnen.
Viel Bewegung ist das Zauberwort gegen Verspannungen in Schultern und Nacken. Oft helfen zudem die Optimierung des Arbeitsplatzes sowie eine wirbelsäulengerechte Haltung: Brust raus, Schultern nach hinten – so lautet die einfache orthopädische Formel.
Zu welchen Sofortmassnahmen raten Sie bei akuten Verspannungen?
Dr. Kubosch: Was die Sonne an kühlen, tristen Tagen nicht mehr leistet, das lässt sich mit modernen Hilfsmitteln wie Heizdecke, Infrarotlicht oder Basenbädern ausgleichen: Wärme dringt tief in das Gewebe ein, regt die Durchblutung und somit den Stoffwechsel an. Das Gelenk wird beweglicher, die Muskulatur entspannter und lockerer. Ob moderne Heizdecke oder gute alte Wärmflasche – die gängigen Methoden unterscheiden sich kaum in der Wirkungsweise.
Besonders wohltuend an tristen Tagen sind Basenbäder oder –wickel, wenn Nacken, Schultern, Knie oder Füsse schmerzen: Die Wärme lockert das Gewebe, die Basensalze neutralisieren die Säure im Bindegewebe – einer der Hauptauslöser für chronische Schmerzen. Und auch in der Mikrowelle oder im Backofen aufgewärmte Kirschkern– oder Dinkelkissen können bei Kreuzweh oder Verspannungen spürbar Linderung bringen.
Je nach Beschwerden führen meist neben Wärmebehandlungen auch Krankengymnastik sowie entzündungshemmende Medikamente zu einer Besserung.
Ist Bewegung bei Muskelverspannungen immer förderlich oder ist es manchmal besser, stillzuhalten?
Dr. Kubosch: Nicht nur als SOS–Massnahme bei akuten Beschwerden, sondern auch zur Prävention empfiehlt sich vor allem eins: Bewegung, Bewegung, Bewegung. «Sitz gerade» – diese häufige Anweisung von Eltern und Lehrern, ist heute medizinisch längst überholt. Aufrechtes Sitzen gilt zwar als eine gute Grundhaltung, da die Belastungen für die Wirbelsäule relativ gleichmässig sind. Aber: Bleibe ich ununterbrochen in derselben Position, so wird die Wirbelsäule auf Dauer mehr belastet, als wenn wir uns bequem räkeln.
Häufig lassen sich Nackenverspannungen durch regelmässige praktische Übungen selbst lösen oder zumindest lindern. Beginnen Sie diese aber bitte langsam und mit kleinem Bewegungsradius. Unkompliziert, aber dennoch effizient ist beispielsweise die Übung «Äpfel pflücken im Büro». Dabei einfach abwechselnd den linken und dann den rechten Arm möglichst weit nach oben strecken. 20 oder 30 Sekunden genügen, um die Wirbelsäule wohltuend zu strecken und Nacken– und Rückenmuskeln zu entspannen.
Obwohl ich ein grosser Freund von Bewegung bin, rate ich strikt davon ab, in einen extremen Schmerz «hineinzutrainieren». In so einem Fall sollte ein Schmerzmittel eingenommen werden. Oft sieht die Welt am nächsten Tag wieder viel besser aus.
Auch wenn sich die Schmerzen während einer Übung verstärken, sollte diese sofort beendet und ein Facharzt konsultiert werden. Dieser kann eventuelle Schäden an Nerven, Wirbelkörpern und Rückenmark ausschliessen.
Gibt es Möglichkeiten, Verspannungen langfristig vorzubeugen?
Dr. Kubosch: Verspannungen kann man nur bedingt vorbeugen. Im Mittelpunkt aller (Präventiv–)Massnahmen sollte die langfristige Kräftigung der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur stehen. Dies ist der beste Schutz vor Rückenschmerzen und Verspannungen. Besonders empfehlenswert sind hier neben dem Wandern insbesondere das Schwimmen. Diese Sportart hat den Vorteil, dass sie die Brust– und Schultermuskulatur stärkt und man den Körper relativ kontrolliert bewegt. Dadurch lassen sich Nackenschmerzen vorbeugen – vorausgesetzt, man hält den Kopf nicht ständig über Wasser.
Noch ein praktischer Tipp: Wann immer möglich, das Rad statt des Autos nehmen. Das hält fit und schont dabei die Gelenke – zuvor die regelmässigen Dehnübungen aber nicht vergessen. Sinnvoll zum Muskelaufbau ist zudem gezielte Gymnastik.
Sollte man bei anhaltenden Verspannungen einen Arzt aufsuchen?
Dr. Kubosch: Fachärztlicher Rat sollte eingeholt werden, wenn Wärmeanwendungen, praktische Übungen oder andere Massnahmen innerhalb von zwei Wochen keine Wirkung zeigen. In diesem Fall sollte geklärt werden, ob hinter den Beschwerden eventuell Erkrankungen stecken (wie etwa Bandscheibenvorwölbungen oder –vorfälle). Vielfach sind die Ursachen auch psychischer Natur (u.a. Depressionen) oder schlicht und einfach die unangenehme Folge von Durchzug oder Klimaanlage.
Um weitere Gesundheitsprobleme zu vermeiden, sollten länger anhaltende Beschwerden grundsätzlich fachärztlich gecheckt werden.
Welche typischen Fehler machen Menschen, wenn sie unter Verspannungen leiden?
Dr. Kubosch: Ähnlich wie bei Rückenschmerzen, nehmen viele Betroffene eine Schonhaltung ein – und machen damit genau das Falsche. Denn dadurch nehmen die Beschwerden häufig zu.
Viel Bewegung ist das Zauberwort gegen Verspannungen in Schultern und Nacken. Häufig lassen sich etwa Nackenverspannungen durch regelmässige praktische Übungen selbst lösen oder zumindest lindern. Beginnen Sie diese aber bitte langsam und mit kleinem Bewegungsradius.
Linderung bringt beispielsweise vielfach sanftes «Schulterkreisen»: Stehend oder auf einem Hocker sitzend, lässt der Übende die Arme locker an der Seite herunterhängen und die Schultern abwechselnd vorsichtig nach vorne und nach hinten kreisen. Der Kopf wird dabei hin und wieder sanft von einer Seite auf die andere gedreht. Beginnen Sie mit ganz kleinen Kreisen und steigern Sie allmählich den Bewegungsumfang. Die gezielte Bewegung der Schulter–Nacken–Muskulatur regt deren Durchblutung an und vermindert Spannungen. Die Übung bitte zehn bis 15 Mal fortsetzen und dann, mit jeweils 60 Sekunden Pause dazwischen, zwei– bis dreimal wiederholen.
Privatdozent Dr. David Kubosch ist leitender Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie der Gelenk–Klinik Gundelfingen. Der von der Deutschen Wirbelsäulen Gesellschaft zertifizierte Wirbelsäulenchirurg ist zudem Dozent an der Uniklinik Freiburg. Dort betreut er auch mehrere Forschungsprojekte. Seine Behandlungsschwerpunkte sind Wirbelsäulenchirurgie, Bandscheibenoperationen und –prothesen.